Mercedes will bis 2030 zu einer rein elektrischen Marke werden, wenn die Märkte es zulassen. Im Interview spricht Entwicklungsvorstand Markus Schäfer über das Verbrenner-Aus, die Führungsrolle bei der E-Mobilität und den Weg zur Klimaneutralität.
Entwicklungsvorstand Markus Schäfer kann bei Mercedes keine Zögerlichkeit mit Blick auf den Abschied vom Verbrenner erkennen. «Ich denke, dass wir hier den progressivsten Kurs gehen. Wir haben auf der Weltklimakonferenz in Glasgow die Deklaration unterschrieben, bis 2035 aus dem Verbrenner auszusteigen», sagte Schäfer im Interview mit der Autogazette und dem Magazin electrified.
«Wir werden bis 2030 sämtliche Ressourcen unseres Unternehmens auf dieses Ziel ausrichten. Es gibt überhaupt kein Zögern, doch man muss sehen, dass es Regionen gibt, die bis dahin nicht auf reine E-Mobilität umgestellt haben. Es ist am Ende eine philosophische Frage, ob wir diesen Verbrennerausstieg mit einem Datum belegen», fügte der Entwicklungsvorstand hinzu.
CO2-Rucksack weiter reduzieren
Wie Schäfer sagte, werde man mit Blick auf die weitere CO2-Reduzierung bei seinen Elektrofahrzeugen perspektivisch kleinere Batterien verbauen. «Wir wollen weniger Kilowattstunden ins Fahrzeug einbauen. Dazu brauchen wir effizientere Batterien – hier werden wir in den kommenden Jahren mit Hoch Silizium-Anoden oder Feststoffbatterien deutliche Effizenzsprünge bei der Energiedichte machen. Zusätzlich braucht es aber auch ein besseres Ladenetz. Bis es soweit ist, werden wir noch mit größeren Batterien unterwegs sein.»
«Die USA sind der fehlende Puzzlestein»
Autogazette: Herr Schäfer, nach Europa und Asien haben sie auch in den USA ein Batteriewerk eröffnet. Warum ist das Werk in Tuscaloosa ein Meilenstein für die E-Offensive für Mercedes?
Markus Schäfer: Es ist vor allem geografisch ein wichtiger Meilenstein, da die USA weltweit unser zweitgrößter Markt sind. Die Umsetzung unserer Strategie konnten wir bisher mit Batteriefabriken in Europa und China zeigen, die USA sind der fehlende Puzzlestein. Historisch haben wir dort eine starke Präsenz. Es lag mir auch persönlich am Herzen, diesen Meilenstein in Tuscaloosa umzusetzen.
Autogazette: Warum liegt Ihnen der Standort so am Herzen?
Schäfer: Ich habe vor 20 Jahren in Tuscaloosa als Direktor Engineering angefangen, habe dort allein acht Jahre gearbeitet. Zudem war ich bei meinem zweiten Aufenthalt auch Präsident unser Tochterfirma MBUSI und hatte die Möglichkeit, in Tuscaloosa bereits vor meiner Zeit als Produktionschef Produkte einzuführen und das Werk wachsen zu lassen. Auch mein jüngster Sohn wurde dort geboren.
Autogazette: In Tuscaloosa können 100.000 Batterien pro Jahr auf zunächst einer Fertigungsstraße produziert werden. Wieviel sollen es mittelfristig sein?
Schäfer: Wir können auch nicht in die Glaskugel schauen, wie schnell die Transformation bei den SUVs vonstatten geht. Das Werk ist flexibel aufgestellt und kann entsprechend auf die Nachfrage nach Elektromodellen und SUVs mit Verbrennungsmotor reagieren. Mit einer sechsstelligen Zahl sind wir für den Start gut aufgestellt, sind aber vorbereitet, dort schnell eine zweite Linie zu installieren.
«Produktion der SUV-Variante des EQS startet Mitte des Jahres»
Autogazette: Bei den reinen E-Modellen werden dort auch die SUV-Varianten des EQS und des EQE produziert werden. Wann geht es los?
Schäfer: In Bremen ist gerade die Produktion der Limousine des EQE gestartet und der EQS läuft ja in Sindelfingen vom Band. Die Produktion der SUV-Variante des EQS startet Mitte des Jahres in Tuscaloosa, danach folgt mit Abstand der EQE als SUV.
Autogazette: In 2021 wurden in Tuscaloosa 260.000 Fahrzeuge produziert. Wie viele E-Modelle sollen es perspektivisch werden?
