Der Mercedes F 015 hat auf der CES für Aufsehen gesorgt. Im Interview mit der Autogazette sprechen die Designer Hartmut Sinkwitz und Steffen Köhl über Kutschen, das Luxusgut Zeit und darüber, weshalb der Mensch im Vordergrund steht.
Die Weltpremiere des Mercedes F 015 Luxury in Motion war auf der Consumer Electronic Show (CES) in Las Vegas einer der Höhepunkte. Im Interview mit der Autogazette sprechen der Leiter Advanced Exterieur Design Steffen Köhl und der Leiter Interieur Design Hartmut Sinkwitz über das Auto der Zukunft und darüber, weshalb Kutschen bei der Entwicklung dieses autonom fahrenden Konzeptfahrzeugs eine wichtige Rolle gespielt haben.
Neue Ästhetik des Innenraums
«So wie es anderen Herstellern bei der Elektromobilität gelungen ist, eine neue Ästhetik zu schaffen, ist es uns gelungen, eine neue Ästhetik für den Innenraum zu erschaffen», sagte Sinkwitz. Wie er hinzufügte, hätten die Designer vor der Aufgabe gestanden, durch die Gestaltung des Innenraums des Mercedes F 015 den Insassen Vertrauen in die Technik zu vermitteln. Es sollte gezeigt werden, dass das Fahrzeug als fahrender Roboter sein Umfeld unter Kontrolle hat.
«Platz im Auto als Rückzugsort nutzen»
Autogazette: Bei Michael Endes Roman Momo waren die grauen Herren die Zeitdiebe, heute ist es der Verkehr und das Internet. Ein Auto wie der Mercedes-Benz F 015 Luxury in Motion soll dem Autofahrer mehr Zeit zurückgegeben. Wird dieses Auto mit seinen technischen Möglichkeiten nicht eher zu einem noch größeren Zeitdieb.
Hartmut Sinkwitz: Oh nein. Dieses Auto bietet einen riesigen Unterschied zu all den Autos, die wir bislang kennen. Man kann in ihm bereits unterwegs das kostbare Gut Zeit so nutzen, als wäre man bereits an seinem Ziel angekommen. Ich kann dabei sowohl den Platz im Auto als Rückzugsort als auch Arbeitsplatz nutzen. Beides ist möglich.
Autogazette: Bei der Präsentation des F 015 wurde das Fahrzeug als automobile Revolution bezeichnet. Können Sie mit Blick auf die Formensprache sagen, was dieses Auto zu einer Revolution macht?
Steffen Köhl: Wenn wir über das Design mit seinem monolithischem Körper sprechen, dann geht gerade die Front mit dem Thema Licht völlig anders um als das, was wir bislang kennen. Die LED-Leuchten umschließen den ganzen Kühlergrill und sind zudem in der Lage, mit anderen Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern durch Lichtsignale zu kommunizieren. Daran sieht man, dass unser Konzept ein nachhaltiges ist. Zugleich ist das Fahrzeug in der Lage, den Fußgänger auch stimmlich zum Überqueren der Straße aufzufordern und per Laser einen Zebrastreifen auf die Straße zu projizieren.
«Mensch in den Mittelpunkt stellen»
Autogazette: Herr Sinkwitz, wo liegt denn beim Innenraumdesign das Revolutionäre?
Sinkwitz: Das Revolutionäre im Innenraum liegt darin, dass das Fahrzeug in der Lage ist, den Anforderungen an das autonom fahrende Fahrzeug von morgen gerecht zu werden. Wir standen als Designer vor der Aufgabe, dass durch den Innenraum den Insassen Vertrauen in die Technik vermittelt werden muss. Das Fahrzeug hat als fahrender Roboter sein Umfeld unter Kontrolle. Es weiß, was es tut. Es muss auf eine einfache, leicht zu erfassende Art den Passagier informieren.
