Im G90 steckt bis auf E-Antrieb alles, was Genesis an Luxus und Komfort zu bieten hat. Freude an der zweiten Reihe gehört ausdrücklich dazu.
Mut haben sie bei Genesis, das muss man ihnen lassen. Es mit den ganz Großen und vor allem ganz Langen der Branche aufzunehmen, dazu gehört schon was. Und so klingt Lawrence Hamilton denn auch kein bisschen nach fernöstlicher Zurückhaltung. „Durch seine einzigartige Mischung aus zukunftsweisender Technologie, traditioneller Handwerkskunst und erstklassigem Komfort bietet der G90 ein wahres First-Class-Erlebnis“, sagt der Europa-Chef der noblen Hyundai-Tochter. Heißt aber auch: Der E-Antrieb aus dem Konzern gehört nicht dazu.
Dennoch wollen die Koreaner Kunden wie Konkurrenten zeigen, was Sache ist. Und zwar vorne wie hinten. Allein die beide Kotflügel bedeckende Muschel-Haube aus Aluminium bringt es auf 2,6 Quadratmeter. Das bislang größte in der automobilen Serienproduktion verwendete Einzelteil, heißt es bei Genesis. Die wuchtigen Türen öffnen und schließen selbstredend automatisch. Und bei 386 Litern Gepäckraum kommen auch reichlich Golf-Bags unter. Eine in diesem Segment immer noch wichtige Maßeinheit.
Auf Knopfdruck verschieben sich die Dimensionen
Auch sonst gibt es einen gewaltigen Unterschied: Hierzulande mag Eigenlenk-Verhalten weit verbreitet sein, da jedoch, wo die G90 rollen werden – vor allem in Asien – sitzen Vertreter der ersten Reihe standesgemäß in der zweiten. Kein Wunder also, dass vom neuen Flaggschiff der Marke die meisten in Langversion auf Kiel gelegt werden. Deutschland hingegen ist für wahren Luxus eher ein Nischenmarkt.
Auf Knopfdruck verschieben sich dann die üblichen Dimensionen, der Beifahrersitz gleitet nach vorne und in weniger als einer halben Minute entpackt sich eine lederne Lümmellandschaft für den rechten Hintersassen. Mit Monitoren, Rückenmassage, feinem Duft und dezenter Sitzbelüftung. „Da legst di nieder“, würde man im Süden der Republik sagen. Mit viel Bewunderung – und einem Hauch von Neid. Immerhin: Die 5,47 Meter der Langversion kann exakt noch der Maybach bieten – 7er, A8 und sogar die gestreckte S-Klasse sind ein gutes Stück kürzer.
Bei allem Fond-Komfort indes lässt sich der Chauffierte etwas entgehen. Trotz der Abmessungen (5,28 Meter bei normalem Radstand), geht es im G90 dank serienmäßiger Hinterachslenkung nämlich überraschend agil und strichgenau um alle Radien. Insbesondere dann, wenn man die serienmäßige Luftfederung von zart gen hart trimmt. Wanken in der Kurve war dann. Obendrein spähen Sensoren die Straßenoberfläche aus und stimmen die Dämpfung über den 20-Zöllern auf kommendes Ungemach ein. Bei ambitionierten Bewegungen um die Hochachse indes zeigt der G90 dem Fahrer sicherheitshalber schon mal, was ein Spanngurt ist.
Sitz-Massage, Klima-Komfort, Duft-Erlebnis
Allerdings ist Kurvenraub kein bisschen die Kernkompetenz des koreanischen Kaventsmanns. Er brilliert in der Disziplin Sänfte. Zum opulenten Zierrat aus Lack, Holz oder Leder gibt’s Ambiente-Beleuchtung kombiniert mit Sitz-Massage, Klima-Komfort, Duft-Erlebnis und Musik aus einem Sound-System, dessen 23 Lautsprecher sich für perfekten Hörgenuss zum Konzertsaal der Wahl programmieren lassen. Boston Symphony Hall gefällig? Knopfdruck genügt. So geht Wohl-Fahrt auf Koreanisch.
Zur Wahl des Antriebs muss man sich keine Gedanken machen – es gibt nur eine. Die allerdings wirkt gegenüber der Konkurrenz, die allesamt rein Elektrisches im Angebot hat, wenig wegweisend. Und verglichen mit einem Akku-Antrieb akzeleriert der 3,5-Liter-V6 trotz seiner 415 PS dann doch eher verhalten. Dass ihm ein 48-Volt-Kompressor beim Verfüllen des Turbolochs hilft, ist bei bis zu 2,5 Tonnen Leergewicht durchaus nötig. Schnell wie ein Wimpernschlag liegt einen Hauch jenseits des Leerlaufs Ladedruck aus zigtausend Umdrehungen an, bis etwa eine Sekunde später der heiße Abgasstrom für die übliche Zwangsbeatmung sorgt.
Immerhin: Acht-Stufen-Automatik und Allradantrieb sorgen für geschmeidiges Fortkommen. Nur 5,4 Sekunden erlaubt sich der lange G90 bis Tempo 100, rauf geht’s bis 250. Allerdings kommt man dann nicht annähernd in die Region der offiziellen 11 Liter auf 100 Kilometer. Nicht mal mehr lenken und bremsen müsste man, weil der Top-Genesis rundum Obacht gibt, automatisch in der Spur bleibt, in tote Winkel späht, auf das richtige Tempo achtet, gebührend Abstand hält und – wenn sonst nichts mehr hilft – sogar den Anker wirft. Nur bei der Geschwindigkeitserkennung verzetteln sich die Sensoren ab und an. Aber dass man nicht mit 80 durch die Ortschaft hämmert, weiß der geübte Chauffeur sicherlich auch so.
Liebe zum Detail und feinste Handwerkskunst
Apropos Chauffeur: Ein schickerer Arbeitsplatz als im G90 ist schwer vorstellbar. Die Hände am gewärmten Kranz, den Rücken in schickem Gestühl, die Augen vor einem Breitband-Cockpit, zu dem die beiden Zwölf-Zoll-Bildschirme verschmelzen. Der ganze Mensch umgeben von traditionellen Materialien, Liebe zum Detail und feinster Handwerkskunst. Warum sollte nicht auch im Auto gelten, was die Koreaner „son nim“ nennen: Gastfreundschaft? Sogar die Radio-Botschaft kommt aus der Kopfstütze. Man will die Herrschaften im Fond ja nicht mit schnöden Navi-Ansagen nerven.
In diesem Auto steckt eben alles, worüber Genesis automobilen Luxus definiert. Das reicht vom Fingerabdruck-Sensor über die sich fahrstilabhängig füllenden Sitzwangen bis zum Recycling-Material. Wer sich die Mühe macht, die aus alten Zeitungen gemaserten Türfüllungen „Newspaper Stripe Wood“ genau zu betrachten, kann sogar noch den einen oder anderen Buchstaben entdecken.
Kein Herz haben die Koreaner für Krämerseelen. Dem Genesis-Anspruch gemäß ist Vollausstattung serienmäßig. Keine Kataloge an buchbarem Zubehör, keine konfus geschnürten Pakete – es bleibt gerade mal die Wahl zwischen Kurz- und Langversion, zehn Lackierungen und sechs Innenausstattungen. Dementsprechend transparent ist der Preis: Der Schlag zum G90 öffnet sich für 115.000 Euro, für die Langversion muss man 10.000 Euro drauflegen. Im Gegenzug gibt’s ein Auto mit fast schon eigener Postleitzahl, fünf Jahre Garantie und einmal im Jahr Lederpflege und Ozonreinigung. Man gönnt sich ja sonst nichts.