«Wir entwickeln zukünftig mehr in China für China»

VW-Vertriebsvorständin Imelda Labbé

«Wir entwickeln zukünftig mehr in China für China»
VW-Vertriebsvorständin Imelda Labbé bei er Präsentation des ID.7 © VW

Volkswagen hat zuletzt deutliche Absatzeinbußen in China hinnehmen müssen. Im Interview spricht Vertriebsvorständin Imelda Labbé unter anderem über den wichtigsten Einzelmarkt der Marke, die Elektromobilität und den Weg zu einer Love-Brand.

Die Kernmarke VW Pkw hat im ersten Quartal auf seinem wichtigsten Einzelmarkt China seine Marktführerschaft eingebüßt. Den Absatzverlusten will der Autobauer mit neuen Modellen wie dem VW ID.7 und einer neuen Strategie begegnen.

«Von der Wachstumsdynamik und Innovationskraft in China wollen wir stärker profitieren. Das heißt: Wir entwickeln zukünftig mehr ‚in China für China‘, stärken unsere Entwicklungseinheiten in der Region und bauen zusätzliche lokale Ressourcen sowie Partnerschaften auf», sagte VW-Vertriebsvorständin Imelda Labbé im Interview mit der Autogazette und dem Magazin electrified. «So können wir Produkte, maßgeschneidert für die Anforderungen der chinesischen Kunden, noch schneller auf den Markt bringen. Dafür schaffen wir starke Strukturen», fügte die Managerin hinzu.

Aufbau eines neuen Entwicklungszentrums

Wie Labbé zudem sagte, werde VW mit dem Aufbau eines neuen Zentrums für Entwicklung, Innovation und Beschaffung die Entwicklungszeiten um rund 30 Prozent verkürzen. «Die Gesellschaft mit dem Projektnamen 100%TechCo bindet bereits in der frühen Produktentstehungsphase auch lokale Zulieferer in den Entwicklungsprozess ein, um frühzeitig modernste Technologien und Anwendungskonzepte in neue Produkte zu integrieren. Das setzen wir konsequent um.»

«Wir bei VW setzen auf die Elektromobilität»

Autogazette: Frau Labbé, nach langen Hin und Her hat die EU das Verbrenner-Aus 2035 verabschiedet und auf Druck von Deutschland eine Ausnahme für E-Fuels geschaffen. Ist das auch ein Erfolg für Volkswagen?

Imelda Labbé: Die Marke Volkswagen treibt den Wandel zur Elektromobilität seit Jahren konsequent voran. Von daher sehen wir das von der EU beschlossene Verbrenner-Aus als Bestätigung unserer Strategie. Die sieht vor, dass wir im Jahr 2033 in Europa die letzten Verbrenner produzieren.

Autogazette: E-Fuels spielen für Sie angesichts Ihrer Strategie keine Rolle?

Labbé: Wir bei Volkswagen setzen auf die Elektromobilität. Das machen wir durch unsere Positionierung und unsere Produktpolitik deutlich. Kein anderer Hersteller hat ein derart breites Produktportfolio im Angebot und ein so klares Bekenntnis zur E-Mobilität abgegeben wie VW. Bis 2030 werden wir unseren rein elektrischen Anteil an den Auslieferungen in Europa auf rund 80 Prozent steigern.

«Wir denken Klimaschutz ganzheitlich»

VW-Vetriebsvorständin Imelda Labbé am Steuer des neuen VW ID.7. Foto: VW

Autogazette: VW hat sich früh für die E-Mobilität ausgesprochen. Andere Hersteller und allen voran die FDP führt eine Diskussion zur Technologieoffenheit. Erachten Sie das als sinnvoll?

Labbé: Obwohl bisher die Energieeffizienz von e-Fuels nicht an batterie-elektrische Antriebe heranreicht, sehen wir für Anwendungen in der Bestandsflotte, die regionalen Gegebenheiten in der Welt und für Nischenanwendungen sinnvolle Anwendungsfelder für e-Fuels. Die Produktion von e-Fuels macht Sinn, wenn sie an Orten auf der Welt hergestellt werden, wo nachhaltige Energie im Überfluss vorhanden ist. Denn wir denken Klimaschutz ganzheitlich.

