Mercedes R 320 CDI: Variabler Raumgleiter

Mit der R-Klasse will Mercedes eine völlig neue Kundenschicht ansprechen. Als Topmodell auf dem deutschen Markt erwarten die Stuttgarter die Dieselversion mit kurzem Radstand.

Von Michael Langenwalter


Mercedes-Boss Dieter Zetsche konnte auch bei der Vorstellung der europäischen Version der R-Klasse in München in die Vollen gehen: «Die R-Klasse ist ein Trendsetter für ein neues Segment.» Und da haben die Stuttgarter Marketingleute genau hingeschaut. Zwischen SUV und MPV herrschte - zumal im Oberklassensegment - bislang gähnende Leere. Das hat sich mit der R-Klasse nun geändert: Ein Großraumfahrzeug mit sechs Sitzplätzen und Allradantrieb ist das Konzept, mit der Mercedes all seinen Konkurrenten wieder einmal davongefahren ist.

Das Design ist ein echter Hingucker - und etwas gewöhnungsbedürftig, zumal jegliche Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Doch Zetsche will erst gar keine Diskussion über die Linienführung aufkommen lassen: «Das ist ein knackiges Automobil.» Zumal der Manager noch mit einem weiteren Trumpf aufwarten kann. In Sachen Verarbeitung hat die Qualitätsoffensive der Schwaben bei der R-Klasse voll gegriffen. In Europa steht der noble Raumgleiter ab Februar 2006 bei den Händlern mit dem Stern.

Riesige Portal-Türen

Da die R-Klasse eigentlich auf die Vorlieben der Kunden in Nordamerika zugeschnitten wurde, waren für Europa einige Änderungen notwendig. So wird es hierzulande neben der Langversion auch eine um 23,5 Zentimeter verkürzten Variante geben. Die misst immer noch 4,92 Meter; und das reicht angesichts der engen Straßen auch völlig aus. Ein Problem aber bleibt. Nur selten wird man in der Stadt die riesigen Türen ganz öffnen können. Der Fahrer muss sich schon weit aus seinem Sitz herauslehnen, um hier überhaupt an die Griffe zu kommen.

Verwandlungskünstler

Platz im Innenraum gibt’s in der Kurzversion ohnehin genug. Zumindest für die Passagiere auf den ersten beiden Sitzreihen, die es sich in ihren äußerst komfortablen Einzelsitzen bequem machen können. Die dritte Sitzreihe ist dagegen nur für sehr agile Personen unter 1,70 Meter Körpergröße (der geneigten Dachlinie wegen) auf kürzeren Strecken zu empfehlen.

Dabei ist die Variabilität gerade eines der großen Pluspunkte der R-Klasse. Die hinteren Sitze sind schnell und einfach flachzulegen. Bei der mittleren Reihe ist darauf zu achten, dass die Vordersitze weit genug nach vorne gefahren wurden - sonst geht es nicht. Heraus kommt eine ebene, leicht abgeneigte Fläche, auf der bis zu 1950 Liter verstaut werden können. Leider präsentiert sich der mit edlem Teppich überzogene Ladeboden als Kraterlandschaft mit zahlreichen Löchern. Aber auch die lassen sich ja noch als Stauraum verwenden.

Sparsamer Diesel

Das Cockpit erinnern doch deutlich an die M-Klasse. Foto: Werk

Stolze 2,22 Tonnen wiegt die kurze R-Klasse schon im unbeladenen Zustand. Und die wollen bewegt werden. Mercedes setzt hier auf seinen exzellenten Dreiliter-V6-Diesel als Volumenaggregat, das im R 320 CDI 165 kW/224 PS leistet (und in den USA derzeit nicht angeboten wird). Das maximale Drehmoment von 510 Newtonmetern liegt zwischen 1600 und 2800 Umdrehungen an.

Trotz dieses imposanten Wertes tut sich der Motor im R 320 beim Anfahren etwas schwer mit dem Koloss, wie die ersten Testfahrten gezeigt haben. Auch beim Kick-Down dauert es etwas, bis der Raumgleiter weiter Fahrt aufnimmt. Der Sprint von 0 auf 100 km/h wird in 8,7 Sekunden erledigt; die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 222 km/h. Das können die beiden Benzinversionen, der R 350 und vor allem der R 500 mit dem V8-Aggregat unter der Haube, deutlich besser. Alle Motoren sind serienmäßig mit einer gut abgestuften Siebengang-Automatik kombiniert.

Ist die Masse aber erst einmal in Bewegung, spielt der Diesel seine Vorzüge in vollem Umfang aus. Ohnehin sieht Mercedes die R-Klasse vor allem als komfortables Langstreckenfahrzeug. Zwischen 9,3 und 9,5 Liter liegt der Durchschnittsverbrauch auf 100 Kilometer - das ist angesichts des riesigen Fahrzeuges wahrlich nicht viel. Zu hören ist vom Motor im Innenraum dank der hervorragenden Dämmung auch bei höheren Geschwindigkeiten nur ein leichtes, sonores Grummeln.

Schwankendes Dickschiff

Die R-Klasse fährt sich nicht ganz so schwankend wie die US-Version. Foto: Werk

Und noch ein dritter Unterschied besteht zur US-Version. Zetsche verspricht für Europa eine «straffere Federung» und eine «direktere Lenkung». Letzteres stimmt. Teil eins müsste aber korrekt lauten: eine «nicht ganz so weiche Federung». Die R-Klasse fällt auch in Europa durch ihre Wankbewegungen bei schnell durchfahrenen Kurven auf. Ein Dickschiff eben, das sich allerdings mühelos fährt und lenken lässt, sofern man hektische Richtungsänderungen vermeidet. Ansonsten muss der Fahrer am Lenkrad schon tüchtig zugreifen.

Einzig mit den Abmessungen sollte sich der Chauffeur zuvor vertraut machen. Denn optisch bietet die Karosserie vom hoch gelegenen Fahrersitz aus betrachtet kaum Anhaltspunkte.

Komfort kostet extra

Äußerst angenehm ist die weiche (Luft-) Federung. Unebenheiten werden meist ganz geschluckt. Nur ganz grobe Schläge werden bis zum Fahrer durchgereicht. Es empfiehlt sich, auch die Vorderachse entsprechend ausrüsten zu lassen (1276 Euro Aufpreis).

Überhaupt die Preisliste. Wie üblich gilt: Alles, was das Leben angenehm macht, kostet richtig Geld. 52.200 Euro werden für den R 320 CDI auf jeden Fall fällig (die Langversion kostet 1740 Euro mehr). Mehrere optionale Pakete treiben den Preis weiter nach oben. Das Panorama-Schiebedach (2494 Euro) ist wirklich eine feine Sache. Und das Pre-Safe-System (388,60 Euro) sollte auch nicht fehlen. Auf das «Keyless Go», also das Starten per Knopfdruck (1183,20 Euro), verzichten indes bei Mercedes ohnehin die meisten Kunden.

Jede Menge Potenzial

Wie viele Einheiten der R-Klasse im kommenden Jahr verkauft werden sollen, will der Hersteller aber nicht verraten. Dennoch lässt sich so einiges herausfinden. In Tuscaloosa können jährlich 60.000 Exemplare vom Band laufen. Die Hälfte ist für den nordamerikanischen Markt bestimmt. Bei 30.000 Exemplaren für den Rest der Welt fällt für den deutschen Markt da nicht viel ab. Dabei sieht Mercedes bei diesem neu definierten Marktsegment noch jede Menge Potenzial. Mit Recht. Schließlich bietet die neue R-Klasse für jeden Geschmack etwas.

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