Autogazette: Der Innenraum bietet Loungesesssel, bei denen Fahrer und Beifahrersitz auch entgegen der Fahrtrichtung Platz nehmen können. So etwas kennt man bereits von Kutschen. Kehrt man mit dem F 015 zurück in die Zukunft?
Köhl: Schöne Beschreibung.
Sinkwitz: Wir reden beim Interieur-Design auch gerne von dem digitalen Luxus, den dieses Auto bietet. Ein existenzieller Luxus in diesem Auto liegt aber vor allem darin, abschalten zu können. Wir kommen damit zurück zu dem Ursprungsbedürfnis des Menschen, in einer Gruppe zu kommunizieren und sich dabei auch ansehen zu können. Man kann sich in diesem Umfeld auf seine Freunde besinnen. Wir wollen nicht nur immer mehr digitale Möglichkeiten in einem solchen Auto bieten, sondern auch den Menschen mit seinen Bedürfnissen und Wünschen in den Mittelpunkt stellen.
Autogazette: Machen Sie sich selbst nicht etwas vor, wenn sie das Auto als Rückzugsort in den Mittelpunkt stellen. Vielmehr wird es doch zu einem rollenden Büro oder einem Ort der Unterhaltung, wenn ich das will?
Köhl: Sie sagen es selbst: Wenn der Passagier das will. Wir bieten ihm die Optionen, aus denen er auswählen kann. Entweder nutzt er das Auto als Rückzugsort oder als rollendes Büro. Die Entscheidung liegt bei ihm. Wir bieten alles an, was zur Freiheit, zum Genuss der Mobilität gehört. Er kann jederzeit autonom fahren, er kann aber auch selbst Fahrspaß haben, wenn er selbst hinter dem Steuer sitzt. Er hat eine perfekte Cocooning-Lounge.
«Die Kutsche war dabei das Leitbild»
Autogazette: Ist die Ähnlichkeit des Lounge-Konzepts mit der Anordnung der Sitze wie bei einer Kutsche Zufall oder gewollt?
Sinkwitz: Nein, das war kein Zufall. Wir haben uns im Vorfeld gefragt, welche Möglichkeiten der Innenraum bieten muss, wenn das Fahrzeug wirklich autonom fährt. Die größte visuelle Botschaft ist durch die drehbaren Sitze die Verwandelbarkeit des Innenraums. Sie bietet Möglichkeiten, die wir bislang nicht kannten.
Köhl: Hier setzen wir auch beim Exterieur an. Die Kutsche war eine der ersten Inspirationen, die wir für die ersten Skizzen hatten. Wir haben das Auto bereits vor Jahren schon einmal in einem Projekt zur Future Mobility angedacht. Die Kutsche war dabei ein Leitbild. Die 26 Zoll großen Räder befinden sich ganz außen, der Radstand beläuft sich auf 3,60 Meter, um das Lounge-Interieur wie bei einer Kutsche zu ermöglichen. Die Proportionen waren von Anfang bestimmender Teil unserer Überlegungen.
Sinkwitz: Das der Passagier sich im Innenraum um 360 Grad drehen kann, war eine große Herausforderung ans Packaging des Autos. So etwas zu realisieren, ist schon einmal eine große Leistung. Es ist auch ein Statement dafür, dass der Passagier diesem System hundertprozentig vertraut. Er wendet dem Verkehr vor sich dem Rücken zu und kann sich wie zu Hause auf einem Sofa fühlen.
Autogazette: Was können Sie für ihr Design von den Anfängen der Mobilität lernen: Sachlichkeit, Klarheit, Reduktion aufs Wesentliche?
Köhl: Luxus, es kann ja auch ein Königskutsche sein, an die man denkt. Vorn saß der Kutscher und hinten der Passagier, der jemanden für eine Unterhaltung vor sich sitzen hatte. Dieses Konzept haben wir in die Neuzeit übertragen, daraus Modern Luxury gemacht.
Autogazette: Ist weniger also mittlerweile mehr?
