Mercedes EQE SUV: Stadt, Land, Stern

Mercedes EQE SUV: Stadt, Land, Stern
Gute drei Meter Radstand bei 4,86 Metern Länge: der neue Mercedes EQE SUV © Mercedes-Benz

Als SUV ist der Mercedes EQE kürzer als die Limousine, dafür höher und schwerer. Das merkt man bei der Reichweite. Und auch am Preis.

Es ist ein Jammer. Da bauen findige Ingenieure ein Auto, das die tollsten Sachen kann – und am Ende wird der Wagen zwar voller Stolz gekauft, aber nur in absoluten Ausnahmefällen wirklich gefordert. Rollt zu Kita, Ökoladen und vor die Oper, dabei könnte er genauso gut einen Geröllweg hochfahren oder quer durch ein Bachbett schaukeln. Vielleicht sollte es Flensburg-Punkte geben, wenn man mit dem neuen Mercedes EQE SUV nicht mindestens einmal im Quartal durch eine Kiesgrube pflügt. Gelände geht schließlich auch elektrisch…

Bei Mercedes hat diese Fahrt eher verhalten begonnen, doch seit im Automobilbau Maßstäbe wie Reichweite, Ladetempo und Akku-Management gelten, herrscht jetzt Hochspannung: Immer mehr Modelle werden im Konzern unter Strom gesetzt. Da mag der Bundesverkehrsminister noch so sehr für E-Fuels streiten.

Das gehobene Elektro-Pendant zur E-Klasse bringt es auf 4,86 Meter Länge bei 3,03 Metern Radstand und sieht damit erfreulich weniger wuchtbrummig aus als der dicke EQS-Bruder. Nicht ohne Grund verkauft sich der vorrangig in China und den USA, wo die Sicht auf Stromverbrauch, Ressourcen und Weltklima traditionell eine eher großzügige ist. Dass auch eine Nummer kleiner Premium-Gefühl herrscht, dafür haben sie bei Mercedes gesorgt. Wem der EQE SUV keine Freude am spannenden Vortrieb beschert, dem ist mit Batterien und permanenterregten Synchronmotoren wohl generell nicht beizukommen.

Auf Wunsch mit Hyperscreen

Auf 1,40 Meter Breite spannt sich auf Wunsch der Hyperscreen über das Cockpit. Foto: Mercedes-Benz

Platz hat’s vorne wie hinten reichlich. In passgenauem Sitz und mit Blick auf ein Cockpit im 1,40 Meter messenden Breitwand-Format, zu dem drei Bildschirme im optionalen Hyperscreen unter gemeinsamem Glas verschmelzen. Opulenter war selten ein Kommandostand. Mit gut 8500 Euro Aufpreis allerdings auch selten teurer. Hübscher Gag: Der Beifahrer kann auf seinem 12-Zoll-Teil bewegte Bilder schauen, während eine Kamera darüber wacht, dass der Fahrer nicht heimlich den Blick von der Straße wendet und nach drüben schielt. Tut er’s doch, wird rechts automatisch gedimmt. Kleiner Trost: Auch der serienmäßige Touchscreen reicht völlig.

Material und Verarbeitung sind, wie man es von Mercedes erwarten darf. Zum vielfältigen Zierrat aus Lack, Holz oder Leder gibt’s Klima-Komfort und Musik, die bis in den Sitz wummert. Wen da das Gewissen plagt – zur Wahl stehen auch Naturfasern und für den Boden Recyclinggarne aus alten Fischernetzen. Wer lieber Last als Leute bewegt: 520 Liter packt der EQE SUV hinter großer Klappe weg, knapp 1,7 Kubikmeter sind’s bei umgelegten Lehnen. Und: Achtern dürfen – zumindest bei den Allrad-Modellen – 1,8 Tonnen an den elektrisch schwenkenden Haken. Im E-Segment ist das eine echte Hausnummer. Ein Edel-Frachter für die ganz große Fuhre.

Nicht mal mehr lenken und bremsen müsste man, weil der EQE SUV rundum Obacht gibt, automatisch in der Spur bleibt, auf das richtige Tempo achtet, gebührend Abstand hält, vor Sekundenschlaf warnt und – wenn sonst nichts mehr hilft – den Anker wirft. Mehr Spaß indes macht’s, wenn man Chauffeur Chip ab und an ein bisschen Pause gönnt.

Abschaltbarer Allradantrieb

Zum Marktstart bieten die Stuttgarter heckgetriebene Versionen mit 245 und 286 PS sowie Allrad-Modelle mit 286 und 408. Apropos Allrad: Clou der Technik ist eine neuartige Kupplung namens „Disconnect Unit“, die den Frontmotor samt Getriebe innerhalb einer Viertelsekunde zu- und wegschaltet. Treibt der EQE SUV bloß hinten, entfällt das Schleppmoment an der Vorderachse – ein Effizienzgewinn von sechs Prozent gegenüber der Kraft an beiden Achsen. Reichweite ist halt ein kostbares Gut.

