Leben am Limit

Giorgio Sanna hat einen der begehrtesten Berufe Italiens. Er ist Testfahrer bei Lamborghini. Er darf die Autos fahren, von denen andere nur träumen. Doch der Job hat auch seine Schattenseiten.

Von Stefan Grundhoff

Die Beschreibung des Tätigkeitsfeldes treibt gestandenen Männern Freudentränen in die Augen. Testfahrer bei einem Automobilhersteller ist spannend genug. Aber dann gleich Pilot im offiziellen Auftrag von Lamborghini, dem renommierten Hersteller von Supersportwagen, da fehlen vielen die Worte. Giogio Sanna ist gerade Anfang 30 - doch er macht den Job schon ein paar Jahre.

650 PS im Reventon

Als er 2001 nach Sta. Agata zu Lamborghini kam, stand er noch Schatten der Testfahrer-Legende Valentino Balboni. Der hatte den Lamborghinis der letzten 40 Jahre ihren technischen Fahrwerksschliff gegeben; düste mit Murcielagos, Miruas, Countachs und Espadas um die scharfen norditalienischen Kurven und durch die ganze Welt. Das ist heute der Job von Giorgio Sanna, einem der beiden Testfahrer im Hause Lamborghini. Der andere - Mario Fasanetto - hat einen nahezu identischen Job.

Kündigt sich ein neues Modell an, gibt es im Terminplan von Sanna und Fasanetto kein Platz mehr für Freizeit und Freunde. Ihr letztes Baby - der Lamborghini Reventon, eine 650 PS starke Mischung aus Rennwagen und Kampfjet war dabei ein vergleichsweise leichtes Projekt.

Lamborghini Testfahrer Giorgio Sanna Foto: press-inform

Bevor ein neues Auto in den Handel kommt, haben nicht nur die Entwicklungsabteilungen der Autohersteller harte Jahre hinter sich. Die zumeist stark getarnten Prototypen haben auf nahezu allen Kontinenten hunderttausende von marternden Kilometern zurückgelegt. Der Job des Testfahrers hört sich spannend an, doch die Überholspur hat auch ihre Schattenseiten. Tag für Tag ein Leben im Auto; Kilometer für Kilometer auf Eis, Schnee, Asphalt, Sand und Geröll. Tage ohne Ende, oftmals abseits jeglicher Zivilisation. «Es ist kein Problem, im eigenen Entwicklungsteam Kollegen zu finden, die für ein paar Monate oder sogar Jahre nach Südafrika oder Namibia gehen und hier in der Entwicklung tätig sind», berichtet der ehemalige BMW-Testingenieur Frank Ysenberg aus seinem Berufsleben.

Tests am Limit

Der Lamborghini Reventon Foto: Lamborghini

«Da der Reventon technisch stark auf dem Murcielago LP640 basiert, haben wir in erster Linie Hochgeschwindigkeits-Tests gefahren», erzählt Giorgio Sanna, „hier geht es um Fahrverhalten und besonders die Aerodynamik bei Top-Speed.“ Ein Teil der statischen Tests fand im Ingolstädter Audi-Windkanal statt. Die meisten Testrunden wurden jedoch in Nardo und Ehra-Lessien gedreht. «Wir sind mit dem Reventon eine Höchstgeschwindigkeit von gemessenen 343 km/h gefahren», erzählt der 32 Jahre alte Rennfahrer, «bei absoluter Höchstgeschwindigkeit ist er eine Spur ruhiger als der normale Murcielago, weil das Heck stabiler ist.»

Wolfgang Schuhbauer macht den Job als Entwicklungsingenieur und Testfahrer schon rund 20 Jahre. Nach seinem Einstieg beim Getriebespezialisten ZF ist er seit über 17 Jahren für die britischen Nobelmarken Jaguar und Land Rover als Fahrwerksentwickler tätig. Scheucht Modelle wie den neuen Jaguar XF im Rekordtempo über die Nordschleife, um Schwächen möglichst früh in der Entwicklungsphase aufzudecken. Hinter dem Steuer ist er stoisch ruhig.

Die Ruhe selbst

Ein Erlkönig von Jaguar Foto: press-inform

Enge Kurven, wechselnder Fahrbahnbelag oder Aquaplaning auf der welligen Straße - er ist die Ruhe selbst. Kein Zweifel, Schuhbauer ist ein netter, freundlicher Familienvater, den nichts aus der Ruhe bringen kann. Doch sein Job, so der Leiter des Jaguar-Testzentrums am Nürburgring, hat sich in den letzten Jahren erschwert: «Seit Unfälle mit Erprobungsfahrzeugen auf öffentlichen Straßen publik wurden, hat sich das Verständnis für unsere Arbeit auch in der Gegend des Nürburgrings leider zum Negativen gewendet», erzählt Wolfgang Schuhbauer, «während wir früher eher zuvorkommend behandelt wurden, reagiert der PKW-Fahrer heute eher aggressiv auf getarnte Fahrzeuge.»

Für ein Sonderprojekt wie dem Reventon war der Aufwand vergleichsweise klein; die Tests wurden in rund zwei Monaten abgespult. Sanna: «Ich selbst bin mit dem Lamborghini Reventon rund 10.000 Testkilometer gefahren. Pro Jahr sind es bei mir insgesamt wohl mehr als 200.000.» Es geht um Handling und gerade beim «Lamborghini-Volumenmodell» Gallardo um die Abstimmung des elektronischen Stabilitätsprogramms. «Wir müssen bei Lamborghini eben immer sehr nah an einem echten Rennwagen sein», klärt Giorgio Sanna auf. Da hilft ihm sein anderer Job. Als ob er in der Woche nicht schon genug Kilometer in den Asphalt brennen würde, geht es am Wochenende nochmals eigeninitiativ auf die Rennstrecke.

Ständig auf Achse

Sanna ist ebenso wie Wolfgang Schuhbauer Rennfahrer und tritt in der italienischen Tourenwagenserie mit einem PS-starken Audi RS4 an. Sollte dann noch ein Tag frei bleiben, gibt es nicht selten einen Ausflug zu den Lamborghini-Fahrertrainings in aller Welt. «Ich bin daher pro Jahr rund 200 Tage in der Welt unterwegs», so Sanna, «natürlich ist der Beruf des Testfahrers ein absoluter Traumjob. Aber er ist mit einem erhöhten Risiko verbunden, weil wir die Wagen im absoluten Grenzbereich bewegen. Und nicht alles ist ein Zuckerschlecken.» Lamborghini ist seine große Liebe. Wenn es schon ein Fremdfabrikat sein muss, hat Sanna ebenfalls seine Lieblingsmodelle: «Die neuen Porsche 911 GT2 und GT3 sind unglaublich gut geworden und auch der Ferrari F430 ist stark.» Sagt er - steigt ein in einen schneeweißen Murcielago und fährt davon. Die nächsten Tests warten.

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