«Vorschläge der EU zu E-Fuels sind Taschenspielertricks»

ZF-Vorstand Stephan von Schuckmann

«Vorschläge der EU zu E-Fuels sind Taschenspielertricks»
ZF-Vorstand Stephan von Schuckmann. © Michael Schulz/ZF

ZF-Vorstand Stephan von Schuckmann kritisiert im Streit um ein Verbrenner-Aus die jüngsten Vorschläge der EU zu E-Fuels. Er bezeichnete sie als «Taschenspielertricks».

Der Technologiekonzern ZF spricht sich im Streit zwischen Deutschland und der EU um das Verbrenner-Aus 2035 für den Einsatz von E-Fuels aus. Für das Erreichen der ambitionierten Klimaziele der EU würden E-Fuels «vor allem für den verbrennungsmotorischen Pkw-Bestand» als wichtige Ergänzung eine Rolle spielen, sagte ZF-Vorstand Stephan von Schuckmann im Interview mit der Autogazette. Der Manager verantwortet bei ZF die Elektromobilität und Antriebstechnik.

Kritisch äußerte sich Schuckmann zu dem von der EU-Kommission vorgelegten Lösungsvorschlag zur Beilegung des Konflikts. «Die jüngsten Vorschläge der EU zu E-Fuels sind Taschenspielertricks, die den Autofahrern nicht helfen. Für den Erfolg der Elektromobilität brauchen wir keine Verbote, sondern attraktive Rahmenbedingungen – das betrifft insbesondere die Ladeinfrastruktur.»

EU-Vorschlag zurückgewiesen

Der von der EU vorgelegte Lösungsvorschlag sah vor, dass Verbrenner auch nach 2035 neu zugelassen werden können, wenn sie dann ausschließlich mit CO2-neutralen E-Fuels betankt werden. Die Hersteller hätten dazu sicherzustellen, dass Pkw nicht doch mit Benzin oder Diesel fahren können. Sollte dennoch dieser Kraftstoff verwendet werden, sollten sie sich automatisch abschalten.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte diesen Vorschlag zurückgewiesen. Vor allem aufgrund der Blockade der FDP wurde die finale Abstimmung zum Verbrenner-Aus 2035 verschoben. Die FDP fordert den Einsatz von klimaneutralen synthetischen Kraftstoffen auch für nach diesem Datum neu zugelassene Neuwagen mit Verbrennungsmotor.

«Die Elektromobilität wird sich durchsetzen»

Autogazette: Herr von Schuckmann, die Energie- und Rohstoffpreise steigen. In der Folge werden E-Autos immer teurer. Zugleich sinkt die Kaufprämie auf 4500 Euro. Ist der Höhenflug der E-Mobilität nach einer Steigerung von knapp über 32 Prozent im Jahr 2022 bei den Neuzulassungen in Deutschland vorbei?

Stephan von Schuckmann: Nein, die Elektromobilität wird sich durchsetzen. Wie schnell das passiert, hängt letztendlich davon ab, wie sich Faktoren wie Energie- und Rohstoffpreise, politische Entscheidungen und Entwicklungen auf dem Markt für Elektroautos gestalten. Dazu gehört auch der Hochlauf der Ladeinfrastruktur und wie schnell die Hersteller von Elektroautos in der Lage sind, ihre Produktionskosten zu senken.

Autogazette: Viele Experten erwarten bei den Elektroautos wegen der gesunkenen Prämie einen Nachfrageeinbruch. Sie auch?

Schuckmann: Sagen wir es einmal so: Ohne Förderung werden die ambitionierten Ziele der Bundesregierung sicher nicht leichter zu erreichen sein. Allerdings lassen sich die Auswirkungen des Wegfalls der Förderung für Plug-in-Hybride in Deutschland derzeit nur schwer abschätzen, da die Bestellung der sich aktuell in Produktion befindlichen Fahrzeuge schon einige Zeit zurückliegt. Darüber hinaus liefern unsere Kunden ihre Fahrzeuge weltweit aus, sodass wir aus den bestehenden Aufträgen nur schwer Rückschlüsse auf einzelne Märkte ziehen können.

«Entscheidend ist, dass die Kosten für E-Autos sinken»

Autogazette: Wie beurteilen Sie die Senkung der Kaufprämie, die sich im Jahr 2024 sogar auf 3000 Euro reduziert? Verträgt sich das mit dem Ziel der Bundesregierung, bis 2030 insgesamt 15 Millionen E-Autos haben zu wollen?

Schuckmann: Es geht doch darum, die Elektromobilität für alle Autofahrer insgesamt erschwinglicher und attraktiver zu machen. Dazu gehört der Aufbau einer überall verfügbaren Ladeinfrastruktur und die Förderung der Fahrzeuge, die in der Regel teurer als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor sind.

