Hyundai Ioniq 5 N: Ein perfekter Simulant

Hyundai Ioniq 5 N: Ein perfekter Simulant
Der Hyundai Ioniq 5 N fährt bis zu 260 km/ schnell. © Axel F. Busse

Der neue Hyundai Ioniq 5 N ist spurtstark wie manch andere, aber emotional wie kein zweiter: Ein Beispiel für einen Elektro-Sportwagen, das Schule machen sollte.

Seit es leistungsstarke E-Pkw gibt, sind die Sportwagenfans gespalten: Zwar lieben sie die brachiale Beschleunigung der oft mehr als 500 PS leistenden Stark-Stromer, doch das unaufgeregte Dahinzischen ohne volltönendes Begleitkonzert weiß nicht recht zufrieden zu stellen. Versuche, ein wenig angemessenen Sound in die Kabine zu bringen, hat es schon gegeben, nur ist niemand so konsequent vorgegangen wie Hyundai. Ansaug- und Verbrennungsgeräusch, Auspuff-Stöße wie Zwischengas, ein kehliges Sprotzeln bei Freigabe des Fahrpedals und ruckartiges Einrasten einer Kupplung – all das kann man im Hyundai Ioniq 5 N erleben. Elektronische Simulation schafft die perfekte Illusion.

Nichts von den akustisch und physisch spürbaren Erscheinungen ist „echt“, wenn man dies im Sinne herkömmlichen Verbrennungsantriebs und Kraftübertragung durch mechanische Kupplung versteht. Aber mithilfe der Aufbietung enormer digitaler Rechenleistung fährt er sich auch hörbar (fast) wie ein „richtiger“ Sportwagen. Oliver Jung, Entwicklungs-Ingenieur bei Hyundai, zieht einen griffigen Vergleich: „Es werden pro Sekunde etwa so viele Daten verarbeitet, als würde man zehn Audio-CDs gleichzeitig abspielen“. Drei Klangmuster sind wählbar, darunter ein „Supersonic“-Modus, der mit der spielerischen Variante eines Überschall-Knalls aufwartet.

Drehzahl-Kino im Head-Up-Display

Das „N“ darf im Innenraum des Hyundai Ioniq 5 N nicht fehlen wie hier auf dem Lenkrad. Foto: Hyundai

Reproduzierbare Laut- und Klangfolgen, in der Musikbranche spricht man von Samples, werden durch einen Signalgenerator zu intern und extern wirkenden Lautsprechern geschickt, die lastabhängig in Tonhöhe und Lautstärke variieren. Das Ergebnis ist die Modulation einer adaptiven Synthese aus Motorlast und –drehzahl, aus Pedalstellung und Fahrgeschwindigkeit. Die visuelle Krönung dieser Vorspiegelung falscher Tatsachen: Die wirklichen Umdrehungen der Elektromotoren, beim Hyundai Ioniq 5 N bis zu 21.000 Rotationen je Minute, werden umgerechnet in die vergleichbare Drehzahl eines Verbrennungsmotors und der Wert ist als beweglicher Balken im Head-Up-Display zu sehen.

Doch damit nicht genug: Wo sonst eine Armada elektronischer Assistenz- und Hilfssysteme damit beschäftigt ist, den Wagen selbst am Grenzbereich stabil und spurtreu zu halten, hat Hyundai deren Wirkung auch auf die andere Seite der Skala ausgedehnt. Beispielsweise gibt es einen „Drift-Optimizer“, mit dem die lenkende Person die im Normalfall je zur Hälfte auf beide Achsen wirkenden Antriebskräfte bis zu einem Anteil von 90 Prozent an die Hinterräder verschieben kann. Der Effekt: Bei gleichzeitiger Minderung des ESP-Zugriffs wird die Neigung zum Übersteuern heraufgesetzt, so dass selbst Ungeübte – sicheres Terrain vorausgesetzt – einen vorsichtigen Ausflug in die wunderbare Welt des Querfahrens wagen können. Braucht zwar kein Mensch, macht aber höllisch Spaß, wenn man erst einmal den Bogen raushat.

Fünf Zentimeter Breitenzuwachs

Nun ist das Modell Ioniq 5 nicht gerade als Reinkarnation eines Super-Sportwagens auf die Welt gekommen. Zwar durchaus gefällig gestylt, aber eher im Kleide einer biederen Familienkutsche hat der Wagen 2023 rund 11.000 Neuzulassungen in Deutschland erreicht, das ist etwa so viel, wie es auch beim Kleinwagen i20 waren. Als Kurvenräuber für den Rundkurs rollt die „N“-Version nun in der Verkleidung als Pistensau ins Geschehen. Ein Frontgrill verbessert die Luftzufuhr im Temperatur-Management, orangefarbige Akzente zieren Karosserie und Bremssättel, es gibt breitbeinige Kotflügel-Anbauten, 21 Zoll messende Felgen, 400 mm große Bremsscheiben vorn und einen verlängerten Dachspoiler.

Die Kapazität der Batterie wurde auf 84 kWh erhöht, was mit einer Absenkung des Fahrzeug-Schwerpunkts auf unter 500 mm und einem Zuwachs an Gewicht um etwa 150 Kilo einhergeht. Dass die nun 2,2 Tonnen schwere Fuhre an Temperament eingebüßt hätte, braucht niemand zu befürchten, denn die Leistung der beiden Motoren summiert sich auf 448 Kilowatt (609 PS) bei einem Drehmoment von 740 Newtonmetern. Damit sind bei Aktivierung der Launch-Control 3,4 Sekunden für den Standard-Sprint auf 100 km/h drin. Wem das noch nicht reicht, der kann die „Grin-Boost“-Taste am Lenkrad drücken und mobilisiert während der Fahrt schlagartig 650 PS und 770 Newtonmeter – ein Zehn-Sekunden-Inferno, das nach Luft schnappen lässt. Sein Ende der Beschleunigung erreicht der Ioniq 5N bei 260 km/h.

Gemäßigter Alltags-Verbrauch

Wer mag, der kann im Hyundai Ioniq 5 N bis zu 260 km/h schnell sein. Foto: Hyundai

Damit die Batterie bei dieser anhaltenden Kraftmeierei genauso schnell wieder fit ist, wie die adrenalin-lechzenden Insassen, verwendet das „N“-Modell die bewährte 800-Volt-Technik der Basisversion. Sie verspricht eine Neubefüllung des Akkus von 10 auf 80 Prozent Kapazität in unter 20 Minuten. Jenseits der Rennstrecke und in gemäßigtem Tempo verbrauchte der Wagen laut Bordrechner bei diesen Testfahrten um 22 kWh/100 km.

Schnellfahren ohne Reue ist auf öffentlichen Straßen europaweit bekanntlich nur in Deutschland möglich, weshalb man es bei Hyundai für möglich hält, dass etwa die Hälfte der auf dem Kontinent absetzbaren Ioniq 5 N-Versionen hierzulande verkauft werden können. Eine gewisse finanzielle Bewegungsfreiheit ist allerdings vonnöten. Der umfangreich ausgestattete Fünftürer wird für 74.990 Euro angeboten.

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Axel F. Busse
Axel F. Busse ist gelernter Redakteur, sein kommunikations-wissenschaftliches Studium absolvierte er an der FU Berlin. Nach Tätigkeiten bei Tageszeitungen, wo er sich mit Auto- und Verkehrsthemen beschäftigte, arbeitet er seit 2003 als freier Autor ausschließlich in diesem Bereich. Außer für die Autogazette schreibt er für verschiedene Online- und Printmedien.

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