Volvo wird Ende 2017 auf dem Göteborger Stadtring 100 Fahrzeuge autonom fahren lassen. Das Pilotprojekt ist in der Autobranche einmalig. Etliche Städte sind bereits auf die Schweden zugekommen, um sich darüber zu informieren.
Von Frank Mertens
Es sah spektakulär aus, was die VW-Tochter Audi am 19. Oktober gezeigt hat. Da raste ein 506 PS starker Audi RS7 autonom mit einem Tempo von bis zu 240 km/h im Vorfeld des Finales der Deutschen Tourenwagen Masters (DTM) über den Hockenheimring. Noch nicht einmal ein Fahrer war mit an Bord, um im Fall der Fälle das Lenkrad in die Hand zu nehmen und das Auto mit einem beherzten Tritt auf die Bremse zum Stillstand zu bringen.
Stattdessen stand alle 100 Meter Streckenposten bereit, um per Fernbedienung das Auto zum Halten zu bringen. Nötig war das nicht, denn der Audi absolvierte seine Aufgabe bravourös. Halt so, wie er für den Rundkurs von den Audi-Ingenieuren programmiert wurde.
Geweckte Erwartungen werden nicht erfüllt
Wer solche Bilder sieht, mag denken, dass es nur eine Frage von einigen Monaten ist, bis auf den Straßen Roboterautos unterwegs sind. Doch die Krux mit solchen spektakulären Aktionen wie der von Audi ist der Umstand, dass sie kaum übertragbar sind auf den realen Straßenverkehr.
Denn dort findet autonomes Fahren unter anderen Rahmenbedingungen statt: dort ist die Strecke eben nicht bis auf den Zentimeter genau digitalisiert, die Strecke nicht abgesperrt und dummerweise gibt es noch andere Verkehrsteilnehmer wie Autos, Radfahrer oder Fußgänger. Zu allem Überfluss kommen auch noch Ampeln und Verkehrsschilder hinzu, die das autonom fahrende Auto erkennen muss.
Damit ist klar, dass diese Aktion Erwartungen vermittelt, die nicht zu halten sind. Unabhängig von den nach wie vor fehlenden rechtlichen Rahmenbedingungen werden hochautomatisierte Fahrzeuge noch lange, bis mindestens Mitte des nächsten Jahrzehnts auf sich warten lassen.
Realität weniger beeindruckend
Die Realität sieht weniger spektakulär aus. So, wie in Göteborg. Hier kann man bereits seit Dezember 2013 erleben, wie Volvo daran arbeitet, sein so genanntes Drive Me-Projekt auf den Weg zu bringen. Bis Ende 2017 will der schwedische Autobauer 100 autonome Fahrzeuge in einem Pilotprojekt auf dem 50 Kilometer langen Autobahnring rund um Göteborg testen lassen.
Nicht von Volvo-Mitarbeitern, sondern von ganz normalen Kunden, die sich dafür bewerben können, wie Anders Eugensson berichtet, bei Volvo Direktor für Außenbeziehungen. Seit Dezember des vergangenen Jahres läuft bei Volvo das Projekt Drive Me, das in seiner Art einzigartig in der Automobilindustrie ist.
Derzeit sind erst eine Handvoll autonom fahrender Fahrzeuge unterwegs, im kommenden Jahr sollen es dann schon rund zehn sein. Derzeit begnügen sie sich noch mit seriennaher Technik, nur im Kofferraum des Volvo V60 liegt eine größere Rechnereinheit. Damit geht es los zur autonomen Testfahrt von Volvos Firmengelände zum nur wenige Kilometer entfernten Autobahnring, bei dessen Erreichen Versuchsingenieur Jonas Nilsson per Tastendruck den Autopiloten aktiviert und die Hände vom Lenkrad nimmt.
Noch keine autonomen Spurwechsel
Doch so richtig entspannt schaut Nilsson trotz des gemächlichen Tempos von 80 km/h dabei nicht aus. Er agiert konzentriert, nicht entspannt, wie man es von einem Fahrer in einem autonom fahrenden Auto erwartet, das den Fahrer ja bei monotoner Fahrt beispielsweise auf der Autobahn oder im Stau entlasten soll. Dass, so sagt Jonsson, liegt schlicht daran, dass dieser Volvo nicht über seitliche Kameras und Sensoren verfügt. Mit dieser Technik ist dann auch kein Spurwechsel oder Überholen möglich.
Von daher muss Jonsson Spurwechsel auch selbst vornehmen, kann sie nicht dem System überlassen. Wer schon einmal mit einer Distronic Plus, einem Abstandsautomaten auf der Autobahn unterwegs war, empfindet das Fahren damit weitaus spektakulärer als diese Testfahrt in dem autonom fahrenden Volvo V60.
