Audi e-tron GT: Zu Unrecht im Schatten des Taycan

Audi e-tron GT: Zu Unrecht im Schatten des Taycan
Der Audi e-tron GT bietet eine Reichweite von über 500 Kilometer. © Audi

Ein wenig steht der Audi e-tron noch immer im Schatten des Porsche Taycan. So richtig verstehen kann man das indes nicht.

Mit E-Autos hat Audi bislang wenig Glück. Der Crossover Q4 war einst einer der Leidtragenden der Lieferkettenprobleme nach Corona, bei A6 und Q6 verzögerten anhaltende Software-Probleme den Marktstart. Dabei können die Bayern sehr gute Elektroautos bauen, wie der e-tron GT zeigt, der zu Unrecht im Schatten seines Technik-Zwillings Porsche Taycan steht.

Die Verwandtschaft (40 Prozent Gleichteile) lässt sich angesichts der Gesamtproportionen der beiden langen, flachen und breiten Sportlimousinen zwar erahnen. Wirklich erkennbar ist sie aber nicht – der Viertürer sieht aus jeder Perspektive, innen wie außen, wie ein originärer Audi aus.

Optisch ein sehr gelungenes Modell

Vor allem in heller Lackierung, die die schwarzen Kunststoff-Anbauteile an der Front herausstechen lassen, ist der GT ein wahrer Hingucker. Die äußerliche Sportlichkeit ist innen ein wenig abgemildert, wo eher Luxus und Komfort als muskulöser Purismus zur Schau gestellt werden. Holz, Metall, feines Leder oder dicke Mikrofaserstoffe sorgen für Wohnlichkeit. Wo der Taycan den Gran-Turismo-Gedanken stark sportlich interpretiert, tendiert Audi eine Idee mehr zum Gran Turismo-Komfort.

Das Cockpit des Audi GT ist natürlich qualitativ gut verarbeitet. Foto: Audi

Trotzdem bleibt der e-tron GT im Kern ein Sportwagen. Was man schon merkt, wenn man sich auf die tief montierten Sitze fallen lässt. Und erst recht beim späteren Aussteigen. Auch das Raumgefühl innen ist eher verbindlich eng als luftig und luxuriös. Der Fahrer fühlt sich organisch ins Auto eingebunden – eine Seltenheit im E-Auto, in dem man meist eher erhöht auf dem Akkupack sitzt.

Homogene Beschleunigung

Das Sportwagengefühl verstärkt sich beim ersten Tipp auf das Gaspedal, der den e-tron GT katapultartig in Bewegung versetzt. Nicht ganz so ungestüm und exaltiert wie bei einem Tesla Model S, dafür homogener und mit ähnlichem Nachdruck. Lediglich ein Wimpernschlag mehr als vier Sekunden vergehen bis Tempo 100. Und auch danach ist – anders als bei vielen auf Effizienz und Reichweite ausgelegten Stromern – lange nicht Schluss.

Während Verbrenner-Audis Beschleunigungsmanöver mit brachialem Motorlärm untermalen würden, knurrt das Sound-Modul des E-Tron zwar vernehmlich, aber zurückhaltend. Generell gefällt das synthetische Klang-Design – nie wirkt es aufdringlich oder allzu künstlich. Überhaupt fühlt sich der Audi im besten Sinne analog an, fährt extrem präzise und fühlt sich nie synthetisch an.

Unterwegs mit Zweiganggetriebe

Ungewöhnlich ist der sonst von E-Autos nicht bekannte Schaltruck bei Zwischenspurts aus mittlerem Tempo: Audi hat dem e-tron GT ein Zweigang-Getriebe an der Hinterachse spendiert, um Spurtstärke und Effizienz bei hohen Reisegeschwindigkeiten in Einklang zu bringen. Wer beim entspannten Gleiten plötzlich aufs Gas tritt, merkt daher einen leichten Ruck, bevor es wieder mit Wucht nach vorne geht.