Autogazette: Elektroautos sollten bei VW bis 2030 ursprünglich auf einen Anteil von 70 Prozent kommen, nun sind es 80 Prozent. Geht die Transformation doch schneller?

Labbé: In der Tat. In vielen Märkten geht die Transformation schneller als ursprünglich geplant. Die Bereitschaft der Kunden steigt, sich auf diese neue Technologie einzulassen. Und wir beobachten immer wieder: Wer einmal elektrisch gefahren ist, will danach nichts Anderes mehr fahren.

Autogazette: Wie realistisch ist denn diese ambitionierte Zielsetzung?

Labbé: Momentan erachten wir das als realistisch, sonst hätten wir uns dieses Ziel nicht gesetzt. Natürlich müssen wir immer Einflüsse bewerten, die sich aus einer solch großen Transformation ergeben. Ich nenne nur die veränderten Förderrichtlinien in einigen Märkten, aber auch veränderte Rahmenbedingungen wie die gestiegenen Strompreise, die wir nicht beeinflussen können, die aber wichtige Kaufgründe darstellen. Hier sehen wir eine enorme Volatilität.

«Wir haben weiterhin einen guten Auftragsbestand»

Autogazette: Stellen Sie im ersten Quartal durch die reduzierte Kaufprämie und die erhöhten Strompreise eine Kaufzurückhaltung fest?

Labbé: Wir haben beispielsweise beim ID.3 und beim ID.4 in Deutschland im ersten Quartal eine Verdoppelung der Auslieferungen in der Zulassungsstatistik gesehen. Wenn wir auf die Auftragseingänge schauen, ist es momentan zu früh, eine Bewertung vorzunehmen. Wir haben weiterhin einen guten Auftragsbestand, der weit in das Jahr hineinreicht und wir setzen alles daran, die Lieferzeiten für unsere Kunden zu verkürzen.

Autogazette: VW bringt bis 2026 zehn neue Elektroautos auf den Markt, darunter auch der ID.7 Er ist neben dem ID.4 das zweite Weltauto im Portfolio. Kommt ihm eine besondere Rolle in der Absatzplanung zu?

Labbé: Der ID.7 ist das erste globale Elektromodell der Marke für die gehobene Mittelklasse. So ist er auch mit Blick auf das Volumen zu bewerten. Wir sehen für ihn ein signifikantes Absatzvolumen, da wir neben der Limousine auch einen Kombi in Europa anbieten werden. Mit dem Kombi gehören wir mit zu den Ersten, die ein solches Angebot machen. Das ist für uns ein super Aufschlag.

Autogazette: Im Jahr 2022 konnte VW weltweit 330.000 vollelektrische Fahrzeuge absetzen, das ist ein Plus von 23,6 Prozent. Mit welchen Steigerungsraten rechnen Sie in 2023?

Labbé: Hier will ich aktuell aufgrund der nach wie vor noch immer bestehenden Lieferengpässe keine Prognose abgegeben.

«Das Feedback zum neuen ID.3 war überragend»

Der VW ID.3 hat ein Facelift bekommen. Foto: VW

Autogazette: Nach Kritik der Kunden an Qualität, Design und auch Software hat VW dem ID.3 vorzeitig ein Facelift verpasst. Kann der bisherige Einstiegsstromer damit doch noch zu einem Erfolgsmodell werden?

Labbé: Das Feedback zum neuen ID.3 bei unserer internationalen Konferenz in Hamburg war überragend – hier haben wir 13.000 Händler aus der ganzen Welt begrüßt. Besonders positiv wurde die signifikante Aufwertung des Innenraums und die Neuerung der Haube aufgenommen. Von daher bin ich zuversichtlich, dass der neue ID.3 auch bei unseren Kundinnen und Kunden gut ankommen wird.

Autogazette: Im Vorjahr wurden vom ID.3 gerade einmal etwas mehr als 76.000 Einheiten abgesetzt. Hat Sie die Zahl arg enttäuscht?

Labbé: Der ID.3 zählte im Vorjahr zu den meistverkauften BEV-Modellen im Volkswagen Konzern. Der neue ID.3 bestätigt unseren hohen Anspruch an Qualität, Design und Bedienbarkeit. Wir reagieren mit dem Facelift konsequent auf die Wünsche unserer Kundinnen und Kunden. Daher sind wir zuversichtlich, dass wir mit dem neuen ID.3 den Absatz weiter steigern werden.

