Für VW ist die Aerodynamik ein zentraler Bestandteil der Entwicklung. Im Interview mit der Autogazette spricht Alexander Wittmaier, Leiter Aerodynamik bei VW, über den XL1 und die Verbesserung des Cw-Werts beim Golf.
Die Aerodynamik wird zukünftig das Fahrzeug-Design noch stärker beeinflussen. «Die Herausforderung wird es sein, ein Optimum aus der Fahrzeug-Aerodynamik und der jeweiligen Design-Sprache zu finden», sagte Alexander Wittmaier, Leiter Windkanal und Aerodynamik bei VW, im Interview mit der Autogazette.
Seit 1974 Cw-Wert beim Golf um 36 Prozent verbessert
Was sich in den zurückliegenden Jahrzehnten bei der Aerodynamik bei VW getan habe, belege der VW Golf. So konnte der CW-Wert des Golf 1 zum Golf 7 um 36 Prozent gesenkt werden. «Hatte der Golf 1 im Jahr 1974 noch einen Cw-Wert von ca. 0,42, so hat der neue Golf 7 heute als vollwertiges 5-sitziges Fahrzeug mit hohem Nutzwert den Spitzenwert für ein Großserienauto von 0,27.»
«Effizienz und Reichweite wichtiges Entwicklungsziel»
Autogazette: Hat das Gros der Autobauer die Aerodynamik in den zurückliegenden Jahren vernachlässigt?
Alexander Wittmaier: Nein, viele Fahrzeug-Hersteller haben bereits vor Jahrzehnten angefangen, die Aerodynamik ihrer Fahrzeuge zu verbessern und damit die Effizienz und Reichweite ihrer Autos zu steigern.
Autogazette: Trifft das auch auf Ihr Unternehmen zu?
Wittmaier: Volkswagen hat bereits vor ca. 50 Jahren - so Mitte der 1960er Jahre - als einer der ersten Automobilbauer angefangen, die Aerodynamik seiner Fahrzeuge zu optimieren. Am Beispiel des Volkswagen Golf ist die kontinuierliche aerodynamische Entwicklung sehr gut erkennen: hatte der Golf 1 im Jahr 1974 noch einen Cw-Wert von ca. 0,42 so hat der neue Golf 7 heute als vollwertiges 5-sitziges Fahrzeug mit hohem Nutzwert den Spitzenwert für ein Großserienauto von 0,27.
Autogazette: Warum rückt die Aerodynamik gerade wieder stärker in den Focus der Autobauer. Liegt das vor allem an den strengen CO2-Richtlinien?
Wittmaier: Die Effizienz und Reichweite seiner Fahrzeuge ist für Volkswagen seit je her ein wichtiges Entwicklungsziel. Konnten in der Vergangenheit mit relativ einfachen Maßnahmen große Effekte erzielt werden, so müssen heute größere Anstrengungen unternommen werden. Natürlich stellen die CO2-Anforderungen hohe Herausforderungen an die Automobilhersteller. Und die Optimierung der Fahrzeug-Aerodynamik ist eine probate Möglichkeit, den CO2-Austoß beziehungsweise den Kraftstoffverbrauch zu reduzieren und gleichzeitig die Reichweite zu steigern.
«Design-Maßnahmen können nahezu kostenneutral»
Autogazette: Ist es einfacher und vor allem kostengünstiger, die Effizienz eines Fahrzeuges durch aerodynamische Maßnahmen als durch Leichtbau zu verbessern?
Wittmaier: Das kann nicht pauschalisiert werden. In der Fahrzeug-Aerodynamik unterscheiden wir zwischen Design- und Technik-Maßnahmen. Design-Maßnahmen können nahezu kostenneutral umgesetzt werden, haben aber großen Einfluss auf das äußere Erscheinungsbild des Fahrzeuges und somit auf die Designsprache des Fahrzeuges. Technik-Maßnahmen dagegen kosten meistens Geld und können das Gewicht des Autos erhöhen, wie z.B. Unterbodenverkleidungen. Hier muss jeweils ein Optimum zwischen Kosten / Mehrgewicht und Cw-Vorteil gefunden werden.