Schäfer: Zu konkreten Zahlen sagen wir nichts, denn das hängt von vielen externen Einflüssen ab. Zudem wissen wir nicht, wie die Substitution bei den SUVs zwischen Verbrenner- und Elektrofahrzeugen verlaufen wird. Oder wird die Substitution gar nicht kommen? Dann bleibt der Markt sehr attraktiv für Plug-in-Hybride.
«Mit einem Plug-in-Hybrid kann man erste Erfahrungen sammeln»
Autogazette: In Deutschland soll es Ende des Jahres eine Neuregelung der Kaufprämie für E-Fahrzeuge geben. Wird die Bedeutung der Plug-in-Hybride dann abnehmen?
Schäfer: Plug-in-Hybride mit hoher elektrischer Reichweite sind nach wie vor sehr attraktiv. Doch mit Blick auf die Reichweite gibt es zwischen den Plug-in-Hybriden deutliche Unterschiede. Diese Evolution gab es auch bei uns: so haben wir uns von 30 auf 60 Kilometer auf nun über 100 Kilometer, zertifiziert nach WLTP, verbessert. Das macht ein solches Auto deutlich attraktiver. Wenn ich im Alltag mit einem Plug-in-Hybrid rein elektrisch unterwegs sein kann, ist das ein wesentlicher Schritt in die Elektromobilität.
Autogazette: Sie gehen nicht davon aus, dass die Neuregelung daran etwas ändert? So wird diskutiert, die Förderung von einem elektrischen Fahranteil von 50 Prozent abhängig zu machen.
Schäfer: Am Ende wird sich das Elektroauto durchsetzen. Daran glauben wir. Nur nicht jeder wird von Tag eins bereit sein, auf ein Elektroauto umzusteigen, weil es neben der Reichweitenangst auch Sorgen um ein begrenztes Ladenetzwerk gibt. Mit einem Plug-in-Hybrid kann man erste Erfahrungen sammeln.
Autogazette: Das Ziel von Mercedes ist es, bei der Elektromobilität führend zu sein: Wie ist das zu verstehen? Bezieht sich das auf die Technologie oder den Absatz?
Schäfer: Die Kriterien, auf die sich diese Aussage bezieht, sind die Reichweite, die Ladegeschwindigkeit und die Lade-Convenience. So müssen unsere Kunden beim Laden nur noch den Stecker einstecken und nicht mehr separat bezahlen. Daneben schaffen wir weltweit 700.000 Ladepunkte. Hier stellen wir unter Beweis, dass wir führend sein können, auch mit Plug-and-Charge. Mit dem EQS setzen wir beim Thema Reichweite einen Punkt, nehmen den Kunden die Reichweiten-Angst. Das letzte Thema ist das der Effizienz: Es geht nicht nur darum, weit zu kommen und schnell zu laden, sondern effizient mit grünem Strom unterwegs zu sein…
Autogazette: …als Beispiel für Effizienz gilt für Sie gerade der Mercedes EQXX…
Schäfer: …den EQXX nutze ich gern als Leuchtturm, um das Thema Effizienz zu transportieren. Mit ihm können wir bewusst machen, dass Mercedes in diesem Bereich führend ist.
«Da haben wir schon einiges richtig gemacht»
Autogazette: Ist Mercedes bei den von Ihnen genannten Punkten bereits führend im Wettbewerbsumfeld? Beim EQXX handelt es sich ja um ein Konzeptfahrzeug.
Schäfer: Wenn ich die Kriterien Reichweite und Ladegeschwindigkeit nehme, bin ich sehr zufrieden. Ich bin stolz darauf, dass wir mit dem EQS eine Reichweite von 780 Kilometer nach WLTP erzielen. Da sind wir führend und liegen vor vielen Wettbewerbern. Da haben wir schon einiges richtig gemacht.
Autogazette: Mit dem Vorhalt, dass Mercedes relativ spät in die E-Mobilität gestartet ist, können Sie demnach gelassen umgehen?
Schäfer: Wir sind alles andere als gelassen. Der Wettbewerb ist hart und wir haben uns sehr, sehr viel vorgenommen. Das lässt uns nicht ruhen und wir sind maximal motiviert, die Latte höher zu hängen.
Autogazette: Sie haben die Effizienz und Reichweite angesprochen. Ein Fahrzeug wie der EQXX kommt auf eine Range von 1000 Kilometer. Doch braucht man solche Reichweiten überhaupt? Je größer die Batterie, desto größer ist der CO2-Rucksack.
