Polestar bringt in diesem Jahr mit dem Hybrid-Coupé Polestar 1 sein erstes Modell auf den Markt. Im Interview mit der Autogazette spricht Polestar-Chef Thomas Ingenlath über die E-Mobilität, Nachhaltigkeit und über seine Sympathien für die Fridays for-Future-Bewegung.
Thomas Ingenlath verantwortet seit 2012 das Design des schwedischen Autobauers Volvo. Seit 2017 ist der 55-Jährige Chef der Highperformance-Marke Polestar. Nach dem 600 PS starken Polestar 1 mit Plug-in-Hybrid folgt mit dem Polestar 2 das erste rein elektrische Fahrzeug der Volvo-Tochter.
Zum Interview treffen wird den Manager auf dem Flughafen Düsseldorf. Kurz vor unserem Gespräch haben in der Abflughalle Schülerinnen und Schüler der weltweiten Klima-Bewegung Fridays for Future gegen die Vielfliegerei demonstriert.
«Finde es gut, wenn sich Schüler für Klimaschutz engagieren»
Autogazette: Herr Ingenlath, haben Sie Sympathien für die Demonstrationen der Schüler, die gerade bei Fridays for Future für mehr Klimaschutz auf die Straße gehen?
Thomas Ingenlath: Auf jeden Fall. Jeder von uns macht sich doch Gedanken darüber, wie sich sein Leben in Zukunft aufgrund des Klimawandels gestalten wird. Jeder steht in der Verantwortung, diesen Planeten für zukünftige Generationen zu erhalten. Von daher finde ich es gut, dass sich nun auch Schüler für mehr Klimaschutz engagieren. Wer Kinder hat und sich Gedanken über deren Zukunft macht, der weiß, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher.
Autogazette: Wie halten Sie es in Ihrem Alltag mit einer nachhaltigen Lebensweise?
Ingenlath: Ich bin im Unternehmen dafür bekannt, dass ich relativ wenig Auto fahre. So komme ich bei Wind und Wetter mit dem Rad zur Arbeit. Mich beschäftigt es, dass sich jeder allein in sein Auto setzt, 10 Kilometer zur Arbeit fährt und somit unnötig für Staus sorgt. Mir macht es Spaß, in der richtigen Funktionskleidung durch Wind und Wetter am Stau vorbei zur Arbeit zu fahren. Auch Autofahren muss mit einem positiven emotionalen Erlebnis einhergehen – und das versuchen wir mit Polestar. Der Umstieg vom Verbrennungs- zum Elektroauto muss mit dieser emotionalen Komponente einhergehen.
«Ein Wechsel ist eine spannende Herausforderung»
Autogazette: Empfinden Sie so etwas wie Flugscham, wenn Sie beruflich viel mit dem Flugzeug unterwegs sind?
Ingenlath: Inzwischen denke ich darüber nach, welche Auswirkungen ein Flug auf die Umwelt hat und wie ich dem persönlich mit meinem Verhalten begegnen kann. Die Idee, die ich noch vor zwei, drei Jahren verfolgt habe, zum Beispiel schnell nach China zu fliegen und im Idealfall ohne Übernachtung nach dem Meeting wieder zurückzufliegen, verfolge ich längst nicht mehr. Wenn ich jetzt dahinfliege, bin ich mehrere Tage dort und versuche so viele Dinge zu klären wie möglich, um der Reise einen Sinn zu geben und die Zahl der Flüge zu reduzieren.
Autogazette: Mit Ihrem Design haben Sie dazu beigetragen, Volvo ein modernes Image zu verleihen. Ist es Ihnen schwer gefallen, 2017 den Job des Designchefs gegen den des CEOs von Polestar einzutauschen?
Ingenlath: Diese Entscheidung ist mir nicht schwer gefallen. Es ist ein ausgesprochen interessanter Job, diese Marke zu verantworten. Ein Wechsel ist eine spannende Herausforderung, die ich gerne angenommen habe.