Dazu müssen auch noch ein paar andere Mosaiksteinchen beitragen. Die serienmäßige Wärmepumpe etwa oder die „Wasserlanze“, über die Wärme aus der Hohlwelle des E-Motors transportiert wird. Sogar das optionale Trittbrett hat eine aerodynamische Funktion. Aus dem 90,6-kWh-Akku lassen sich so bis zu 596 Kilometer Radius saugen. Das sind knapp 60 Kilometer weniger als bei der Limousine, aber noch kein Grund für Reichweitenangst. Zumindest dann, wenn man die Hatz zur dreistelligen Tachoanzeige nicht zur Gewohnheit werden lässt und zum Maximaltempo ein wenig Abstand wahrt.

Bei einer ersten Ausfahrt fehlt dem starken Hecktriebler zwar der ganz harte Punch des Top-Modells, allerdings kontert er in kurvigem Geschlängel mit besserem Handling. So oder so geht es trotz der bis zu 2,6 Tonnen Gewicht federleicht und strichgenau um alle Radien. Jedenfalls dann, wenn man die optionale Luftfederung von zart gen hart trimmt. Fürs Gelände lässt sich mit ihr auch der Abstand nach unten um drei Zentimeter vergrößern. Es steht allerdings zu vermuten, dass die wenigsten Exemplare je mehr unter die bis zu 22 Zoll großen Räder bekommen als eine fein gekieste Landhaus-Auffahrt.

Navi mit „Electic Intelligence“-Funktion

520 Liter finden hinter der Heckklappe Platz, bei flachgelegten Lehnen sind es knapp 1,7 Kubikmeter. Foto: Mercedes-Benz

Noch mehr Spaß an gepflegter Bogenfahrt genießt, wer die optionale Hinterachslenkung ordert. Die macht den EQE SUV nicht bloß wendig im Parkhaus, sondern auf der Straße so agil wie eine A-Klasse. 10,50 zu 12,30 Meter Wendekreis ist halt schon ein Unterschied. Wer allerdings allzu flott in enge Ecken strebt, muss trotz modernster Technik erfahren, dass Masse nun mal den Weg Richtung Tangente nimmt.

Nachhaltiger ist ohnehin die gleichmäßige Fahrt. Dazu lässt sich die Rekuperation über Schaltwippen bis hin zum „One-Pedal-Driving“ einstellen. Das Navigationssystem verfügt über eine „Electric Intelligence“-Funktion. Heißt: Der EQE SUV berechnet – abhängig vom bei Zwischenstopps oder am Ziel gewünschten Akku-Rest – die optimalen Ladepunkte sowie die kürzestmögliche Verweildauer. Dabei schielt die Elektronik auf die Topographie, das aktuelle Wetter sowie den persönlichen Fahrstil – und bringt die Batterie rechtzeitig auf optimale Ladetemperatur. Viel schlauer geht’s kaum. Immer im Navi-Bild: die „Reichweitenkartoffel“ – flapsiger Ausdruck bei Mercedes für den verbleibenden, aber eben höchst selten kreisrunden Aktionsradius.

Fronthaube öffnet sich nur in der Werkstatt

So oder so jedoch geht dem Akku irgendwann der Saft aus. An der Wallbox mit 11 kW vergehen für die volle Ladung knappe zehn Stunden, bei optionalen 22 kW dauert es nur halb so lang. Deutlich schneller klappt’s an einer Gleichstrom-Säule. Hier lädt der EQE SUV mit bis zu 170 kW und kommt in gut einer halben Stunde von 10 auf 80 Prozent. Für 250 Kilometer reichen sogar 15 Minuten. Sehr viel länger dauert ein Sprit-Stopp samt Kaffee auch nicht wirklich. Dass der Ladestrom unter der im Fahrbetrieb möglichen Rekuperation von 255 kW liegt, hängt mit den physikalischen Eckdaten deutscher Ladestationen zusammen: 400 Volt mal 500 Ampere gibt eben nun mal 200 kW Maximum.

Für das Basismodell öffnen sich die Türen ab rund 83.500 Euro, das vorläufige Top-Modell ist gerade noch unter 100.000 zu haben. Man wäre aber nicht bei Mercedes, wenn sich zum Grundpreis nicht locker noch ein fünfstelliger Betrag zusätzlich anlegen ließe. Premium hat eben seinen Preis – Akku hin oder her.

Wer übrigens glaubt, er könne beim EQE SUV noch unter die mächtige Fronthaube schauen: weit gefehlt. Ölstand gibt’s nicht mehr zu kontrollieren – und der Rest der Technik ist zu kompliziert und damit Privileg des Werkstattmeisters. Einzig Wischwasser gibt man noch in die Kompetenz des Fahrers. Nachgefüllt wird über einen ausklappbaren Stutzen im linken Kotflügel. Nicht ausgeschlossen aber, dass die meisten Kunden auch hierfür das Autohaus ihres Vertrauens besuchen.

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