Autogazette: Wird die Aerodynamik das Design der Autos in Zukunft nachhaltig verändern?
Wittmaier: Ja, der Einfluss der Aerodynamik wird das Fahrzeug-Design zukünftig noch stärker beeinflussen. Die Herausforderung wird es sein ein Optimum aus der Fahrzeug-Aerodynamik und der jeweiligen Design-Sprache zu finden.
«Erkenntnisse aus XL1 fließen in Serienfahrzeuge»
Autogazette: Ist das Einliter-Auto VW XL1 mit einem Luftwiderstandsbeiwert von 0,189 wegweisend für zukünftige Fahrzeuggenerationen oder ist es nur eine Fingerübung für Designer und Aerodynamiker?
Wittmaier: Unser XL1 ist in vielen Aspekten ein Technologieleuchtturm, ob Leichtbau, Effizienz oder Aerodynamik. Er zeigt, was heute in Serie machbar ist. Die Erkenntnisse aus dem XL1 fließen nun auch in andere Serienfahrzeuge und damit wird deutlich, dass der XL1 vielmehr als nur eine Fingerübung ist.
Autogazette: Hat die Tropfenform bei zukünftigen Fahrzeugen wieder eine Perspektive?
Wittmaier: In naher Zukunft wird die Tropfenform eher eine untergeordnete Rolle spielen. Fahrzeugnutzwert und Marken-Designsprachen werden die Serien und Großserien dominieren. In Spezialfällen wird sie aber ihre Daseinsberechtigung haben.
«Das Optimum aus beiden Anforderungen finden»
Autogazette: Wo liegt für Sie der größte Zielkonflikt zwischen Design und Aerodynamik?
Wittmaier: In der Funktionalität der Fahrzeuge. Sowohl das Design als auch die Aerodynamik können den Nutzwert und die Eigenschaften eines Fahrzeuges deutlich beeinflussen. Hier gilt es immer wieder aufs Neue das Optimum aus beiden Anforderungen zu finden.
Autogazette: Der Rumpler-Tropfenwagen von 1921 kam auf einen Cw-Wert von 0,28. Vergleicht man das mit den Luftwiderstandsbeiwerten der heutigen Fahrzeuge, dann haben sich seither keine Quantensprünge vollzogen. Herrschte in der Aerodynamik in den zurückliegenden 92 Jahren eher Stillstand statt Fortschritt?
Wittmaier: Nein, in der Zeit der Tropfenwagens wurde der cW-Wert eher theoretisch bestimmt. Messungen in heutigen Windkanälen bringen andere Ergebnisse zu Tage. Bestes Beispiel ist der kürzlich im Windkanal in Wolfsburg gemessene Sagitta: Jahrzehnte lang rankten sich Cw-Gerüchte um dieses Auto. 1952 wurde dem Fahrzeug ein Cw-Wert von 0,165 bescheinigt. Messungen 2013 in Wolfsburg ergaben einen Cw-Wert von 0,216. Immer noch ein sensationeller Wert, aber eben doch ein anderes Ergebnis. Die Ansprüche heutiger Fahrzeuge sind andere als die zur Zeit des Tropfenwagens: Funktionalität, Sicherheit, Platzangebot... Das oben genannte Beispiel des Volkswagen Golf belegt die Entwicklung: Reduzierung des Cw-Wertes vom Golf 1 zum Golf 7 um ca. 36 Prozent.
Autogazette: Der Mercedes CLA ist derzeit mit einem Cw-Wert von 0,22 der Aerodynamik-Champion unter den Serienfahrzeugen. Welche Reduktion ist zukünftig noch vorstellbar?
Wittmaier: Die künftigen Cw-Reduktionen sind nicht so einfach definierbar. Fakt ist aber, dass die Entwicklung in immer kleineren Schritten und mit immer mehr Aufwand erfolgen wird. Der Anspruch diese Maßnahmen in großserientauglichen Autos umzusetzen wird die Herausforderungen an die Aerodynamiker und Entwickler nicht schmälern.
Die Fragen an Alexander Wittmaier stellten Thomas Flehmer und Frank Mertens