Schäfer: Egal, was für eine Batterie wir machen, der CO2-Rucksack wird in jeder Komponente reduziert. Das ist eine Aufgabe, an der meine Einkäufer und Ingenieure tagtäglich arbeiten. Doch das Ziel ist klar: Wir wollen weniger Kilowattstunden ins Fahrzeug einbauen. Dazu brauchen wir effizientere Batterien – hier werden wir in den kommenden Jahren mit Hoch Silizium-Anoden oder Feststoffbatterien deutliche Effizenzsprünge bei der Energiedichte machen. Zusätzlich braucht es aber auch ein besseres Ladenetz. Bis es soweit ist, werden wir noch mit größeren Batterien unterwegs sein.
«Alle Batteriewerke werden mit grünem Strom versorgt»
Autogazette: Mit Blick auf die Batterien bzw. Batteriezellen arbeitet Mercedes mit mehreren Partnern zusammen. Dazu gehören beispielsweise in den USA Envision AESC und die Automotive Cells Company. Ist damit Liefersicherheit garantiert?
Schäfer: Diese Zulieferer beliefern uns jeweils für den lokalen Markt, damit können wir die Lieferkettenrisiken reduzieren. Wichtig ist, dass wir uns bei den Rohmaterialien wie beispielsweise Lithium oder Kobalt ebenso geografisch absichern und uns unabhängig machen von kritischen Regionen. Jede Wirtschaftsregion hat in vitales Interesse, am Ende eine unabhängige Lieferkette auf die Beine zu stellen.
Autogazette: Die Produktion der Batterien in den USA soll CO2-neutral sein. Heißt das, dass sie bilanziell klimaneutral sind?
Schäfer: Alle Batteriewerke und auch Zellwerke – auch die chinesischen – werden mit grünem Strom versorgt. Wenn sie Wärme brauchen, beispielsweise Gas, dann arbeiten wir mit einem akzeptierten Goldstandard-Zertifikat.
Autogazette: Sie kompensieren also, betreiben Greenwashing.
Schäfer: Es gibt auch bei den Nichtregierungsorganisationen einen anerkannten Standard bezüglich der Zertifikate. Daneben haben wir einen eigenen Nachhaltigkeitsbeirat mit einigen Koryphäen. Natürlich tun wir alles, um Emissionen von vornherein zu vermeiden. Doch die Welt wird ganz ohne Zertifikate zunächst nicht auskommen, deshalb ist es wichtig, Zertifikate mit einem Goldstandard zu nutzen.
«Stahl und Alu stehen im Vordergrund unserer Vermeidungsstrategie»
Autogazette: Mercedes will 2039 klimaneutral sein, 11 Jahre früher als es die Pariser Klimaziele vorsehen. Doch dieses Ziel wird erneut bilanziell sein. Gaukelt man hier nicht Anstrengungen vor, die man nur mit Greenwashing erreicht.
Schäfer: Wir beschäftigen uns sehr ernsthaft mit dem Thema – und dafür haben wir, wie erwähnt, auch unseren Nachhaltigkeitsbeirat. In den nächsten Monaten werden wir einen weiteren Meilenstein bekannt gegeben, auf welche CO2-Reduzierung wir in den kommenden Jahren kommen wollen.
Autogazette: Ab 2025 werden sie von vom schwedischen Start-up H2 Green Steel grünen Stahl beziehen. Kommt diesem Aspekt auf dem Weg zur CO2-Neutralität eine besondere Bedeutung zu?
Schäfer: Wir sind sehr transparent mit Blick auf die Bauteile und wir wissen, was sie an CO2 produzieren. Beim EQS haben wir dazu sogar einen eigenen Umweltcheck durchgeführt und veröffentlicht. Gerade die metallischen Werkstoffe wie Stahl und Alu, aber auch die Batterie, sorgen für hohe CO2-Emissionen. Deshalb stehen Stahl und Alu auch im Vordergrund unserer Vermeidungsstrategie.
«Weg in erneuerbare Energien muss beschleunigt werden»
Autogazette: Aufgrund des Ukraine-Krieges wird diskutiert, später aus der Kohle auszusteigen als geplant. Ist das mit Blick auf die Pariser Klimaziele eine falsche Diskussion?
Schäfer: Isoliert betrachtet ist das keine unterstützende Aktivität, unsere Klimaschutzziele zu erreichen. Natürlich muss man am Ende immer die Gesamtlage mit ihren Konsequenzen beurteilen.
Autogazette: Müsste die Konsequenz mit Blick auf die Versorgungssicherheit nicht sein, dass der Ausbau der Erneuerbaren beschleunigt wird?
