«Bürger lassen ‚1984‘ geschehen»

Interview Datenschutzbeauftragter Thomas Bernhard Petri

Das Kfz-Kennzeichenscanning kann trotz eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes von der Polizei genutzt werden. Der Landesdatenschutzbeauftragte Thomas Bernhard Petri bereitet ein möglicher Einsatz ebenso viel Unbehagen wie die mögliche Nutzung technischer Hilfsmittel zur Datenerfassung im Auto.

Im Keller der Berliner Polizei stehen zwei Geräte, die automatisch die Kennzeichen der vorbeifahrenden Autos erfassen können. Trotz eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes geht Thomas Bernhard Petri, Berliner Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit Bereich Recht, davon aus, dass die Polizei die Geräte auch irgendwann einsetzen wird. «Wenn die Polizei solche Geräte anschafft, ist es nur sinnvoll, wenn sie irgendwann einmal zum Einsatz kommen. Sonst hätte die Polizei die Geräte ja überhaupt nicht anschaffen müssen. Die Absicht besteht also», sagte Petri der Autogazette.

«Nicht ins Blaue hinein ermitteln»

Während die Berliner Polizei sich auf einen bestimmten Paragraphen im Polizeigesetz beruft, hat Petri Schwierigkeiten. «Wir werden das jetzt prüfen, aber wir haben schon Bedenken bei dieser Vorschrift.» Petri fürchtet, dass die Verhältnismäßigkeit bei einem Einsatz nicht gegeben sein könnte und somit auch Bagatellen verfolgt werden könnten. «Es darf nicht ins Blaue hinein ermittelt werden, sondern man benötigt konkrete Anhaltspunkte für ein Scanning», sagt der Datenschützer.

Aber auch durch die technischen Assistenten in modernen Fahrzeugen ist es für die Technik von heute ein Leichtes, gewisse Profile der Autofahrer zu erstellen. Um den «gläsernen Autofahrer zu verhindern, könnten die Bürger selbst durch ein aktives Einschreiten gewisse Datenerfassungen von vornherein zum Scheitern verurteilen. »Letztendlich ist es aber eine Frage der Datenschutzkultur im Land. Wenn eine positive Datenschutzkultur gelebt wird, wägt man die Belange der inneren Sicherheit sorgfältig mit den Grundrechten der Bürger ab«, sagt Petri.

Gewalttätige Autofahrer herauswinken

Kennzeichen-Kontrolle am Straßenrand Foto: dpa

Autogazette: Die Berliner Polizei verfügt trotz eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes vom 11. März 2008 über zwei Geräte, um Kfz-Kennzeichen automatisch zu scannen. Welche Möglichkeiten hat der Datenschutzbeauftragte, einzuschreiten?

Thomas Bernhard Petri: Wir werden schon vorher etwas tun. Da die Polizei über diese Geräte verfügt, hat sie ja die Absicht, diese einzusetzen. Dann muss sich die Polizei auf eine Rechtsgrundlage stützen können.

Autogazette: Wie könnte so eine Rechtsgrundlage aussehen?

Petri: Die Brandenburger Polizei kann sich bereits auf eine solche Rechtsgrundlage stützen, weil das Polizeigesetz entsprechend geändert wurde . . .

Autogazette: . . . und diese Grundlage wird auch genutzt?

Petri: Die nutzen das auch, aber relativ sparsam. Es wird nur zur konkreten Abwehr von Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit für Personen eingesetzt.

Autogazette: Fahndungserfolge waren nicht zu verzeichnen. Was - glauben Sie - soll mit der Überwachung bezweckt werden?

Petri: Man könnte das Instrument natürlich für Bagatellen einsetzen, um zu überprüfen, ob die Versicherungspflicht der jeweiligen Fahrzeughalter eingehalten wurde. Das wäre ein klassischer Fall eines Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip und somit unzulässig. Die Brandenburger Polizei nutzt die Geräte, um aktenkundige Gewalttäter, die auch Kfz-Halter sind, herauszufinden und zum Beispiel im Vorfeld von gewalttätigen Demonstrationen herauszuwinken.