Autogazette: Gab es nie den Moment, wo Sie sich gefragt haben: Mensch, Thomas, kann ich das überhaupt? Schließlich waren Sie bis dahin als Designer ein kreativer Kopf, aber eine Marke hatten Sie noch nie geleitet.
Ingenlath: Natürlich. Wenn ich mich das nicht gefragt hätte, wäre ich in einem Maße naiv, was mich für diesen Job automatisch disqualifiziert hätte.
«Auch uns kennzeichnet Spirit eines Racing-Teams»
Autogazette: Wie sinnvoll ist es gerade bei der Elektromobilität, eine High Performance-Marke aufzubauen? Ist das in sich kein Widerspruch?
Ingenlath: Nein, weil für uns High Performance eben nicht bedeutet, die schnellste Runde auf dem Nürburgring zu fahren. Wir wollen Modelle realisieren, die im täglichen Einsatz ein Höchstmaß an Emotion, Fahrspaß und Nachhaltigkeit gewährleisten. Dennoch kennzeichnet auch uns der Spirit eines Racing-Teams, das von Wochenende zu Wochenende versucht, eine Verbesserung seiner Performance hinzubekommen. Diesen Spirit verfolgen wir bei Polestar.
Autogazette: Liegt dem Ansatz von Polestar nicht ein Mobilitätsverständnis zu Grunde, das sich überholt hat? Schließlich soll E-Mobilität für Nachhaltigkeit stehen und nicht für Autos mit 600 PS?
Ingenlath: Dass das zusammen passt, hat die Firma Tesla bewiesen. Der Reiz der Mobilität wird beim Menschen auch dadurch gekennzeichnet, dass er sich schneller bewegen kann, als er das selbst könnte. Die Dynamik, die in einem Elektroauto steckt, die abrufbare Power, das gleichmäßige Drehmoment, der Fahrkomfort, sorgen in Verbindung mit der Praxistauglichkeit des Fahrzeugs für ein wirklich angenehmes Gefühl. Dies lässt sich nicht leugnen. Es ist doch auch viel einfacher, mit neuen Lösungen Nachhaltigkeit in die Mobilität zu bringen und damit das besondere Erlebnis der Mobilität, das wir aus der Vergangenheit kennen, auch in Zukunft unter anderen Vorzeichen zu bieten. Wir müssen die Nachhaltigkeit unter Beibehaltung lustvoller und freudiger Elemente ermöglichen. Nur so kann man dazu beitragen, der Elektromobilität einen breiten Zuspruch zu verleihen.
«An unseren Planungen hat sich nichts geändert»
Autogazette: Der Polestar 1, ein Hybrid-Coupe mit 600 PS, sollte ursprünglich Mitte 2019 auf den Markt kommen. Nun kommt er erst im Frühjahr 2020. Warum?
Ingenlath: Wie kommen Sie darauf? Wir haben gerade unser neues Werk in Chengdu eröffnet und beginnen mit der Serienproduktion. Die ersten Fahrzeuge liefern wir – wie geplant – noch im zweiten Halbjahr 2019 an die Kunden aus. Wenn Sie jetzt allerdings auf den Konfigurator gehen und ein Fahrzeug bestellen, bekommen Sie die Information, dass das Fahrzeug erst im kommenden Jahr geliefert wird. Das heißt, andere waren mit ihrer Bestellung schneller als Sie und haben die Produktion belegt.
Autogazette: Wie viele Fahrzeuge werden dieses Jahr noch ausgeliefert?
Ingenlath: Wir bauen in einem vollen Produktionsjahr nur 500 Autos. In diesem Jahr fahren wir die Produktion hoch und erreichen in den ersten Wochen noch nicht die volle Kapazität. Das ist völlig normal und dient vorrangig der Qualitätssicherung. Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Jahr 100 bis 120 Fahrzeuge weltweit ausliefern.