Autogazette: Was hat VW aus den Fehlern beim ID.3 für die kommenden Modelle gelernt?

Labbé: Für uns ist klar, dass ein Volkswagen einer Anspruchs-Matrix zu folgen hat, die auch der Qualität unserer Verbrenner-Fahrzeuge entspricht. Damit meine ich die Haptik, die User-Experience und natürlich die Qualitätsanmutung. Was wir für die Entwicklung der weiteren E-Fahrzeuge brauchen, ist die gleiche Stringenz, die wir über Jahre hinweg bei den Verbrennern aufgebaut haben. Dazu gehört auch, dass wir wieder mehr auf haptische Bedienelemente setzen.

«Eine Love-Brand setzt sich aus vielen Facetten zusammen»

Der VW ID.Buzz kommt bei den Kunden an. Foto: Ingo Barenschee/VW

Autogazette: VW-Markenchef Thomas Schäfer will die Marke wieder zu einer Love-Brand machen. Gelingt das mit den von ihn skizzierten Punkten?

Labbé: Die Marken-DNA ist ein wesentlicher Aspekt bei der Definition der Love-Brand. Aber es ist nicht der einzige: Wir sehen, dass der Kunde einen Volkswagen als Volkswagen wahrnehmen will. Das bezieht sich auf die Optik wie auch auf die Bedienung und Innovationen. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl kommunikativer Elemente: Wir haben unsere Werbung und unseren Markenauftritt angepasst. Eine Love-Brand setzt sich aus vielen Facetten zusammen.

Autogazette: Ist der ID. Buzz momentan das Fahrzeug, das dem Anspruch einer Love-Brand am nächsten kommt?

Labbé: Der ID. Buzz ist ein sehr emotionales Fahrzeug, weil er sehr viele klassische, ikonische Produktelemente in sich vereint. Deshalb spricht er emotional an. Das, was eine Love-Brand ausmacht, ist aber auch in der Funktionalität zu sehen. Schauen Sie sich den T-Roc an, er ist ein Verkaufsschlager. Er trägt viele VW-Tugenden in sich.

«Der ID.2all passt perfekt zu unserer Marke»

Entstanden in kurzer Zeit: die Studie des ID.2 bei der Vorstellung in Hamburg. Foto: Mertens

Autogazette: Zu einer Love-Brand gehört auch die Nahbarkeit. Inwieweit passt ein Einstiegsstromer wie der ID. 2all zu diesem Anspruch? Er soll 2025 zu einem Preis von unter 25.000 Euro eingeführt werden.

Labbé: Der ID. 2all passt perfekt zu unserer Marke. Schließlich überführen wir die typischen VW-Tugenden in die neue Welt der Mobilität: Top-Qualität und Verarbeitung, überzeugende Software und digitale Dienste mit echtem Mehrwert.

Autogazette: Sie wissen, dass dieses Auto mal für einen Preis von 20.000 Euro annonciert war…

Labbé: Mit Blick auf die aktuellen Batterie- und Rohstoffkosten ist dieser Preis aktuell noch nicht darstellbar. Wir sind dennoch davon überzeugt, dass unser ID. 2all zu einem absolut wettbewerbsfähigen Preis auf den Markt kommen wird.

Autogazette: Gehört zur Definition einer Love-Brand auch die Besinnung auf traditionelles Design? Schaut man sich den VW ID. 2all an, sieht man einen aufgehübschten Polo.

Labbé: Die ersten Reaktionen auf den ID. 2all waren extrem positiv. Das bestätigt, dass wir mit unserer neuen Designsprache auf dem richtigen Weg sind. Der ID. 2all zeigt wieder die klassischen VW-Merkmale. Es ist ein Aspekt, der eine Love-Brand ausmacht.

Autogazette: Wann sehen Sie ein Auto unter 20.000 Euro, erst Ende des Jahrzehnts?

Labbé: Wir arbeiten intensiv an möglichen Konzepten. Da gibt es vielversprechende Ansätze. Im zweiten Halbjahr sollten wir wissen, in welche Richtung es geht.

«Volkswagen wird digitaler»

Autogazette: Ist China der Markt, der Ihnen derzeit die meisten Sorgen bereitet?

