Paris probt die Verkehrswende. Die französische Hauptstadt führt großflächig Tempo-30-Zonen ein. Damit wird dem Auto eine geringere Bedeutung zukommen.
Große Teile der französischen Hauptstadt werden von diesem Montag an zur Tempo-30-Zone, die Stadtautobahn und wichtige Verkehrsachsen bleiben ausgenommen. 59 Prozent der Pariser hätten einer Geschwindigkeitsbegrenzung bei einer Umfrage zugestimmt, begründete die Stadtverwaltung den Schritt. 25 Prozent weniger Unfälle, zwei Mal weniger Lärm und mehr Raum insbesondere für Radfahrer lauten die Argumente für den Einschnitt. Auf 60 Prozent der Straßen gelte ohnehin schon Tempo 30, hieß es.
Das neue Tempolimit ist nur eine Maßnahme von etlichen zur Eindämmung der Autolawinen in Paris, die einem Besucher gleich ins Auge springen. Auf vielen Straßen wird im Moment gebaut – und zwar nicht, um zusätzliche Fahrspuren für Autos, sondern für Radfahrer zu schaffen. 52 Kilometer Pop-Up-Radwege, die während der Corona-Pandemie mit Betonblöcken von den Autospuren abgetrennt wurden, sogenannte „Coronapistes“, werden im Moment in dauerhafte Radfahrstreifen umgewandelt. Seit dem Lockdown legten die Pariser sieben Prozent ihrer Wege per Rad zurück, vor der Pandemie waren es fünf, sagte die Stadt.
Durchatmen mit mehr Stadtgrün
In anderen Straßen müssen die Autos komplett den Fußgängern weichen, öffentliche Begegnungsflächen und Fahrradstellplätze werden geschaffen und Bäume und Gartenflächen gepflanzt. All dies fügt sich in einen 2018 vorgelegten Plan, der der Metropole ein Durchatmen mit mehr Stadtgrün, 1000 Kilometern Radwegen und neuen Straßenbahnlinien versprach. Der Motor hinter vielem ist Oberbürgermeisterin Anne Hildago, die Autos und Luftverschmutzung den Kampf angesagt hat. Bei schlechter Luft wird der Verkehr eingeschränkt, Schadstoff-Plaketten für Autos sind Pflicht. Einige Straßen sind für den Verkehr gesperrt – zum Beispiel das rechte Seine-Ufer – stattdessen ist dort eine Flaniermeile entstanden.
Ohne Kritik bleibt das Tempolimit in Paris aber nicht: Bei der Umfrage nämlich wurden auch Bewohner des Großraums Paris befragt, die nicht alle gleich per Metro an ihr Ziel gelangen können. 61 Prozent von ihnen sprachen sich gegen die Maßnahme aus. Und der Interessensverband der Autofahrer „40 millions d’automobilistes“ zweifelt den Zweck der Maßnahme an. Innerhalb von Paris gebe es ohnehin wenig Unfälle, und wenn, dann seien meist Radfahrer betroffen, sagte der Verbandsdelegierte Pierre Chasseray der Zeitung „Le Figaro“. Und der Verkehrslärm werde von den Autoreifen und nicht den Motoren verursacht, weniger Tempo helfe da kaum.
Widerstand droht
Widerstand droht auch bei weiteren schon angekündigten Maßnahmen in Paris. So sollen ab Anfang kommenden Jahres erstmals auch Motorräder und die in der Metropole beliebten Motorroller Parkgebühren zahlen, E-Motorräder aber ausgenommen. Und Pläne, im Herzen von Paris viele Straßen in Fußgängerzonen zu verwandeln, bringen Kaufleute und Anwohner auf die Palme. Die Pläne seien nun wohl bis 2023 aufgeschoben, schrieb die Zeitung „Le Parisien“ kürzlich.
Hunderte neue Tempo-30-Schilder mussten in Paris übrigens nicht für die neue Geschwindigkeitsbegrenzung an jede Straßenecke geschraubt werden. An den Einfallstraßen in die Stadt wird einmalig auf die neue großflächig geltende Regelung hingewiesen, das sei ausreichend, befand 2019 der damalige Innenminister. Pionier mit dem stadtweiten Tempolimit ist Paris in Frankreich nicht: Die Großstädte Lille und Grenoble senkten vorher bereits das Tempo. Der Fahrradclub ADFC sieht die französische Hauptstadt allerdings als Vorbild für ähnliche Regelungen in Deutschland.
„Tempo 30 entspannt das Leben in den Städten, es macht sie sicherer, klimafreundlicher und leiser“, sagte ADFC-Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider. „Wie in Paris und anderen europäischen Metropolen sollte es auch in deutschen Städten möglich sein, Tempo 30 innerorts als Regelgeschwindigkeit einzuführen.“ Tempo 50 könne dann etwa an Hauptverkehrsachsen beibehalten werden, wo es schon breite Radwege gibt. „Paris wird durch Tempo 30 aufblühen, und das sollten deutsche Städte auch.“ (dpa)