Kia EV6: Beginn einer Freundschaft

Kia EV6: Beginn einer Freundschaft
Der EV6 von Kia bietet dank einer Länge von 4,68 Meter ausreichend Platz. © Mertens

Man muss das Design des Kia EV6 nicht mögen, auch seine Größe nicht. Doch das ändert nichts daran, dass dieses Elektroauto viele Stärken hat, aber auch einige Schwächen.

Aussehen und Abmessungen eines Autos sind Dinge, die zum einen subjektiv sind, zum anderen von den persönlichen Bedürfnissen abhängen. Ich gestehe: mich spricht das Design des Kia nicht an. Es gibt für mich schönere Autos.

Doch in den drei Monaten, in denen ich den Kia EV6 als Testwagen gefahren bin, wurde ich ein ums andere Mal von Nachbarn oder beim Gespräch an der Ladestation darauf angesprochen, wie ansehnlich der EV6 ist. Ich habe es kommentarlos zur Kenntnis genommen.

EV6 bringt es auf eine Länge von 4,68 Meter

Dann sind da noch die Abmessungen: der Kia EV6 bringt es auf eine Länge von 4,68 Meter, eine Breite von 1,88 Meter und das alles bei einer Höhe von 1,55 Meter. Das ist viel Auto. Für mich – der in Berlin lebt – zu viel Auto. Ich bin ein Freund kleinerer Elektroautos. Aber auch das ist nebensächlich, wenn es um die Begutachtung der Qualitäten des EV6 geht. Es gibt genug Kundinnen und Kunden, die genau ein solches Auto brauchen, weil sie Familie haben oder eben viel Platz für die Fahrt in den Urlaub brauchen.

Den bietet ihnen der Koreaner zur Genüge. Das Kofferraumvolumen liegt bei mindestens 490 Liter, bei umgeklappter Rückbank sind es sogar bis zu 1300 Liter. Vorn, unter der Haube, lässt sich im so genannten Frunk noch zusätzlich 52 Liter Gepäck verstauen. Das reicht für eine größere Reisetasche. Oder anders ausgedrückt: Bei unserer Fahrt an die Mecklenburgische Seenplatte haben wir problemlos neben unserem Gepäck ein SUP sowie ein Falt-Kanu im Kofferraum untergebracht – und damit war der Platz nicht erschöpft. Für diejenigen, die also Kinder oder ein Hobby haben, das mit einem gewissen Platzbedarf einhergeht, ist der EV6 ein passendes Auto. Aufgrund seiner Abmessungen und seines Radstandes von 2,90 Meter finden dabei nicht nur Fahrer und Beifahrer ausreichend Platz vor, sondern auch bis zu drei Mitreisende auf der Rückbank. Mit einer Körpergröße von 1,91 Meter sitzt man selbst im Fond sehr bequem.

Leistung von 229 PS mit Heckantrieb

Die Optik des Kia EV6 muss man mögen. Foto: Mertens

Doch kommen wir zu dem, was ein E-Auto ausmacht – und für viele nach wie vor ein wichtiges Kaufargument ist: seine Reichweite und die Ladegeschwindigkeit. In unserem Testwagen, einem Kia EV6 mit Heckantrieb, 229 PS Leistung und einer 77,4 kWh starken Batterie, werden einem 528 Kilometer in Aussicht gestellt. Die Ladegeschwindigkeit liegt dank der 800 Volt-Architektur bei bis zu 240 kW. Der Verbrauch wird kombiniert mit 17,2 kW und 12,6 kW in der Stadt (bei 20 Zoll Reifen) angegeben. Das hört sich gut an. Doch hält die Praxis auch das, was die Papierform verspricht?

Es kommt darauf an – und nicht nur auf den Fahrer und sein Verhalten, sondern auch auf die Außentemperatur. Denn wie bei allen Elektroautos mag auch die Batterie im EV6 keine kalten Temperaturen. Nein, damit ist nicht der Winter gemeint, sondern die Zeitspanne von Mitte Juli bis Mitte Oktober. Es ist die Zeit, in denen wir den EV6 als Dauertester bewegt haben. Wer sich erinnert, gab es im Juli/August noch Temperaturen um die 30 Grad – und das mag auch der Kia EV6. Der Blick auf die Verbrauchsanzeige sorgte dann ebenso für zufriedene Gesichter wie der auf das Display der Schnellladestation. Da stand zum einen ein Verbrauch von 15,7 kWh auf 100 Kilometer, zum anderen lud sich die Batterie über einen längeren Zeitraum mit 220 kWh bei einem SOC zwischen 10 und 30 Prozent auf, um dann im Bereich von 75 Prozent auf 145 kWh abzufallen. 145 kW sind eine Ladeleistung, die andere E-Autos maximal in der Spitze erreichen, wenn überhaupt. Mit solchen Daten unterwegs zu sein, sorgt beim Fahren eines E-Autos für richtig Spaß.