Sinkwitz: Absolut. Wir haben mit diesem Innenraum ein Niveau der Reduktion, wie wir es noch nie hatten. Gerade mit diesen weichen Übergängen aus dem Holzboden in die Seitenwand überwinden wir die harten Übergänge der Materialien. Auch moderne Highend-Innenraumarchitektur lebt von der Reduktion, von Purismus.
Köhl: Diesen Purismus findet man ja auch außen. So haben wir die Scheiben mit Laserdruck mit dem gleichen Lack versehen wie die Karosserie. Von innen kann man dennoch wie durch ein getöntes Glas hindurch schauen. Dieser pure Ansatz durchdringt dieses Auto von innen nach außen. Beide Felder sprechen die gleiche Sprache.
«Das Fahrzeug wird immer intelligenter»
Autogazette: Glauben Sie nicht, dass ein voll digitalisierter Innenraum die Kunden überfordert?
Sinkwitz: Sicherlich nicht. Wir werden das Interface so reduziert gestalten, dass es auch entsprechend einfach zu bedienen ist, es wird selbsterklärend sein. Das Fahrzeug wird immer intelligenter und sich so an den Passagier anpassen, wie man es bislang nicht kennt.
Autogazette: Ab wann ist ein solches Auto wie der F 015 vorstellbar. Ab 2030?
Sinkwitz: Ab 2030 wäre das möglich.
Autogazette: Auch früher?
Sinkwitz: Um ein solches Auto in Serie zu bringen, müssen noch viele Rahmenbedingungen, auch gesetzlicher Art, geklärt werden. Doch wenn wir von 2030 reden, liegt man doch nicht schlecht.
Autogazette: Haben Sie den Eindruck, dass Sie mit ihrem Innovationstempo manchmal zu schnell für den Gesetzgeber sind?
Köhl: Das ist ja auch unsere Aufgabe, wir wollen Innovationen anschieben. Wir können nicht abwarten, dass sich andere bewegen. Wir müssen der Treiber sein.
Autogazette: Herr Sinkwitz, was ist eigentlich revolutionärer: das Interieur oder das Exterieur des Autos?
Köhl: Die Entscheidung hat letztlich der Kunde.
Sinkwitz: (lacht) Mir ist in einem Interview unseres Designchefs Gorden Wagener aufgefallen, dass an erster Stelle das Interieur-Design erwähnt wird...
Köhl: (lacht) ...das war dann wohl eines der schwächeren Interviews.
«Die Sitze sind schlicht moderne Kunst»
Autogazette: Was gefällt Ihnen am Auto persönlich am meisten?
Köhl: Mir gefällt am meisten der Shape und das Finish der Sitze. Das ist für mich das Highlight dieses Autos. Daneben ist es der monolithische Ansatz des Designs: Es ist ein Block, die Räder stehen ganz außen. Das sieht richtig gut aus. Wenn es ums Detail geht, dann bietet das Interieur mehr Möglichkeiten. Die Sitze sind schlicht moderne Kunst.
Sinkwitz: Ich danke Dir. So wie es anderen Herstellern bei der Elektromobilität gelungen ist, eine neue Ästhetik zu schaffen, ist es uns gelungen, eine neue Ästhetik für den Innenraum zu erschaffen.
Autogazette: Was ist eigentlich das revolutionärere Auto? Der Mercedes F 015 oder der Prototyp von Google?
Köhl: Für uns geht es ums Modern Luxury. Wir sind eben kein reines Technologieunternehmen, wir orientieren uns sehr stark am Design.
Sinkwitz: Wir überlassen dem Kunden die Wahl, ob er sich nur autonom fahren lassen oder selbst fahren will. Fahrspaß steht für uns weiterhin im Mittelpunkt. Wir bekennen uns zu unserer Tradition und unseren Markenwerten. Dieses Auto zeigt, dass man sich an Markenwerten orientieren und dennoch sehr innovativ sein kann.
Das Interview mit Steffen Köhl und Hartmut Sinkwitz führte Frank Mertens