Autogazette: Selbst elektrische Kleinwagen kosten mittlerweile zwischen 35.000 und 40.000 Euro. Ist E-Mobilität damit nur noch etwas für Besserverdienende?

Schuckmann: Zum Glück kommen jetzt nach und nach auch günstigere E-Autos auf den Markt. Auch bei den teureren, oft sehr komfortablen E-Fahrzeugen der Mittelklasse entstehen über den ganzen Lebenszyklus geringere Unterhaltskosten, was Kraftstoff, Inspektion, Steuer und Versicherung betrifft.

Entscheidend ist, dass die Kosten für Elektroautos in den kommenden Jahren aufgrund von Skaleneffekten und technologischen Fortschritten sinken werden. Das wird die Elektromobilität für ein noch breiteres Publikum zugänglicher machen.

Autogazette: VW-Markenchef Thomas Schäfer hat unlängst im Interview mit uns das Ziel kassiert, den VW ID.2 im Jahr 2025 für einen Preis von 20.000 Euro anzubieten, er geht eher von 25.000 Euro aus. Können Sie Hoffnungen machen, dass die Batterien für Elektroautos in Zukunft günstiger werden?

Schuckmann: ZF stellt keine Batterien her – wir tragen aber über effizientere elektrische Antriebe dazu bei, dass kleinere Batterien verwendet werden können. Das erreichen wir über den Einsatz von Siliziumkarbid: Mit Siliziumkarbid kann man gegenüber herkömmlichem Silizium bis zu 10 Prozent Effizienz gewinnen. Das bedeutet, man benötigt etwa 10 Prozent weniger Batterieaufwand für dieselbe Reichweite oder man kann mit der gleichen Batteriegröße 10 Prozent weiter fahren. Das ist in der E-Mobilität ein entscheidender Faktor, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

«Sehen Anzeichen, dass sich Materialengpässe abschwächen»

Autogazette: Halten Sie einen Preis für einen E-Kleinwagen im Bereich von 15.000 Euro mittelfristig für realistisch?

Schuckmann: Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Denn derzeit sind die Hauptkostenfaktoren für Elektroautos die Batterien und andere Komponenten wie der Antriebsstrang. Durch Skaleneffekte und Fortschritte in der Batterietechnologie ist es wahrscheinlich, dass die Kosten für diese Komponenten in Zukunft sinken werden. Das hängt natürlich noch von der Inflation sowie den Rohstoffpreisen und der Preisstabilität ab.

Autogazette: Die hohen Preise sind auch auf eine Verknappung des Angebots wegen Chipkrise und Teilemangel zurückzuführen. Sehen sie eine Entspannung im Jahr 2023?

Schuckmann: Wir sehen messbare Anzeichen dafür, dass sich die Materialengpässe – insbesondere bei Halbleitern – weiter abschwächen. Aktuell sehen wir hier aber noch keine Entspannung und die Engpässe werden uns dieses Jahr weiter beschäftigen. Aufgrund der geringen Verfügbarkeit von Halbleitern und der fragilen Lieferketten haben wir aber zur Sicherung unserer Produktion in den Jahren 2021 und 2022 ausreichend Lagerbestände aufgebaut.

«Projekt ohne staatliche Unterstützung nicht möglich»

ZF-Chef Holger Klein bei seiner Rede in Ensdorf zum geplanten Bau der Halbleiter-Fabrik. Foto: dpa

Autogazette: Die Chipkrise hat die Abhängigkeit von Asien vor Augen geführt. ZF plant nun mit dem US-Konzern Wolfspeed den Bau einer Siliziumkarbid-Halbleiter-Fabrik im saarländischen Ensdorf. Kann dieses Werk Europa resilienter bei den Lieferketten machen?

Schuckmann: Definitiv – resilientere Lieferketten in Europa ist eines der wichtigen Ziele unserer strategischen Partnerschaften wie wir sie etwa mit Wolfspeed eingehen.

Autogazette: Der Bau steht unter Vorbehalt der Subventionierung durch die EU im Rahmen des Projekts „wichtiger Vorhaben von gemeinsamen europäischen Intereses (IPCEI)“. Rechnet sich ein solches Projekt nur mit staatlicher Förderung?

Schuckmann: Die Förderung kommt im Rahmen des IPCEI aus Deutschland und dem Saarland, aber die EU muss ihre beihilferechtliche Zustimmung geben – darauf warten wir aktuell. Und in der Tat ist das Projekt ohne staatliche Unterstützung in Europa nicht möglich. Sie sehen ja, welche Fördersummen in den USA und in Asien derzeit ausgeschüttet werden. Auch Standortnachteile in Deutschland wie zum Beispiel die hohen Energiekosten können nur mithilfe der IPCEI-Förderung ausgeglichen werden.

