Größer könnte der Unterschied nicht sein: Früher wurde in Hambach der Smart gebaut, nun läuft dort der Grenadier vom Band. Ein Geländewagen vom Chemiegiganten Ineos.
Um die neuen Firmenschilder ist die Erde noch ganz locker, die frische Farbe scheint an manchen Ecken noch feucht und bisweilen verlaufen sich die Gastgeber sogar noch.
Doch in Hambach beginnt in diesen Tagen ein neues Kapitel. Denn dort, wo Daimler bislang das wahrscheinlich urbanste Auto im Land gebaut hat, läuft künftig das krasse Gegenteil vom Band: Urwald statt Urban Jungle lautet die Devise, wenn der Smart dem Grenadier Platz macht.
Geländewagen alter Schule
Hinter dem Projekt steht diesmal kein Start-Up, sondern der britische Chemie-Gigant Ineos, und statt eines elektrischen oder zumindest besonders smarten Autos baut der einen Geländewagen alter Schule und orientiert sich dabei an einem Vorbild, das angesehener kaum sein könnte: dem Land Rover Defender.
Allerdings nicht am aktuellen Modell, sondern an jenem kantigen Urmeter der Offroad-Gemeinde, das über ein halbes Jahrhundertlang nahezu unverändert gebaut und dann 2016 mit Rücksicht auf neue Regularien eingestellt wurde. „Ohne Nachfolger“, wie Jim Ratcliffe wahrscheinlich sagen würde. Der ist Chef von Ineos, einer der reichsten Männer auf der Insel, als passionierter Afrika-Abenteurer auch ein exquisiter Defender-Kenner – und natürlich Besitzer mindestens eines Land Rovers aus der allerersten Serie.
Deshalb dürfte ihm sein Urteil über das, was Land Rover da als Nachfolger verkauft, auch leichtfallen: Moderner Elektronik und konventionellem Karosseriebau sei Dank mag der neue Defender sehr wohl ein kommodes Alltagsauto geworden sein und wahrscheinlich gibt es kaum ein SUV, dass sich abseits des Asphalts besser schlägt. Aber ein Geländewagen ist der neue Defender für die Puristen nicht mehr.
Eine Milliarde investiert
Deshalb hat Ratcliffe mal eben eine Milliarde Pfund aus der Schatulle geholt, die Sache selbst in die Hand genommen und Ineos Automotive aus der Taufe gehoben. Die Idee kam ihm in seinem Londoner Lieblingspub, wo der Milliardär nicht nur das Konzept auf die Rückseite eines Bierdeckels skizziert hat, sondern beim Blick auf die Fassade der Kneipe gleich auch den passenden Namen fand: Grenadier.
Das ist jetzt gute fünf Jahre her und seitdem hat sich einiges getan: Ratcliffe hat das Werk in Hambach gekauft und bei BMW 30.000 Motoren pro Jahr bestellt. In der Zwischenzeit hat Magna für ihn auch ein Auto entwickelt, das dem alten Defender viel näher ist als sein Nachfolger – und trotzdem als halbwegs modernes Auto durchgeht.
Um das zu beweisen, bittet sein Projektleiter Dirk Heilmann nur einen Steinwurf von Hambach entfernt zur Jungfernfahrt und schickt seine Prototypen dafür stilecht in die Pampa. Dass der Wagen auf der Straße und in der Stadt performen wird, das kann man ihm schon glauben. Schließlich ist das kein Hexenwerk. Doch ob der Grenadier wirklich zum neuen Dschungelkönig taugt, das soll er hier in den knietiefen Schlammfurchen einer ehemaligen Mine selbst beweisen.
Diesel mit 249 PS Leistung
Der 3,0 Liter große Sechszylinder-Diesel wirft dafür 249 PS und vor allem 550 Nm in die Waagschale, die grobstolligen Pellen auf den 18-Zöllern beißen tief in den Matsch und begleitet von einem sonoren Grollen wühlt sich der 2,5-Tonner unbeirrt voran. Der Dreck spritzt meterhoch, es wird laut und wenn sich die Profile zusetzen, gerät selbst der Grenadier ein bisschen ins Schlingern. Doch stoppen kann ihn keiner: Wo ein Wille ist, braucht es keinen Weg – und im allerschlimmsten Fall gibt’s ja auch noch eine Winde.
