Sigma-Software: Ein Zulieferer trotzt dem Krieg

Sigma-Software: Ein Zulieferer trotzt dem Krieg
Freute sich über die vielen Kontakte auf der IAA Mobility: Yevegny Yakovlev © Sigma

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hatte auch Auswirkungen auf die Autoindustrie. Mittlerweile hat sich die Situation entspannt. Das gilt auch für den wachsenden IT-Bereich des Landes.

Seit dem 24. Februar 2022 ist in der Ukraine nichts mehr so wie es war. Der russische Angriff veränderte das gewohnte Leben von einem Tag auf den anderen. Mit schrecklichen Folgen für die Menschen in dem überfallenen Land – und mit Auswirkungen auf zahlreiche Lieferketten. So musste etwa VW einen Ausfall bei Kabelsträngen und Schaltern verkraften. Das hatte zu Produktionsstopps in den Werken Zwickau und Dresden geführt. Das war die Hardware – doch die Software spielt in der Branche eine immer größere Rolle („Software Defined Vehicle“). Die IT-Branche im Land hat sich mittlerweile auf die neuen Bedingungen eingestellt.

Wie sehr der Krieg in der Ukraine dennoch allgegenwärtig ist, sieht man bei Sigma auf einer Karte. Nicht alle 14 Standorte des Software-Unternehmens liegen in grünen und gelben Regionen wie Lwiw oder Kiew, die als vergleichsweise sicher gelten. Manche Mitarbeiter haben ihr Büro im roten Bereich: in Charkiw, Sumy und Dnipro – und damit nahe an der Front.

Zwei Drittel des Teams nach wie vor in der Ukraine

Mitarbeiter von Sigma bei der Open Tech 2021. Foto: Sigma

Bei Sigma sind knapp zwei Drittel des Teams nach wie vor in der Ukraine tätig. Ein Drittel – vor allem Frauen – befinden sich im Ausland. Das Software-Unternehmen hat mehr als 2000 Mitarbeiter an Standorten unter anderem in Europa, Israel, Nord- und Südamerika. Mit Blick auf die Neuorganistaion der Arbeit war Corona quasi eine Art Glücksfall, sagt Sigma-Sprecher Deny Smyrnov der Autogazette. Seither gibt es kaum noch Firmenrechner, sondern fast nur noch Laptops. Auf diesen entstehen jetzt unter anderem Grundlagen moderner Autos – digitale Cockpits, Systeme für Infotainment, Konnektivität und Telematik. Gerade über die Software definieren sich moderne Autos.

In den ersten Wochen nach dem Überfall war es besonders hart, erinnert sich Natalia Zheltukhina, Netzwerk-Managerin bei Sigma. Oft fiel der Strom aus und auch sonst war die Versorgung schwierig. Dennoch sei der IT-Sektor nach wie vor der wichtigste Wirtschaftsmotor für die Ukraine, sagt sie. „Er hat sich selbst in den dunkelsten Stunden des Landes nicht nur behauptet, sondern weist sogar ein ordentliches Wachstum auf.“

Kunden sind treu geblieben

Kurz nach Kriegsbeginn hatte VW Probleme, weil Kabelbäume und Schalter aus der Ukraine fehlten. Foto: dpa

Und: Die Kunden seien treu geblieben, so Smyrnov. Auch in Deutschland. Hier arbeitet Sigma unter anderen mit Knorr Bremse und der TecAlliance zusammen – einem Konsortium von rund 30 führenden Unternehmen der Autobranche wie Bosch, Continental, Mahle, ZF oder Schaeffler. Auch für Hersteller wie Volvo, Lynk&Co und ein paar andere, deren Namen er aus Gründen der Vertraulichkeit nicht nennen will, ist die Sigma Software Group tätig. Man habe sogar Partner dazugewonnen. Insgesamt weist die Kundenliste von Sigma 13 OEMs auf. Für Lynk&Co hat Sigma beispielsweise In-Car-Apps entwickelt.