Allerdings habe ich während der Testfahrten darauf verzichtet, auch über längere Zeit die sportlichen Möglichkeiten aus dem Kia herauszukitzeln – und über die verfügt er sehr wohl, Wer will, der kann in 7,3 Sekunden auf Tempo 100 sprinten, die Höchstgeschwindigkeit ist bei 185 km/h erreicht. Wer den Verbrauch nicht im Blick hat, der kann dann gern auch im Sport-Modus unterwegs sein. Er sorgt dann dafür, dass der EV6 es besonders agil angehen lässt.

Zehn Grad – und die Ladeleistung sinkt deutlich

Ladestopp mit dem Kia an einer Ionity-Station in Dänemark. Foto: Mertens

Doch ab Mitte September sanken die Temperaturen teils auf 10 Grad – nachts gerne auch darunter. Und das mag die Batterie nicht. Der Verbrauch lag auf einmal – bei gleicher Fahrweise und weiterhin im Eco-Modus – bei 18,6 kWh, und statt lange mit einer hohen Leistung von 220 kW den Ladevorgang zu beginnen und diese zu halten – begann der Start bei 69 kWh, um dann ab 50 bis 60 Prozent auch noch einmal auf 120 kWh zu kommen.

Dass dem so ist, liegt an der fehlenden Möglichkeit der Präkonditionierung und der nicht vorhandenen Wärmepumpe in unserem Testwagen. Ein Umstand, der unsere Freude an diesem Kia EV6 doch arg getrübt hat. Dass die Präkonditionierung in Arbeit ist, beruhigt dann wenig. Es sollte bei einem Auto wie dem Kia EV6 – der Einstiegspreis unseres Testwagen beginnt bei 50.950 Euro – selbstverständlich sein, dass die Batterie auf den kommenden Ladestopp vorbereitet wird.

Kein Routenplaner für Ladestopps

Das Cockpit wird von großen Bildschirmen dominiert. Foto: Kia

Das gleiche trifft auf einen klassischen Routenplaner zu. Während andere E-Autos dieser Preisklasse anzeigen, mit welchem Batterieladestand man die auf der im Navigationssystem abgelegten Punkte erreicht – gibt es so etwas im Kia schlichtweg nicht. Auf der Fahrt nach Nord-Dänemark habe ich einen solche Hilfe dann doch arg vermisst. Auch er sei in Arbeit, sagt Kia auf Anfrage. Ein entsprechendes Software-Update werde dann bei einem Werkstattbesuch aufgespielt, vielleicht schon Ende des Jahres.

Auch ich musste während unseres Dauertests die Werkstatt aufsuchen. Eigentlich sollte nur ein (1) Software-Update aufgespielt werden, allerdings ein sicherheitsrelevantes für die elektronische Schaltkontrolleinheit. Mit ihm sollte ein Wegrollen des Fahrzeugs beim Auto-Stopp ausgeschlossen werden. Doch dabei blieb es nicht: insgesamt spielte die Werkstatt insgesamt sechs Neuerungen ein – und tauschte zudem noch den Klimakompressor. Solche Updates – mit Ausnahme des sicherheitsrelevanten – bekommt der Kunde indes nicht mit. Allerdings zeigt das, welche Rolle die Software heute in modernen Autos spielt.  Derlei Updates und Serviceaktionen gehören jedoch zum Alltag der Werkstätten – und Kia hat sie nicht exklusiv.

Positives Fazit nach drei Monaten

Auch wenn mich die Ladeleistung bei niedrigeren Temperaturen, die fehlende Vorkonditionierung und der derzeit noch nicht vorhandene Routenplaner während den ausgiebigen Testfahrten doch arg störten, hinterließ der Kia einen sehr stimmigen Eindruck.

Dazu trugen auch die umfassenden Fahrassistenzsysteme bei. Den aktiven Totwinkelassistenten mit Monitoranzeige (bei gesetztem Blinker wird der rückwärtige Verkehr angezeigt) lernt man gerade bei Autobahnfahrten ebenso zu schätzen, wie den Lenk- und Bremseingriff für die Fälle, indem man mal ein Fahrzeug beim Spurwechsel übersehen hat. Das hilft ebenso Unfälle durch Unachtsamkeit zu vermeiden, wie es die Funktion des  Querverkehrswarner inklusive Notbremsassistent für den Heckbereich tut. Das ist alles stimmig – und ausgereift.

Entsprechend fiel die Trennung Mitte Oktober vom EV6 auch nicht so leicht. Ja, ich bin immer noch kein Fan des Designs – und für das Gros meiner Fahrten ist mir der Kia weiterhin zu groß. Aber irgendwie vermisse ich ihn.

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