Allerdings muss der Fahrer dabei schon ein bisschen mitdenken und mitlenken, denn anders als der neue Defender oder die Mercedes G-Klasse ist der Grenadier ein ziemlich analoger Allradler und verkneift sich neuzeitliche Extras wie unterschiedliche Fahrprogramme für unterschiedliche Untergründe. Mehr als die drei Sperren und die Untersetzung gibt es deshalb nicht zu verstellen.
Auch wenn er mit einer Aluminium-Karosse auf einem Leiterrahmen, Starrachsen, Stahlfedern und konventioneller Kraftverteilung ganz ähnlich konstruiert ist wie der alte Defender, wirkt der Grenadier dabei abseits des Asphalts lange nicht so grobschlächtig wie das Vorbild, was auf einen gewissen Komfortgewinn auch auf der Straße schließen lässt. Trotzdem vermittelt er einem aber bei der Schlammschlacht deutlich mehr Gefühl fürs Gewühl, als das moderne SUV tun, die allein mit ihren elektronischen Finessen als Geländewagen durchgehen wollen.
Neuinterpretation des Defender-Designs
Verpackt ist das Ganze in eine liebevolle – nun ja – Neuinterpretation des Defender-Designs – nur eine halbe Nummer größer: Eine kantige aber flache Haube mit kreisrunden Scheinwerfern im Gesicht, markante Kotflügel, die ausgeprägte Schulter über die gesamte Flanke und Fenster im Dach – außen mag der knapp fünf Meter lange Grenadier so aussehen, wie sich die Traditionalisten unter den Land Rover-Fans den neuen Defender gewünscht hätten. Bis auf die umlaufende Reling zur Befestigung von Ausrüstungsgegenständen und die nun längsgeteilte Hecktür mit dem außen angeschlagenen Ersatzrad und der Leiter zum Dach ist der Ineos-Entwurf beinahe eine Kopie des Originals. Kein Wunder also, dass Land Rover gegen den Grenadier vor Gericht gezogen ist – und für Ratcliffe ist es kein Wunder, dass sie mit Pauken und Trompeten verloren haben.
Dafür reicht schon ein Blick in die Kabine. Dort gehen die Briten ganz eigene Wege und gönnen dem Grenadier ein Cockpit, das geschickt zwischen Bagger und Boeing balanciert- robust unverwüstlich und auch mit groben Pranken sicher zu bedienen, dafür aber mit großen Bildschirmen und Bedienkonsolen bis ins Dach. Dagegen wirkt der alte Defender dann doch reif fürs Museum.
Gedanken über Brennstoffzelle
Natürlich will sich auch Ratcliffe nicht gegen den Lauf der Geschichte und gegen den technischen Fortschritt stellen. Deshalb hat er für sensible Märkte zum Beispiel gleich auch den Reihensechszylinder-Benziner bei BMW mit jetzt dann 285 PS eingekauft und sinniert mit Hyundai sogar über eine Brennstoffzelle.
Bevor die kommt, müssen sie aber erst einmal die Verbrenner zum Laufen bringen – und dafür das Werk fit machen. Zwar sind die Umbauten geringer als befürchtet, weil Daimler selbst noch einmal eine halbe Milliarde in Hambach investiert hat, um dort den EQA zu bauen, der dann am Ende doch in Rastatt geblieben ist.
Doch selbst wenn die Mitarbeiter im Elsass jetzt immerhin 25 Jahre Erfahrung haben, fangen sie beim Grenadier noch einmal ganz von vorne an, sagt der Produktionschef: Nicht nur das Konzept ist ein anderes und die Konstruktion, sondern auch die Komponenten sind nicht vergleichbar – schon allein wegen ihrer Größe und ihres Gewichts. Und als wäre das nicht schon genug, montieren sie nebenan im Lohnauftrag auch noch den Smart weiter, bis Daimler die Baureihe einstellt und die Chinesen die Marke mit einem kompakten SUV neu erfinden.
Ganz nebenbei sollten sie in Hambach auch noch jemanden finden, der mal die Umgebung des Werkes absucht – denn hin und wieder findet man in der strukturschwachen Region noch die alten Hinweisschilder. Das „Bienvenue a Smartville“ jedoch haben sie schon abgehängt – und wenn es nach dem Grenadier geht, könnten stattdessen bald „Welcome to the Jungle“ übers Tor schreiben. (SP-X)