Den Vorteil des Unternehmens sieht Zheltukhina darin, nicht nur Ingenieur-Teams zu stellen, sondern umfassende digitale Lösungen anzubieten. Immerhin könne das Unternehmen auf mehr als 20 Jahre Marktpräsenz, eingespielte Prozesse, ein tiefes Verständnis für deutsche Geschäftskultur und die mit hiesigen Bedingungen kompatible Zeitzone verweisen. Die Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Branchen sei ebenfalls entscheidend. „Doch unser größtes Kapital“, sagt sie, „liegt in unserer unerschütterlichen Widerstandskraft und unermüdlichen Motivation.“

Letzteres gelte für die gesamte Ukraine. Vor allem aber für den IT-Bereich. Mit Exporteinnahmen von 7,35 Milliarden Dollar habe die Branche 2022 einen erheblichen wirtschaftlichen Beitrag geleistet – sechs Prozent mehr als im Jahr davor. Mehr als 300 000 Menschen hätten sich zudem der IT-Armee angeschlossen, einer freiwilligen Organisation zur Bekämpfung von Desinformation im Internet. Aber es gibt eben auch den harten Dienst an der Waffe. Zwei Dutzend Mitarbeiter von Sigma leisten aktuell Militärdienst.

Software im Kampf gegen russische Drohnen

Seit dem russischen Überfall ist in der Ukraine nichts mehr wie es war. Foto: dpa

Neben dem normalen Job warten gerade in der IT-Branche gewaltige Herausforderungen im Verteidigungssektor. Mit moderner Software sollen die militärischen Fähigkeiten der Ukraine gestärkt werden. Vorrangig geht es um den Kampf gegen russische Drohnen. Ob auch Sigma Militär-Software entwickelt, dazu will Smyrnov nichts sagen. Nach fast 600 Tagen Krieg wäre alles andere allerdings eine Überraschung.

Einen Rückschlag für das Land sieht Zheltukhina in dieser speziellen Art der Kriegswirtschaft nicht unbedingt. Alles, was derzeit entwickelt werde, könne für die Ukraine eine Grundlage für die Zeit nach dem Krieg sein, sagt sie und nennt Israel als Beispiel. Auch dort hätten militärische Innovationen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung eines florierenden IT-Sektors gespielt. Dies könne die Ukraine in Bereichen wie Cybersicherheit und autonomes Fahren an die Spitze bringen.

Aber auch wenn die Branche floriere – Unterstützung für das angegriffene Land sei weiterhin unerlässlich, sagt Smyrnov. Der beste Weg bestehe darin, auch künftig mit den Technologieunternehmen dort ins Geschäft zu kommen – und zu bleiben.

Neues Leben für das Netzwerk

Die IAA Mobility hat da geholfen. „Wir haben viele Gespräche geführt und wertvolle Partnerschaften geknüpft“, erklärt Yevgen Yakovlev, Vice-President bei Sigma. „Diese Begegnungen haben unserem Netzwerk neues Leben eingehaucht.“ Er sei voller Hoffnung, dass diese Treffen und Verbindungen in den kommenden Jahren zu fruchtbaren Ergebnissen führen werden.

Zuversichtlich zeigt sich auch VW-Sprecher Andreas Meurer. Schon seit mehreren Monaten und auch aktuell gebe es keine Beeinträchtigungen der Lieferbeziehungen mit der Ukraine. Die Versorgung sei stabil.

Unmittelbar nach Kriegsausbruch habe der Konzernvorstand einen Krisenstab eingerichtet. Mehr als zehn 10 Top-Lieferanten hätten 80 Mitarbeiter nach Wolfsburg entsandt, um mit den VW-Einkaufsteams an Lösungen zu arbeiten. „Andere Standorte unserer auch in der Ukraine produzierenden Zulieferer in Osteuropa, Nordafrika und auch in Übersee sind kurzfristig in die Bresche gesprungen, um die Ausfälle zu kompensieren“, so Meurer.

„Der Volkswagen Konzern steht zu seinen Zulieferern in der Ukraine und versucht als Partner alles, um die Unternehmen vor Ort zu unterstützen“, versichert der Sprecher. „Das kann am Ende bedeuten, dass wir Überkapazitäten schaffen, sollte der Krieg bald beendet sein – aber das ist besser als Mangel an Teilen.“

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