Schäfer: Der Ausstieg aus den fossilen Energien hat im Zentrum aller Maßnahmen zu stehen. Das gilt auch dafür, wie wir unsere Fahrzeuge antreiben: Das darf keine fossile Energie sein. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, da wir uns nicht nur bei unseren eigenen Fahrzeugen engagieren, sondern auch bei Ladenetzwerken und zunehmend auch bei der Energieerzeugung. Zunehmend erzeugen wir immer mehr Energie auf der Solarseite. Wir werden das weiter ausbauen.
Autogazette: Wie zufrieden sind sie mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien? Im Vorjahr kamen sie in Deutschland auf einen Anteil von 42 Prozent. Geht das schnell genug?
Schäfer: Der Weg in die erneuerbaren Energien muss maximal beschleunigt werden, um zu einer Unabhängigkeit zu kommen. Es ist Teil unserer wirtschaftlichen Verantwortung. Wir werden unseren Teil dazu beitragen.
Autogazette: Müssen wir auch bei der Ladeinfrastruktur deutlich zulegen? Derzeit gibt es bundesweit etwas mehr als 42.000 öffentliche Ladepunkte.
Schäfer: Wir brauchen deutlich mehr Ladestationen. Es ist ja nicht nur die Anzahl der Ladepunkte, sondern auch die Verweildauer an den Ladestationen. Wir verkürzen zwar die Ladezeiten, doch die Anzahl der Ladesäulen – wenn sie denn funktionieren – reicht einfach nicht. Zudem treffen sie nach wie vor auf Stationen, die nicht funktionieren. Wir allein als Mercedes-Benz haben 4.000 Ladestationen bei unseren Werken, bei Händlern und in unseren Servicebetrieben im Einsatz. Das sind zehn Prozent der Zahl, die sie gerade genannt haben.
«Schnellladen ist genau das richtige»
Autogazette: Die Agora Verkehrswende hat gerade gefordert, dass insbesondere in Städten der Fokus auf Schnelllader gelegt werden sollte. Gehen Sie damit einher?
Schäfer: Absolut: Schnellladen ist genau das richtige, selbst im innerstädtischen Bereich, weil dort viele Menschen über keine eigene Lademöglichkeit verfügen. Ein kleiner Abstecher zur Schnellladestation ist genau der richtige Weg.
Autogazette: Nach Zahlen des Umweltbundesamtes sind die Treibhausgasemissionen im Vorjahr im Verkehrssektor wieder gestiegen. Haben Sie das Gefühl, dass von der Autoindustrie genug für den Klimaschutz getan wird?
Schäfer: Ich glaube, dass der Umstieg zu einer nachhaltigen Mobilität mit maximaler Konsequenz verfolgt wird. In Breite ist das Produktangebot an Elektrofahrzeugen schon bedeutend. Es werden ordentliche Reichweiten angeboten. Rational gibt es keinen Grund, nicht umzusteigen. Die Ladeinfrastruktur ist indes das größte Manko. Es ist der Punkt, der die Menschen noch zurückhält, sich ein E-Auto anzuschaffen.
«Ich denke, dass wir hier den progressivsten Kurs gehen»
Autogazette: Hätte es der Transformation in der Branche hin zur E-Mobilität ohne die strengen CO2-Vorgaben oder jetzt den Green Deal der EU gegeben? Es sieht danach aus, dass man von der Politik in diese Richtung gedrängt wurde.
Schäfer: Es sind viele Rahmenbedingungen, die uns alle bewegt haben, Zu Beginn war es sicherlich eine regulatorische Seite, doch die gibt es schon lange nicht mehr. E-Autos bieten ein mindestens gleichwertiges, wenn nicht sogar ein besseres Erlebnis.
Autogazette: Opel steigt 2028 aus dem Verbrenner aus, Volvo 2030. Sie wollen es 2030 tun, wenn der Markt es zulässt. Warum drücken Sie sich vor einem klaren Bekenntnis?
Schäfer: Wir haben da eine vollkommen andere Wahrnehmung. Ich denke, dass wir hier den progressivsten Kurs gehen. Wir haben auf der Weltklimakonferenz in Glasgow die Deklaration unterschrieben, bis 2035 aus dem Verbrenner auszusteigen. Wir werden bis 2030 sämtliche Ressourcen unseres Unternehmens auf dieses Ziel ausrichten. Es gibt überhaupt kein Zögern, doch man muss sehen, dass es Regionen gibt, die bis dahin nicht auf reine E-Mobilität umgestellt haben. Es ist am Ende eine philosophische Frage, ob wir diesen Verbrennerausstieg mit einem Datum belegen.
Das Interview mit Markus Schäfer führte Frank Mertens