Autogazette: Ursprünglich wollten Sie vom Polestar 1 nur 500 Einheiten bauen. Hat sich diese Planung geändert?
Ingenlath: An unseren Planungen hat sich nichts geändert. Wie gesagt, die Angabe von 500 Fahrzeugen bezieht sich auf ein volles Produktionsjahr und wir planen, den Polestar 1 über drei Jahre zu bauen, also 1500 Autos insgesamt. Dabei bleibt es. Es ist Bestandteil des Projektes, dass wir diese Begrenzung einhalten. Das macht auch die Aura des Fahrzeugs aus. Doch es liegt auch an der Verfügbarkeit der Batteriekapazitäten und der Art, wie wir dieses Auto bauen, dass wir keine größere Stückzahl planen. Der Polestar 1 ist sehr aufwendig, sehr zeitintensiv in der Produktion. Pro Tag kann man im Schichtbetrieb lediglich eineinhalb bis zwei Fahrzeuge herstellen.
«Polestar 1 ist das Extrem des Nischenfahrzeugs»
Autogazette: Fühlen Sie sich in der Rolle dieses Nischenanbieters denn wohl?
Ingenlath: Nein, deshalb haben wir zum Start ja auch die Bandbreite mit dem Polestar 1 und dem Polestar 2 definiert und zudem ein drittes Modell angekündigt, das mittelfristig folgen wird. Der Polestar 1 ist das Extrem des Nischenfahrzeuges zu einem Preis von 155.000 Euro. Mit dem Polestar 2 streben wir größere Stückzahlen an. Da reden wir dann schon von einer Massenfertigung. Im ersten Jahr werden wir den Polestar 2 zu einem Preis von knapp unter 60.000 Euro anbieten, bevor es ihn mit kleinerer Batterie und einer veränderten Ausstattung zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Preis von knapp unter 40.000 Euro geben wird. Wir befinden uns damit in Konkurrenz zu einem Tesla Model 3, der ähnlich dimensioniert ist.
Autogazette: Stört es Sie, dass Sie immer wieder als Tesla-Konkurrent bezeichnet werden?
Ingenlath: Es stört mich, aber ich habe damit zu leben gelernt, dass uns die Medien als Tesla-Killer bezeichnen. Damit habe ich mich zu arrangieren. Ich habe auch Verständnis dafür, dass dieser Vergleich gewählt wird: Beide Modelle treten im selben Segment an und haben von ihrer grundsätzlichen Konzeption viele Ähnlichkeiten, sie sind in ihrer Ausführung jedoch komplett unterschiedlich.
«Diskussion wird viel zu dogmatisch geführt»
Autogazette: Derzeit hat Tesla Probleme bei der Fertigung des Model 3. Sehen Sie den Hype, der um die Marke gemacht wird, angesichts der Probleme der Marke als gerechtfertigt an?
Ingenlath: Ich ziehe meinen Hut davor, was das Management dort auf die Beine gestellt hat. Ich habe es in den vergangenen zehn Jahren immer wieder erlebt, wie meine Kollegen oder die Presse jede Woche den Ex
odus von Tesla vorhergesagt haben. Doch Tesla gibt es weiterhin.
Autogazette: Welche Rolle spielen für Sie die Plug-in-Hybride? Manchen halten Sie diese für Unfug.
Ingenlath: Ein Plug-in-Hybrid ist derzeit eines der am meisten Sinn machenden Fahrzeuge und eine Lösung auf dem Weg hin zu vollelektrisch betriebenen Automobilen. Beginnend mit dem Polestar 2 werden wir nur noch rein batterieelektrische Fahrzeuge auf den Markt bringen. Der Polestar 1 ist noch ein Plug-in-Hybrid, was durchaus auch für Kritik gesorgt hat. Doch die Diskussion wird viel zu dogmatisch geführt, denn beim Polestar 1 erlebt man zu einem erheblichen Anteil die Vorzüge des elektrischen Fahrens – und darum geht es. Die Batterie ist groß genug für eine Reichweite von mindestens 100 Kilometern Reichweite, wenn ich besonders vernünftig fahre, komme ich auch an die 150 Kilometer heran.