Sonderregelung in Brandenburg

Satellitenüberwachung von Fahrzeugen Foto: dpa

Autogazette: Rechnen Sie damit, dass die Polizeipräsidenten der anderen Bundesländer dieses Recht für sich einfordern werden?

Petri: So ein Anliegen müsste zunächst durch das Parlament. Und da sind auch noch wir davor. Und wir sind der Auffassung, dass das ein Instrument ist, bei dem man sehr genau prüfen muss, ob es überhaupt benötigt wird. Wenn die Berliner Polizei die seit 2008 angeschafften Geräte nicht eingesetzt hat, spricht das gegen die Erforderlichkeit und somit gegen eine Legitimierung eines solchen Gerätes. Überdies wäre die Maßnahme ein schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen.

Autogazette: Allerdings hebelt die Brandenburger Polizei mit ihrem eigenen Landesrecht das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus. . .

Petri: . . . nein. Die Brandenburger Polizei hat eine Regelung, die wohl verfassungskonform ist. Das Verfassungsgericht hat nicht geurteilt, dass der Einsatz generell unzulässig sei. Das Kfz-Kennzeichenscanning ist eine schwerwiegende Maßnahme, weil es eine sehr breite Streuwirkung hat und für viele Personen, die zufällig in dieses Scanning hineingekommen sind, eine sehr schwerwiegende Folgewirkung haben kann. Deshalb darf die Vorschrift nur für ganz wichtige Rechtsgüter eingesetzt werden. Es darf nicht ins Blaue hinein ermittelt werden, sondern man benötigt konkrete Anhaltspunkte für ein Scanning. Das haben die Brandenburger wohl eingehalten.

Autogazette: Welche Möglichkeiten hat der Datenschutzbeauftragte, wenn die Berliner Polizei die Geräte einsetzen würde?

Petri: Wir könnten den Einzelfall prüfen und beanstanden, wenn die Rechtsgrundlagen nicht ausreichen. Die Berliner Polizei sieht den Paragraphen 25 des Berliner Polizeigesetzes als ausreichend an. Wir werden das jetzt prüfen, aber wir haben schon Bedenken bei dieser Vorschrift.

Autogazette: Rechnen Sie damit, dass die Berliner Polizei diese Geräte jemals einsetzen wird?

Petri: Wenn die Polizei solche Geräte anschafft, ist es nur sinnvoll, wenn sie irgendwann einmal zum Einsatz kommen. Sonst hätte die Polizei die Geräte ja überhaupt nicht anschaffen müssen. Die Absicht besteht also.

Autogazette: Kann es denn sein, dass die Berliner Polizei diese Geräte schon einmal eingesetzt hat, ohne dass der Landes-Datenschutzbeauftragte davon weiß?

Petri: Ich glaube nicht, dass uns der Polizeipräsident anlügt. Das hat er nicht nötig.

Zwei Seiten der Medaille

Videoüberwachung in Stuttgart Foto: dpa

Autogazette: Auf der anderen Seite werden Fahrzeuge verstärkt mit elektronischen Notrufsystemen und sonstigen elektronischen Assistenten ausgestattet. Sehen Sie die Gefahr, dass der Autofahrer immer «gläserner» wird?

Petri: Diese Gefahr besteht in der Tat, weil die Technik immer weiter voranschreitet, was an und für sich ja etwas Tolles ist. Die Kehrseite ist, dass Daten erfasst werden, die man unter Umständen auswerten kann, um ein umfassendes Profil zu entwickeln, in dem nicht nur der jeweilige Standort aufgezeichnet wird, sondern auch das Fahrverhalten. Daraus kann man den Charakter des Einzelnen analysieren. Das ist mit der Technik von heute schon möglich. Und das ist etwas, wo wir Datenschützer dann schon Sorge haben. Deshalb muss der Datenschutz mit der Technik wachsen.