Beim Fahrwerk verzichtet Audi auf derartige Ruppigkeiten aber, kombiniert sehr aufwendig und gekonnt Agilität mit sehr gutem Federungskomfort. Der Fahrspaß erwächst beim E-Tron nicht wie etwa bei Tesla aus der puren Drehmoment-Wucht des E-Motors, sondern aus der gekonnten Abstimmung von Antrieb, Fahrwerk, Sound und Sitzposition. Und obwohl der GT niedrig über der Straße kauert, bügelt er Unebenheiten auch bei geringem Tempo aufmerksam weg.

Reichweite nur Mittelmaß

Ein E-Auto für Fernreisen ist der Audi aber trotzdem nicht – zumindest nicht aus sich selbst heraus: Für die große Tour ist er auf ein gut ausgebautes Netz an Ultraschnellladern angewiesen, denn mit dem Start-Füllstand der eigenen Batterie kommt er nach Herstellerangaben nur maximal 502 Kilometer weit. Schon beim Markstart 2020 war das nicht besonders viel, heute ist es gerade in der gehobenen Preisklasse höchstens noch Mittelmaß.

Vor allem, da der Normwert angesichts der brachialen Kraftentfaltung und der (für ein Elektroauto) extremen Höchstgeschwindigkeit in der Praxis wohl regelmäßig klar unterboten wird. Im Testwagen spielte sich eine Alltags-Reichweite von gut 380 Kilometern ein. Der Verbrauch hängt dabei stark von der Fahrweise ab, liegt zwischen gut 20 und knapp 30 kWh auf 100 Kilometern. Im Vergleich zu E-Mobilen mit SUV-Karosserie führt höheres Autobahntempo bei dem flachen Audi aber nur zu einem gemäßigten Verbrauchs-Plus.

Hohe Ladeleistung dank 800 Volt

Als Ausgleich für die nicht so üppige Reichweite hat Audi seinem Elektro-Flaggschiff ein hohes Ladetempo mitgegeben. Weil das Batteriesystem mit 800 Volt statt der üblichen 400 Volt arbeitet, sind an geeigneten HPC-Säulen hohe Ladeleistungen von theoretisch bis zu 270 kW möglich; der netto 83,7 kWh große Akku ist so im besten Fall nach wenig mehr als 20 Minuten Kaffeepause wieder voll.

Tatsächlich erreichte der e-tron regelmäßig Werte oberhalb von 200 kW und hält diese auch eine Weile auf dem Plateau. Gemeinsam mit der guten Ladeplanungs-Software im Infotainment-System inklusive Akku-Vorkonditionierung werden so auch lange Strecken relativ stressfrei absolvierbar. Ohne Geduld und ohne die passende Infrastruktur kann eine Reise aber zäher werden als man es von einem Auto für einen sechsstelligen Kaufpreis erwartet.

Preis ab 106.000 Euro

Trotz fünf Metern Länge ist der Audi GT sehr handlich zu bewegen. Foto: Audi

Mindestens 106.000 Euro müssen für einen e-tron GT nach Neckarsulm überwiesen werden. Wer noch ein paar Technik-Extras wählt – etwa Matrix-LEDs (ab 1.540 Euro), Head-up-Display (1.400 Euro), B&O-Soundsystem (1.200 Euro), das komplette Assistenzpaket (5.010 Euro) sowie das Dynamik-Paket mit Luftfedern, Hinterachslenkung und Differenzialsperre (4.890 Euro) – kommt auf rund 120.000 Euro.

Der Preis ließe sich locker und ohne besonders exzentrische Optionen auf 150.000 Euro treiben. Der Audi rechtfertigt diesen Betrag mit auffälligem Design, sehr hochwertigem Innenraum, starken Antriebsleistungen und hohem Fahrspaß. Lediglich die geringe Reichweite passt am Ende nicht so recht in diese Preis- und Prestigeklasse. (SP-X)

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