Es ist ein Geräusch, das man kaum noch zu hören bekommt. Wenn der Kompressor des Cadillac CTS-V hochtourt, ist es vorbei mit der Vernunft einer gediegenen Oberklasse-Limousine.
Dann verfällt man dem V8-Geboller und die Hinterreifen scharren auf der Suche nach Traktion. Vernunft? Mag es bei einem Porsche Panamera mit Hybrid-Antrieb oder einem BMW M5 mit vier angetriebenen Rädern noch ansatzweise geben – nicht jedoch beim herrlich ehrlichen Cadillac.
Generell ist der große Ami, der hierzulande ein absolutes Schattendasein fristet, eine erfrischende Alternative zum bekannten Portfolio der großen deutschen Marken. Und eine absolut seltene noch dazu: Subjektiv sieht man eher mal einen Lamborghini Aventador oder einen Porsche 918 als den großen Straßenkreuzer von GM. Dabei hilft die geringe Auflage durchaus in Sachen Image und Wahrnehmung.
Cadillac CTS-V sorgt für neugierige Blicke
Während man mit einem AMG- oder M-Modell schnell in die Proleten-Ecke gestellt wird, weiß der Ottonormalverbraucher schlicht nichts mit dem Cadillac-Logo und der ungewöhnlichen Frontpartie anzufangen. Man erntet also eher freundliche Neugier als Neid. Besonders schick kommt der Cadillac CTS-V mit dem optionalen Carbon-Paket daher, das eine Spoilerlippe vorne, einen kleinen Spoiler auf dem Heckdeckel, einen Hauben-Einsatz sowie einen Diffusor umfasst. Deutlich unauffälliger: Die Motorhaube ist ebenfalls aus dem leichten Werkstoff gefertigt.
Zugegeben, man darf es dann mit dem Underdog-Image natürlich auch nicht übertreiben. Im „Rennstrecken“-Modus trompetet der CTS-V schon sehr ordentlich aus seinen vier Endrohren, besonders das Kaltstartgeräusch verursacht mit seinem rotzigen V8-Röhren Gänsehaut. Doch dank der früh schaltenden Achtgang-Automatik trottet der Cadillac innerstädtisch stets in sozialverträglichen Tonlagen vor sich hin. Lässt man die 477 kW/649 PS dann von der Kette, ist der Sound dem des Organspenders Corvette Z06 nicht ganz unähnlich.
Hohe Elastizität bei hohem Tempo
Doch der CTS-V und sein 6,2 Liter großes Herz haben noch andere Qualitäten. Zum Beispiel die Elastizität bei Autobahn-Geschwindigkeiten. Im Geschwindigkeitsbereich zwischen 130 und 280 km/h bewegt sich der Cadillac mit einer Leichtigkeit, die man dem großen Ami nicht zutrauen würde. Druck ist dank der 855 Newtonmeter jederzeit vorhanden und auch die Aufhängung trägt ihren Teil zum fantastischen Handling bei gehobenem Reisetempo bei. Das adaptive „Magnetic Ride Control“-Fahrwerk bügelt harte Stöße konsequent aus und überspielt längere Wellen souverän mit einem leichten Limousinen-typischen Nachschwingen. Auch die Lenkung passt zum Gesamtbild und vermittelt dank etwas höheren Kräften als bei der deutschen Konkurrenz ein robustes Bild, das zum Gesamtauftritt des CTS-V passt. Sportfahrer dürften sich außerdem über den Agilität versprechenden kleinen Lenkeinschlag freuen.
So überrascht der CTS-V auch auf engeren Landstraßen mit einer Dynamik, die man dem großen Ami auf den ersten Blick nicht zutrauen würde. Hier spielt sicherlich auch das vergleichsweise „niedrige“ Gewicht von 1860 Kilogramm eine Rolle. Ein BMW M5 liegt bei 1930 Kilogramm, ein Mercedes-AMG E S 63 bei 1955 Kilogramm. Wer hätte das gedacht?
Achtgang-Automatik trübt Freude
Was den Spaß auf der Landstraße etwas dämpft? Die Achtgang-Automatik. Der Wandler ist leider nicht wirklich auf dem Niveau der deutschen Konkurrenz und nervt beim zügigen Fahren mit langen Schaltpausen und einer gehörigen Verzögerung zwischen dem Ziehen der Schaltwippe und dem Umsetzen des Befehls. Wer selbst schalten möchte, sollte daher bereits frühzeitig vor dem Erreichen des Drehzahlbegrenzers den nächsten Gang anfordern. Witzige Idee: Wie der Feuerknopf auf dem Joystick eines Kampfjets ist der Schalter für den manuellen Modus beim CTS-V oben auf dem Schaltknauf positioniert.
Pluspunkte sammelt der CTS-V dafür mit seinem sehr gelungenen Innenraum. Im Fokus stehen hier die optionalen Schalensitze von Recaro, die zwar etwas tiefer montiert sein könnten, dafür aber einen hervorragenden Seitenhalt bieten – und dazu noch fantastisch aussehen. Der gelungene Mix aus Carbon, Leder und Velours im gesamten Cockpit lässt beinahe auch das altbackene Infotainment-System vergessen, das als einziges etwas aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Hier stimmen weder Optik noch Geschwindigkeit – das können BMW oder Mercedes deutlich besser. (SP-X)