Doch bis 2017 sind es ja noch drei Jahre – und dann sind auch der neue Volvo XC90 und weitere neue Modelle ausgerollt. Der neue XC90, der im kommenden Jahr seinen Marktstart feiert, verfügt dann beispielsweise auch über einen Staupiloten und einen Abbiegeassistenten, entsprechend neue, leistungsstärkere Kameras und Sensoren. Der XC90 ist das erste Fahrzeug, das auf der neuen skalierbaren Produkt-Architektur (SPA) basiert. Diese Plattform ist auf die kontinuierliche Einführung neuer Assistenz- und Sicherheitssysteme ausgelegt, also auch auf Systeme, über die der neue Volvo XC90 noch nicht verfügt. Dazu gehört beispielsweise auch das vollautonome Einparken. Mit dem neuen SUV gehen die Schweden ab dem kommenden Jahr schon einmal den nächsten großen Schritt zum autonomen Fahren – und auf dem Göteborger Stadtring kann man das dann erleben.
Drive Me bildet Realität ab
Dem Drive Me-Projekt misst Volvo-Entwicklungschef Peter Mertens einen großen Stellenwert bei, wie er unlängst im Interview mit der Autogazette sagte. Denn hier läge der Unterschied zu den Wettbewerbern, „die einmal ein Auto von A nach B fahren lassen. Mit den richtigen GPS-Daten und einem guten Kartenmaterial ist das nicht wirklich kompliziert. Unser Drive Me-Projekt bildet indes mit 100 Fahrzeugen die Realität ab. Hier können wir lernen, wie die Fahrer und die Fahrzeuge um einen herum reagieren. Wir können sehen, welchen Einfluss die Infrastruktur hat. Daraus bauen wir eine Lerninsel, um unsere Systeme zu verbessern, um dann in die Serienfertigung zu gehen“.
Das Ziel der Bemühungen ist dabei klar, berichtet Eugensson, der bei dem Projekt von Anfang an dabei ist. Bis zum Jahr 2020 soll kein Fahrer mehr bei einem Unfall in einem Volvo ums Leben kommen. Für die „Vision 2020“, die die Schweden im Jahr 2007 ausgegeben haben, ist das autonome Fahren quasi das Vehikel. Denn durch die zunehmenden Fahrassistenzsysteme wird das Fahren immer sicherer.
Vorreiterrolle durch Unterstützung der Behörden
Im Aspekt der Sicherheit liegt dann auch der entscheidende Grund, weshalb sich die schwedischen Behörden bereit erklärt haben, dieses Projekt in der jetzigen Form zu unterstützten. ”Ein solches Projekt wäre kaum vorstellbar gewesen, wenn wir der Regierung Bilder von Zeitung lesenden Autofahrern gezeigt hätten. Es war wichtig, dass wir das klare Ziel kommuniziert haben, den Verkehr sicherer zu machen”, sagt Mertens.
Durch die Art der Unterstützung der Behörden sieht sich Volvo im Konkurrenzkampf der Hersteller beim autonomen Fahren auch in der Führungsrolle. ”Durch die Unterstützung der Behörden sind wir hier klar im Vorteil”, sagte Eugensson. Das Drive-Me-Projekt jedenfalls hat weltweit für Interesse gesorgt. So seien beispielsweise britische Städte wie Manchester oder Liverpool oder Austin in den USA auf die Schweden zu gekommen, um mehr davon zu erfahren, wie Eugensson berichtet.
Optimierter Verkehrsfluss
Neben dem Aspekt der Sicherheit bringt das autonome Fahren aber auch noch andere Vorteile. Beispielsweise lässt sich der Verkehrsfluss optimieren – und damit in der Folge auch Staus vermeiden, in dem die autonom fahrenden Autos Doch bis dahin liegt noch eine Menge Arbeit vor den Ingenieuren. Denn noch reagieren die Systeme bei schlechten Wetter oder Dunkeleheit entweder nur eingeschränkt oder gar nicht. Zudem muss auch noch das Kartenmaterial verbessert werden. Hier arbeitet Volvo mt der Nokia-Tochter Here zusammen, wie Eugensson berichtet.
Perspektivisch soll das autonome Fahren aber nicht nur auf dem Göteborger Autobahnring stattfinden, sondern Pendler auch bis in die Stadt bringen und ihnen dabei das ”Problem der letzten Meile” lösen helfen. Dann kann der Fahrer seinen Volvo einfach an der Straße abstellen und ihn autonom auf Parkplatzsuche schicken. Automatisches Einparken ist integraler Bestandteil der Volvo Roadmap.
Doch wie lange wird es noch dauern, bis man beim vollautonom fahrenden Fahrzeug angekommen ist? Entwicklungschef Peter Mertens rechnet mit ”mindestens noch zehn bis 15 Jahre”. Vielleicht klappt das auch etwas früher, bekanntlich neigen die Schweden eher zur Zurückhaltung als zum Überschwang. Doch eines gilt als sicher: In Göteborg wird man verfolgen können, wie sich das Autofahren der Zukunft entwickelt. Drive Me gibt hier den Weg vor – auch wenn das Pilotprojekt in Göteborg weniger spektakulär ist als die Aktion auf dem Hockenheimring.