Autogazette: Die EU will mit einem eigenen Maßnahmenpaket Europa im Wettbewerb gegen die USA und China stärken – gerade auch als Produktionsstandort für E-Autos. Ist das ein Push, den Europa mit Blick auf den Ausbau grüner Technologien gebraucht hat?

Schuckmann: Ja, Europa bemüht sich zurecht um die langfristige Attraktivität des Standorts. Der kürzlich vorgelegte Green Deal Industrial Plan springt aber zu kurz, indem er einige Gewinnertechnologien herauspickt, anstatt die Transformation der automobilen Wertschöpfungskette zu unterstützen.

«Positiv, dass die USA mit IRA auf Klimawandel reagiert»

US-Präsident Joe Biden und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Oval Office. Foto: Andrew Harnik/AP/dpa

Autogazette: Auch ZF hat wie beispielsweise BMW, VW und Mercedes-Benz Werke in den USA. Inwieweit sehen Sie durch Inflation Reduction Act der US-Regierung negative Einflüsse auf ihr Geschäft?

Schuckmann: Es ist positiv, dass die USA mit dem Inflation Reduction Act mit starken Maßnahmen auf den Klimawandel reagiert. Wichtig ist, dass amerikanische wie auch hiesige industriepolitische Programme den transatlantischen Handel weiterhin unterstützen.

Autogazette: Im Zuge des Inflation Reduction Acts wurde auch von einem Handelskrieg gesprochen. Sehen Sie das auch so?

Schuckmann: Die Einschätzung teile ich nicht und zuletzt hat es ja gute Gespräche zwischen der EU-Kommissionspräsidentin und dem US-Präsidenten gegeben.

Autogazette: Hat Europa mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie zu lange gewartet, hier eine Chancengleichheit herzustellen?

Schuckmann: Ich hoffe, dass das zu dem neuen Verständnis von Industriepolitik auch gehört, regulatorische Kosten zu reduzieren. Dies könnte die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken.

«E-Fuels spielen als wichtige Ergänzung eine Rolle»

Trotz hoher Kosten macht sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) für synthetische Kraftstoffe stark. Foto: dpa

Autogazette: Wie nehmen Sie als Industrie die Diskussion um ein Verbrenner-Aus 2035 wahr. Erst beschloss das EU-Parlament das Verbrenner-Aus 2035, jetzt wird der Beschluss von der FDP blockiert, die auf E-Fuels drängen. Tangiert das Ihre Planung – oder sind die Weichen in der Industrie ohnehin Richtung E-Mobilität gestellt?

Schuckmann: Wir bei ZF haben uns schon länger auf verschiedene – auch sehr progressive – Szenarien zur Einführung der E-Mobilität vorbereitet. In Europa tritt nun das schärfste Szenario ein, das die Transformation nochmals beschleunigen wird. Das berücksichtigen wir in unseren strategischen Planungen, um mit den passenden Kapazitäten richtig aufgestellt zu sein. Im Klartext heißt das: wir arbeiten weiterhin konsequent am Hochlauf der Elektromobilität. Und dabei spielen auch E-Fuels – vor allem für den verbrennungsmotorischen Pkw-Bestand – als wichtige Ergänzung eine Rolle, um die ambitionierten Klimaziele der EU zu erreichen. Die jüngsten Vorschläge der EU zu E-Fuels sind Taschenspielertricks, die den Autofahrern nicht helfen. Für den Erfolg der Elektromobilität brauchen wir keine Verbote, sondern attraktive Rahmenbedingungen – das betrifft insbesondere die Ladeinfrastruktur.

Autogazette: Wann wird der Markt für E-Autos in Europa an dem für Verbrenner vorbeiziehen? Sie sprachen einmal davon, dass bis 2030 der Anteil reiner E-Autos bei 47 Prozent liegt. Steht diese Einschätzung weiterhin?

Schuckmann: Ja, wir gehen aktuell sogar davon aus, dass Elektroautos bis 2030 einen globalen Marktanteil von mindestens 50 Prozent bei den Neufahrzeugen erreichen werden.

Autogazette: Welche Auswirkungen hat das Ausstiegsdatum aus dem Verbrenner für das E-Mobilitätsgeschäft von ZF? Welche jährlichen Steigerungen erwarten Sie?