Labbé: China ist weltweit der größte Automobilmarkt und ein wichtiger Taktgeber für die gesamte Automobilindustrie. Voraussichtlich bis 2030 wird der Markt von heute rund 21 Millionen in Richtung 30 Millionen Fahrzeuge wachsen. Das sind rund acht bis neun Millionen Fahrzeuge mehr als heute. Dieser Zuwachs ist selbst in konservativen Szenarien rund zweimal so groß wie der gesamte deutsche Automarkt. Von der Wachstumsdynamik und Innovationskraft in China wollen wir stärker profitieren. Das heißt: Wir entwickeln zukünftig mehr „in China für China“, stärken unsere Entwicklungseinheiten in der Region und bauen zusätzliche lokale Ressourcen sowie Partnerschaften auf. So können wir Produkte, maßgeschneidert für die Anforderungen der chinesischen Kunden, noch schneller auf den Markt bringen. Dafür schaffen wir starke Strukturen.

Mit dem Aufbau eines neuen Zentrums für Entwicklung, Innovation und Beschaffung werden wir die Entwicklungszeiten um rund 30 Prozent verkürzen. Die Gesellschaft mit dem Projektnamen 100%TechCo bindet bereits in der frühen Produktentstehungsphase auch lokale Zulieferer in den Entwicklungsprozess ein, um frühzeitig modernste Technologien und Anwendungskonzepte in neue Produkte zu integrieren. Das setzen wir konsequent um. Bei der Entwicklung eines zukünftigen Volkswagen Modells, das nächstes Jahr auf den Markt kommt, soll das Unternehmen bereits eine wesentliche Rolle spielen. Von dieser Geschwindigkeit und dem Aufbau des Know-hows profitieren wir auch global.

Autogazette: Unter den zehn meist verkauften E-Autos in China ist mit Tesla nur eine ausländische Marke, der Rest sind chinesische Hersteller. Hat man die falschen Modelle für China?

Labbé: Die Entwicklung des E-Mobilitätsmarktes in China verläuft nicht linear in allen Segmenten gleich. Noch dominieren lokale Kleinst-Fahrzeuge mit Preisen unter 10.000 Euro. Schrittweise kommt das Wachstum auch in den Volumensegmenten an, in denen Volkswagen etwa mit den ID.4 und ID.6 Varianten starke Modelle im Markt hat. Der ID.4 ist im A-SUV Segment unter den Top-Modellen. Mit unserem neuen ID.7 sind wir jetzt auch mit der Marke Volkswagen im Premiumbereich vertreten. Wir bieten also mit den Modellen unserer ID. Familie starke Modelle für den chinesischen Markt. Dafür richten wir zudem das Vertriebsnetz noch stärker auf die Bedürfnisse der chinesischen Kunden aus: Volkswagen wird digitaler und eröffnet spezielle ID. Stores in den Innenstädten.

«Mit ID.7 erschließen wir neues Marktsegment in China»

VW hat auf der Shanghai Auto Show den ID. Vizzion präsentiert – er soll der Marke Rückenwind bringen. Foto: VW

Autogazette: Welche Rolle kommt dem ID.7 gerade für China zu?

Labbé: China ist unser größter Einzelmarkt und der dynamischste Automobilmarkt der Welt. Hier stehen wir vor den schnellsten Veränderungen. Als Marke setzen wir uns weiterhin dafür ein, die zukünftige Mobilität in China mit unserer ID. Familie mitzugestalten. Zudem richten wir unsere Prozesse zur schnelleren Entscheidungsfindung auf die speziellen Bedürfnisse chinesischer Kunden aus. Mit unserem neuen Top-Modell, dem ID. 7, erschließen wir ein neues Marktsegment in China, denn Limousinen sind in China auch weiterhin sehr beliebt.

Insgesamt ist der ID.7 ist für die Marke Volkswagen sowohl in China als auch in Europa und Nordamerika ein extrem wichtiges Modell. Der ID.7 schnürt ein attraktives Paket, das gleichermaßen bestehende und neue Volkswagen-Kunden weltweit begeistern wird. Wir bieten damit Premium-Technologien in einem Volkswagen an, die mit Exklusivität, Top-Komfort und hohem Alltagsnutzen überzeugen.

Das Interview mit Imelda Labbé führte Frank Mertens

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