«Man muss auch einmal Farbe bekennen»
Autogazette: Wie beurteilen Sie die Fokussierung von VW auf die E-Mobilität und die Forderung nach einem Ende der Technologieoffenheit?
Ingenlath: Ich begrüße diese Aussage. Es brauchte dem Kunden gegenüber eine klare Aussage, dass man die nächsten Jahre seine volle Konzentration auf diese neue Antriebstechnologie legt. Für das Hier und Jetzt ist die Elektromobilität die relevante Technologie. Hier muss man auch einmal Farbe bekennen. Man schließt damit ja nicht aus, langfristig irgendwann einmal zum Beispiel auch ein Wasserstofffahrzeug zu bringen. Allerdings gebe ich zu bedenken: Wer sagt, dass Wasserstoff die bessere Technologie ist, der ignoriert, dass es auch in der Batterietechnologie Fortschritte geben wird.
«Haben viel Intelligenz in dieses Fahrzeug gesteckt»
Autogazette: Wenn man sich bei den Premiumherstellern umschaut, haben Audi und Co. zunächst E-SUVs auf den Markt gebracht. Sie kommen mit einer Limousine. Warum?
Ingenlath: Mit dem Polestar 2 haben wir es geschafft, nicht einfach auf einen Sandwich-Boden ein E-Fahrzeug aufzubauen. Wir haben so viel Intelligenz in dieses Fahrzeug gesteckt, dass wir trotzdem eine große Batterie untergebracht haben. Der Wagen stößt damit als Nicht-SUV vom Preis und vom Design im Elektromarkt in einen Bereich vor, wo er eine sehr gute Alternative darstellt. Unser Anspruch beim Design war auch ein anderer, deshalb haben wir auch auf gelbe oder blaue Streifen am Fahrzeug verzichtet, um damit zu zeigen, dass es ein Elektroauto ist. Der Polestar 2 ist ein Aufbruch in die Avantgarde.
Autogazette: Der Polestar 2 wird das erste reine E-Auto der Volvo Car Group sein, ehe der XC40 2020 folgt. Bei Volvo gibt es trotz der vielen Ankündigungen bis dahin kein reines E-Auto.
Ingenlath: Wenn man sich das Angebot bei Volvo anschaut, dann ist die Elektrifizierung bereits sehr weit vorangekommen. Nahezu in der gesamten Palette wird – neben Benzinern und Diesel – jeweils auch schon ein Plug-in-Hybrid angeboten. Zudem sind die ersten Modelle mit einem Mild-Hybriden ausgerüstet. Und das Angebot erweitert sich kontinuierlich. Manchmal ist es einfacher, die Welt durch eine Evolution zu verändern, als auf die Revolution zu warten. Wenn ich den Menschen die Hybrid-Erfahrung gebe, habe ich die Tür zur Elektromobilität geöffnet.
«Werden ab 2020 einen Riesenpush erleben»
Autogazette: Welche Absatzerwartung haben Sie eigentlich an den Polestar 2? Es kursierte mal die Zahl von 50.000 Einheiten pro Jahr.
Ingenlath: Im ersten Jahr werden wir von dieser Stückzahl weit entfernt sein. Doch im Laufe des Fahrzeuglebens werden wir auf ähnliche Zahlen kommen. Ob die dann darüber oder etwas darunter liegen, werden wir sehen.
Autogazette: Ab wann sehen Sie den Markthochlauf der E-Mobilität, bereits 2020?
Ingenlath: Ich denke, dass wir ab 2020 einen Riesenpush erleben werden, nicht nur durch unsere Fahrzeuge, sondern auch durch die vielen Modelle, die dann von vielen Herstellern auf den Markt kommen werden.
Das Interview mit Thomas Ingenlath führte Frank Mertens