Umweltbundesamt und Expertenrat sehen Klimaziele gefährdet

Umweltbundesamt und Expertenrat sehen Klimaziele gefährdet
Der Vorsitzende des Expertenrates für Klimafragen, Hans-Martin Henning und seine Stellvertreterin Brigitte Knopf in der Bundespressekonferenz. © dpa

Der Expertenrat für Klimafragen hat sich kritisch zu den Klimaschutzanstrengungen der Regierung geäußert. Das Umweltbundesamt sieht die Klimaziele als gefährdet an.

Selbst wenn das Klimaschutzprogramm der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP komplett umgesetzt würde, würden Treibhausgase wohl weniger stark reduziert als vorausgesagt, erklärte der Vorsitzende des unabhängigen fünfköpfigen Gremiums, Hans-Martin Henning, am Dienstag in Berlin.

Laut Klimaschutzgesetz müsste der deutsche Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 sinken. Die Bundesregierung geht von einer verbleibenden Lücke zwischen 2021 und 2030 von rund 200 Megatonnen CO2-Äquivalenten aus. Diese Prognose zweifelt der Expertenrat an. Zur besseren Vergleichbarkeit werden andere Treibhausgase in CO2-Äquivalente umgerechnet, Maßstab ist ihr jeweiliger Beitrag zur Erderwärmung im Vergleich zu Kohlendioxid.

Gebäude und Verkehr als Sorgenkinder

Henning bemängelte auch eine «inkonsistente Datenlage». Damit ließe sich keine zuverlässige Vorhersage zur Gesamtwirkung des Klimaschutzprogramms machen. Das entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben. Dennoch sei ein «nennenswerter Beitrag» für den Klimaschutz zu erwarten.

Insbesondere die Bereiche Gebäude und Verkehr stehen schlecht da. Die Experten bescheinigen der Bundesregierung hier zu wenig Ehrgeiz. Für den Gebäudesektor bleibt demnach eine Lücke bis 2030 von 35 Megatonnen CO2-Äquivalenten, im Verkehrssektor in diesem Zeitraum von 117 bis 191 Megatonnen. Die Unsicherheit beim Verkehr ergebe sich aus unterschiedlichen Angaben der Ministerien für Wirtschaft und Verkehr.

Auch hier kritisiert der Rat die Datengrundlage. «Wir vermuten, dass die angenommene Treibhausgasminderung im Gebäudesektor geringer ausfallen dürfte als im Gutachten errechnet», erklärte Henning. Dafür verantwortlich sei vor allem die erwartbare, wesentlich geänderte Ausgestaltung des Heizungsgesetzes verantwortlich. «Im Verkehrssektor sehen wir optimistische Annahmen beispielsweise bezüglich der Umsetzungsgeschwindigkeit und Finanzierung der Maßnahmen sowie bei der Bewältigung von Umsetzungshemmnissen.»

Kritik kommt von Umweltverbänden

Umweltverbände haben der Bundesregierung nach der Veröffentlichung der Stellungnahme des Expertenrates vorgeworfen, zu wenig für den Klimaschutz zu tun.
Die Geschäftsführerin des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Antje von Broock, konstatierte, es klaffe in der deutschen Klimapolitik noch eine gewaltige Lücke zwischen Ziel und Wirklichkeit. Die Ampel-Regierung müsse schnell ein belastbares Konzept vorlegen, wie sie ihre Klimaschutzziele erreichen wolle. Aktuell entspreche das Klimaschutzprogramm nicht einmal gesetzlichen Anforderungen.

Von Broock mahnte zugleich, bei den Maßnahmen stärker soziale Fragen zu berücksichtigen. „Die breite Zustimmung in der Bevölkerung wird daran hängen, ob Klimaschutz gleichzeitig auch gute Lebensbedingungen erhält“, sagte sie.

Nabu spricht von vernichtendem Urteil

Der Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu), Jörg-Andreas Krüger, sprach von einem „vernichtenden Urteil“ des Expertenrates. Dieses komme nicht überraschend. Die Bundesregierung verweigere wirksamere Lösungen. Als Beispiele nannte der Nabu-Präsident das Fehlen von Änderungen bei der Dienstwagenregulierung sowie von nationalen Mindesteffizienzstandards für die energetisch schlechtesten Gebäude.

Aus Sicht der Klima-Allianz-Deutschland ist nun schwarz auf weiß bestätigt, dass das Land seine Klimaziele verfehle. „Trotz erster Fortschritte sind wir noch lange nicht auf Klimakurs. Die Bundesregierung muss dringend nachsteuern“, forderte die Geschäftsleiterin Politik der Organisation, Stefanie Langkamp.

Die Klimaschutzbewegung Fridays for Future beklagte die Aufgabe der Sektorenziele bei der Treibhausgasminderung. Damit solle vertuscht werden, dass Deutschland gerade im Verkehrssektor schon seit Jahren meilenweit hinterher hänge und dass gerade dort auch unpopuläre Maßnahmen nötig seien, um die Klimaschutzziele zu erreichen, sagte Annika Rittmann von Fridays for Future dem TV-Sender phoenix. „Das ist wie, wenn man beim Staffellauf nicht mehr die Zeiten der einzelnen Läuferinnen anschaut, dann weiß man auch nicht, wer hatte einen schlechten Tag oder wer muss schneller werden“, kritisierte Rittmann.

Analyse des Umweltbundesamtes

Kritisch äußert sich auch das Umweltbundesamt (UBA). Nach einer Analyse der Behörde sind die nationalen Klimaziele ohne zusätzliche Maßnahmen stark gefährdet. Obwohl die Lücke zum Klimaziel 2030 im Vergleich zur Voraussage von 2021 um 70 Prozent reduziert werden konnte, bliebe sie bei etwa 331 Millionen Tonnen klimaschädlichen Treibhausgasemissionen, geht aus dem am Dienstag vorgelegten «Projektionsbericht 2023» des Amtes hervor.

Die geplanten Maßnahmen werden die Lücke dem Bericht zufolge nicht vollständig schließen könnten, so dass das Ziel der Netto-Treibhausgasneutralität bis 2045 nicht erreicht werde. Die Sektoren Verkehr, Gebäude und Industrie verfehlen ihre Ziele, während Energiewirtschaft, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft ihre Ziele übererfüllen. Auch die für den Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft festgelegten Zielwerte werden laut Bericht nicht erreicht.

Zusätzlichen Maßnahmen nötig

«Der Projektionsbericht zeigt deutlich, dass zusätzliche Maßnahmen nötig sind», sagte der Präsident des Umweltbundesamts, Dirk Messner. Studien zeigten, dass Maßnahmen wie mehr Schienenverkehr und die Reform der Kfz-Steuer sowie die Beschränkung fossiler Heizungen dringend nötig wären.

Der Projektionsbericht wurde durch ein unabhängiges Forschungskonsortium erstellt, das die Auswirkungen der aktuellen Klimaschutzpolitik auf die klimaschädlichen Treibhausgasemissionen Deutschlands abschätzt. Das Umweltbundesamt betont, dass diese Projektionen nicht als Prognose für kommende Jahre missverstanden werden sollten. (FM/dpa)

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