Schuckmann: Wir passen unsere Plan-Szenarien fortlaufend an die aktuellen Entwicklungen an – hier ist auch das Verbot für Verbrenner in Europa berücksichtigt. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es einen globalen Markt für Antriebe gibt, auf dem zum Beispiel mangels Infrastruktur Verbrennungsmotoren noch über einen längeren Zeitraum eingesetzt werden. Mit einem Auftragsbestand von über 30 Milliarden Euro für elektrische Antriebe sehen wir uns gut aufgestellt.

«Unsere Kunden verlangen nach verschiedenen Lösungen»

Autogazette: Europa hat sich mit Blick auf Pkws auf die E-Mobilität festgelegt. Sie sehen das kritisch, sprechen sich für eine Technologieoffenheit aus. Warum, sie profitieren doch mit Ihrer E-Sparte davon?

Schuckmann: Wir sehen seit längerem, dass verschiedene Märkte unterschiedliche Wege und Geschwindigkeiten wählen, um den Fahrzeugantrieb emissionsfrei zu machen. Daher verlangen auch unsere Kunden nach verschiedenen Lösungen und hier unterstützen wir sie mit unserer breiten und langjährigen Expertise im Bereich Fahrzeugantrieb.

Selbstverständlich spielt dabei der batterieelektrische Antrieb die Hauptrolle, doch wenn wir es mit der CO2-Reduzierung ernst meinen, sollten wir alle Technologien nutzen, die uns zur Verfügung stehen und die wir rasch einsetzen können. Unser Produktprogramm bietet dafür verschiedene Ansätze.

Autogazette: Die Förderung der Plug-in-Hybride ist Ende 2022 ausgelaufen, die Zulassungszahlen eingebrochen. Hat die Technologie für Sie mit Blick auf die globalen Märkte noch eine Chance?

Schuckmann: Die Elektrifizierung von Antriebssträngen spielt eine zentrale Rolle, um Emissionen zu reduzieren. Neben vollelektrischen Pkw-Antrieben widmen wir uns jeder technisch sinnvollen Lösung, die einen Beitrag zu weniger CO2 leisten kann. Ausschließlich batterieelektrische Antriebe sind keine Patentmedizin. Wenn wir der E-Mobilität zum Durchbruch verhelfen wollen, müssen wir priorisiert die Reichweite anpassen und der Angst vor dem Liegenbleiben entgegentreten. Plug-in-Hybride sind nach wie vor ein wichtiger Möglichmacher für die Elektromobilität – insbesondere beim Ausbau der Ladeinfrastruktur. Beim Plug-in-Hybrid rechnen wir mit einem weltweiten konstanten Anteil von fünf Prozent.

«Sollten uns hüten, Technologien auszuschließen»

Autogazette: Es wird immer wieder über den Einsatz von Wasserstoff im Pkw-Bereich diskutiert. Doch spielt die Brennstoffzelle nicht nur im Schwerlastverkehr oder Luftverkehr eine Rolle?

Schuckmann: Im Lkw-Bereich wird Wasserstoff perspektivisch eine größere Rolle spielen als beim Pkw, denn gerade bei Langstreckentransporten ist die E-Mobilität schwieriger praktikabel zu realisieren. Wir sollten uns aber davor hüten, Technologien einfach auszuschließen, denn die Dinge entwickeln sich heute so dynamisch, dass wir nicht präzise vorhersagen können, wie sich die Fahrzeugantriebe tatsächlich im Markt durchsetzen werden. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle, die untereinander zusammenwirken.

Autogazette: Erst der Konflikt Chinas mit Taiwan, dann der Abschuss eines Flugobjektes. Wie sehr besorgt Sie die Auseinandersetzung der USA mit China mit Blick auf den chinesischen Markt?

Schuckmann: Wir beschäftigen uns selbstverständlich mit den aktuellen Entwicklungen und möglichen Szenarien. Es liegt auf der Hand, dass aufgrund der globalen wirtschaftlichen Verflechtung Chinas die Auswirkungen deutlich spürbarer wären, als dies etwa bei den Sanktionen gegenüber Russland der Fall ist. Spekulationen sind aber müßig, denn hier gibt es zu viele Variablen. Doch klar ist: Ein Decoupling kann nicht der Ansatz dafür sein.

Autogazette: Inwieweit versuchen Sie, die Bedeutung des chinesischen Marktes für das eigene Geschäft zu reduzieren?

Schuckmann: ZF ist in China seit mehr als 40 Jahren präsent, wir erwirtschaften dort rund ein Fünftel unseres Umsatzes und produzieren im Land für chinesische und ausländische Kunden. Diese Situation wird sich perspektivisch nicht verändern, wir beschäftigen uns aber selbstverständlich mit den aktuellen politischen Entwicklungen dort und prüfen, was sie für ZF bedeuten könnten.

Das Interview mit Stephan von Schuckmann führte Frank Mertens

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