Autogazette: Gehen Sie davon aus, dass demnächst Gesetze beschlossen werden, dass die elektronischen Assistenten dazu benutzt werden können, um z.B. Verbrecher zu fangen?

Petri: Das könnte sein, dass das kommt. Auch da muss man als Datenschützer sehr wachsam sein. Das Anliegen kann man verstehen, aber man muss aufpassen, dass die Bürger nicht tatsächlich zu gläsernen Bürgern mutieren. Aber man kann nur an die Bürger appellieren, auch wachsam zu sein und die Datenschutzrechte einzufordern. Gott sei Dank gibt es einige Verbände, die den Datenschutz von Autofahrern beobachten. Letztendlich ist es aber eine Frage der Datenschutzkultur im Land. Wenn eine positive Datenschutzkultur gelebt wird, wägt man die Belange der inneren Sicherheit sorgfältig mit den Grundrechten der Bürger ab.

Autogazette: Wenn diese Kultur nicht entwickelt wird, heißt es nichts anderes, als dass sich der Autofahrer auf einen Big Brother-Staat einstellen muss?

Petri: Ja, diese Gefahr besteht. Die technische Entwicklung würde das schon ermöglichen. Ich bin zuversichtlich, dass das nicht geschieht, aber anhand der Technologien ist es ein Leichtes, Bewegungs- und Verhaltensprofile zu erzeugen.

Autogazette: Worin besteht Ihre Zuversicht, dass dieser Schritt nicht erfolgen wird?

Petri: Wir haben ein Beispiel, das Mut macht. Das sind die Autobahn-Mautdaten für LKW-Fahrer, bei denen es Bestrebungen gab, die auch auf die normalen PKW-Fahrer auszuweiten. Damals haben die Bürger dieses Ansinnen abgelehnt und die Politik hat erst einmal zumindest Abstand genommen. Nach den Terroranschlägen hatten wir in den Jahren 2001/2002 einen stärkeren Trend zur inneren Sicherheit. Da ging fast alles durch. Jetzt merkt man die Kehrseite. Viele Menschen kommen ins Fadenkreuz von Ermittlungen und das wollen die Bürger nicht. Derzeit kommt eine Gegenwelle in der Politik an.

Verwunderung über Videoüberwachung

Ein Schild weist im Hauptbahnhof von Hamburg auf eine Videoüberwachung hin Foto: dpa

Autogazette: Auf der anderen Seite werden fernab des Autoverkehrs Straßen und Plätze mit Videokameras bestückt. Da regt sich keiner auf?

Petri: Mit der Videoüberwachung haben wir große Schwierigkeiten, die sich aber mit dem geringsten Teil der Bevölkerung decken. Und das ist verwunderlich, weil die Videoüberwachung sehr intensiv in die Grundrechte eingreift. Jeder kann sehen, wie sie sich kleiden oder verhalten. Das bereitet uns Unbehagen, vor allem dann, wenn die Daten nicht gelöscht werden und man nicht weiß, was mit den Daten alles gemacht wird. Das ist heikel. Die betroffenen Bürger sehen das ähnlich, wenn sie in einer konkreten Situation dann Nachteile erleiden, aber nur dann.

Autogazette: Das heißt also, dass die Bürger selbst auf ein Szenario hinarbeiten, welches in George Orwells 1984 beschrieben wurde?

Petri: Teils, teils. Ich glaube, dass die Bürger nicht darauf hinarbeiten, aber sie lassen es geschehen.

Autogazette: Das heißt, in 20 Jahren ist es selbstverständlich, dass wir überwacht werden?

Petri: Nein, das hängt von uns selbst ab. Man muss sich die Frage immer wieder stellen: Wollen wir einen Überwachungsstaat, der alle technischen Sicherheiten garantieren kann, oder wollen wir eine Gesellschaft, die bereit ist, Freiheiten zuzulassen und die Kehrseite hinnimmt, bis zu einem gewissen Grad ein Risiko mit einzukalkulieren.

Das Interview mit Thomas Bernhard Petri führte Thomas Flehmer

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