Als SUV ist der Mercedes EQS zwar etwas kürzer als die Limousine, dafür aber höher und schwerer. Prädestiniert für USA und China.
Der Wind, so lernt man, ist gerne Trittbrettfahrer. Jedenfalls dann, wenn er ein E-Auto umströmt. Sagt Dr. Oliver Röcker zwar nicht so, erschließt sich aber aus dem Vortrag des Chefingenieurs über verkleidete Unterböden. Und Unterboden hat’s reichlich beim Mercedes EQS SUV. An die zehn Quadratmeter, grob gerechnet. Das kommt halt heraus, wenn man Entwickler am Rand der Elektro-Plattform suchen lässt. Aber sie wollten in Stuttgart ja eben auch kein E-SUV austüfteln, sondern eine Art gehobene S-Klasse mit Akku-Antrieb.
Das Resultat: Mercedes muss die breitesten Fußmatten der Firmengeschichte knüpfen lassen. Über Jahrzehnte dominierte schließlich auch den Fond ein wuchtiger Kardantunnel, jetzt im Elektrozeitalter herrscht oberhalb der flachen Bodenbatterie nahezu grenzenloser Freiraum. Für Designer und Passagiere.
Trotz allen gestalterischen Feinschliffs aber ist der EQS das, was man ein Dickschiff nennen muss. Satte 5,12 Meter lang, rund 2,7 Tonnen schwer – und mit 3,21 Metern kommt allein der Radstand fast auf die Länge eines Kleinstwagens. Kollateralnutzen der stolzen Abmessungen: Platz en masse und auf Wunsch sogar eine dritte Reihe. Mit Sitzheizung, versteht sich.
Edel-Frachter für die ganz große Fuhre
Hinter voller Bestuhlung findet, zumindest dem Auge nach, immer noch ein Golfbag Platz – eine in der Oberklasse nach wie vor höchst wichtige Maßeinheit. Wer richtig Stauraum braucht, lässt das Gestühl elektrisch fallen. Das sorgt hinten für einen ebenen Ladeboden, erst wenn man auch noch die zweite Reihe umlegt, steigt der Untergrund leicht an. 600 Liter packt der EQS SUV in der fünfsitzigen Konfiguration weg, 2,1 Kubikmeter sind’s bei umgelegten Lehnen. Und: Achtern dürfen 1,8 Tonnen an den Haken. Ein Edel-Frachter für die ganz große Fuhre.
Die Technik teilt sich der Wuchtbrummer mit der Limousine. Die Basis-Version reicht 245 kW (333 PS) ins Heck, beim 580 4Matic landen 385 kW (523 PS) per Torque Shift klug verteilt an beiden Achsen. Kommen werden wohl auch ein 560 kW (760 PS) starkes Performance-Modell vom hauseigenen Ertüchtiger AMG sowie eine Maybach-Variante. Strom liefern zwei optionale Akku-Packs mit 90 und 108 kWh.
Strom gezapft wird mit bis zu 200 kW
Die Reichweite jedenfalls wird – schon wegen Höhe und Gewicht – unter der des EQS liegen, laut Röcker aber noch immer deutlich oberhalb von 600 Kilometern. Und vermutlich werden beim Top-Modell weniger als fünf Sekunden vergehen, bis die dritte Ziffer im Tacho erscheint. Ob das unter dem Aspekt nachhaltiger Mobilität klug ist, muss jeder mit sich selbst abmachen. Die meisten Exemplare werden ohnehin in den USA und China unterwegs sein. Da ist die Sicht aufs Weltklima traditionell eine wenig verkniffene.
Doch dicker Akku ist gar nicht mehr so sehr die Philosophie bei Mercedes. Am Supercharger zapft der EQS SUV bis zu 200 kW und kommt in rund einer halben Stunde von 10 auf 80 Prozent. Dass es weniger als die im Fahrbetrieb mögliche Rekuperation von 290 kW ist, liegt an den physikalischen Eckdaten deutscher Ladestationen. 400 Volt mal zulässige 500 Ampere gibt halt 200 kW Maximum. So ein Benz kann eben mehr.
Hinterachslenkung und Luftfederung sind Serie
In Sachen Ambiente ohnehin. Da ist alles, wie man es von einem erklärten Premium-Modell erwartet: opulent und edel. Auch der Hyperscreen wird sich wohl in den meisten Modellen finden. Ein Cockpit im Cinemascope-Format, zu dem drei Bildschirme unter gemeinsamem Glas verschmelzen. Breitwandiger war selten ein Kommandostand. Hübscher Gag: Der Beifahrer kann auf seinem Teil bewegte Bilder schauen, während eine Kamera darüber wacht, dass der Fahrer nicht heimlich den Blick von der Straße wendet und nach drüben schielt. Tut er’s doch, wird rechts automatisch gedimmt. Ätsch.
Das Fahrverhalten lässt sich bislang nur vermuten. Hinterachslenkung ist jedenfalls Serie – bei dem Radstand ein Muss, will man irgendwie in ein Parkhaus kommen oder radial ähnlich beschränkte Regionen. Luftfederung gibt’s ebenfalls ab Werk. Verstellbar von zart gen hart – und auch in der Höhe variabel. Um 15 Millimeter geht’s jenseits von Tempo 120 abwärts – und wer wider Erwarten doch mal ins Gelände fährt, kann die Luft nach unten um zweieinhalb Zentimeter erweitern. Es steht allerdings zu vermuten, dass die wenigsten Exemplare jemals mehr unter die bis zu 22 Zoll großen Räder bekommen als eine fein gekieste Landhaus-Auffahrt.
Wer übrigens glaubt, er könne beim EQS SUV noch unter die mächtige Fronthaube schauen: weit gefehlt. Ölstand gibt’s nicht mehr zu kontrollieren – und der Rest der Technik ist zu kompliziert und damit Privileg des Werkstattmeisters. Einzig Wischwasser belässt Mercedes noch in der Kompetenz des Fahrers. Nachgefüllt wird über einen ausklappbaren Stutzen im linken Kotflügel. Bei einem Modell, dessen Basisversion wohl gerade noch fünfstellig daherkommt, werden aber vermutlich die meisten Kunden selbst dafür noch ins Autohaus fahren.