«Eigentlich reicht eine Batteriegröße von 50 kWh»

Otmar Scharrer, Leiter Elektro-Antriebe bei ZF

«Eigentlich reicht eine Batteriegröße von 50 kWh»
Dr. Otmar Scharrer verantwortet bei ZF die Entwicklung von elektrischen Antrieben. © ZF

Otmar Scharrer verantwortet beim Technologiekonzern ZF die Entwicklung der E-Antriebe. Im Interview spricht er u.a. über die Diskussion ums Verbrenner-Aus, E-Fuels und schnelle Ladeleistungen bei Elektroautos.

Der Technologiekonzern ZF arbeitet mit Nachdruck an der Elektromobilität. Allerdings brauche man für den Erfolg der E-Mobilität «keine Verbote, sondern vielmehr attraktive Rahmenbedingungen – insbesondere auch durch ein breites und kontinuierliches Ausrollen der Ladeinfrastruktur», sagte Otmar Scharrer im Interview mit der Autogazette. Scharrer verantwortet bei ZF die Entwicklung der Elektro-Antriebe.

«Hätten wir eine bessere Infrastruktur, hätten wir keine Reichweitendiskussion», so der Manager. Mit Blick auf das Ladetempo arbeitet ZF auch an der 800-Volt-Architektur. «Unser Portfolio wird ab 2024 und den Folgejahren größtenteils auch 800-Volt-Architekturen enthalten.» Scharrer sieht diese Technologie auch im Kompakt-Klasse-Segment.

Diskussion nicht zielführend

Zur Diskussion über den Einsatz von E-Fuels stellte Scharrer fest, dass sie eine «wichtige Ergänzung» zum Erreichen der ambitionierten Klimaziele der EU seien. «Diese können durch eine Kombination aus E-Mobilität und E-Fuels erreicht werden.»

Allerdings hält er die Diskussion für nicht zielführend. «Stand heute ist es nicht möglich, einen nennenswerten Anteil des benötigten Kraftstoffes durch E-Fuels zu ersetzen. Möglich wird das erst, wenn wir die dafür nötige Infrastruktur breit und kontinuierlich fördern.»

«Arbeiten konsequent am Hochlauf der E-Mobilität»

Autogazette: Herr Scharrer, die EU hat sich auf die E-Mobilität festgelegt. Freut Sie diese Festlegung?

Otmar Scharrer: Wir arbeiten weiterhin konsequent am Hochlauf der Elektromobilität – und die Festlegung auf Elektromobilität zeigt uns auch, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind. Doch für den Erfolg der E-Mobilität brauchen wir keine Verbote, sondern vielmehr attraktive Rahmenbedingungen – insbesondere auch durch ein breites und kontinuierliches Ausrollen der Ladeinfrastruktur. Trotzdem stehen wir dabei für Technologieoffenheit und verschließen uns nicht gegenüber alternativen Technologien.

Autogazette: Wie nehmen Sie die die Diskussion zum Verbrenner-Aus und zum Einsatz von klimafreundlichen E-Fuels bei Pkw wahr?

Scharrer: Grundsätzlich sind E-Fuels eine wichtige Ergänzung, um die ambitionierten Klimaziele der EU zu erreichen. Diese können durch eine Kombination aus E-Mobilität und E-Fuels erreicht werden.

Autogazette: Ergibt die geführte Diskussion zu E-Fuels für den Pkw-Sektor Sinn oder müsste sie nicht eher mit Blick auf den Luft- und Schiffsverkehr führen?

Scharrer: E-Fuels sind prädestiniert für den Flugverkehr, da sie die einzige Möglichkeit sind, ihn in seiner jetzigen Form beizubehalten. Bei der Diskussion um E-Fuels sollte man immer die Infrastruktur im Blick haben. Die Firma Shell und andere betreiben bereits Pilotanlagen. Von daher weiß man, welche Kosten notwendig wären: Allein für den Aufbau einer Infrastruktur in Deutschland bräuchte man einen dreistelligen Milliardenbetrag.

«Bin langjähriger Plug-in-Hybrid-Fahrer»

Das ZF EVplus Konzeptfahrzeug fährtmit einem PHEV rein elektrisch mehr als 100 Kilometer weit. Foto. ZF

Autogazette: Befürchten Sie, dass die Diskussion um das Verbrenner-Aus den Markt der E-Mobilität beeinflusst?

Scharrer: Ich glaube nicht, dass das hinderlich für die E-Mobilität ist. Die derzeit geführte Diskussion um ein Verbrenner-Aus und E-Fuels ist nicht zielführend. Stand heute ist es nicht möglich, einen nennenswerten Anteil des benötigten Kraftstoffes durch E-Fuels zu ersetzen. Möglich wird das erst, wenn wir die dafür nötige Infrastruktur breit und kontinuierlich fördern.

Autogazette: Wird sich die E-Mobilität auch ohne Verbrenner-Aus durchsetzen?

Scharrer: Dessen bin ich mir sicher. Doch man sollte bei der Diskussion über die E-Mobilität nicht die Plug-in-Hybride (PHEV) vergessen – sie gehören dazu. Man sollte den Verbrenner nicht grundsätzlich verteufeln – auch der PHEV ist eine wichtige Antriebslösung.

Autogazette: Wirklich? Es gibt immer wieder Studien wie zuletzt der Umweltorganisation Transport & Environment, die diesen Antrieb als Mogelpackung bezeichnen.

Scharrer: Ich bin ein langjähriger Plug-in-Hybrid-Fahrer. Die Nutzung eines technischen Produkts obliegt auch immer dem Nutzer. Sie können sich auch einen Diesel kaufen, der einen Durchschnittsverbrauch von fünf Litern hat. Wenn Sie damit 200 km/h auf der Autobahn fahren, verbrauchen Sie 15 Liter. Ich kann dann natürlich rufen: Mogelpackung. Doch am Ende hängt es doch auch entscheidend vom Autofahrer ab, ob eine Technologie «im Sinne des Erfinders» genutzt wird.

Autogazette: Doch die in Aussicht gestellten Verbrauchswerte von PHEVs werden kaum erreicht…

Scharrer: …wie gesagt, wenn Sie den Plug-in-Hybriden bestimmungsgemäß verwenden, ist er eine wirklich gute Sache. Ich bin selbst Langstreckenfahrer, fahre häufig die 300 Kilometer zwischen unseren Standorten Schweinfurt und Friedrichshafen. Dank der Plug-in-Hybrid-Technologie habe ich den Verbrauch im Vergleich mit einem mittelgroßen SUV ohne Elektrounterstützung halbiert.

«Ladeinfrastruktur ist das entscheidende Kriterium»

Autogazette: Mit welchem Verbrauch ist Ihr Fahrzeug angeben?

Scharrer: Zertifiziert ist er mit 1,8 Litern, doch das bekomme ich nicht hin – grundsätzlich ist das aber möglich, wenn man nicht jeden Tag lange Strecken über die Autobahn fährt. Um solche Verbrauchswerte zu erreichen, muss man regelmäßig laden und die Elektroreichweite ausnutzen. Zudem darf man nicht vergessen, dass man mit einem PHEV innerstädtisch rein elektrisch fahren kann und es keine Kaltstarts gibt. Das ist ein riesiger Vorteil für die Luftreinhaltung und die Geräuschminimierung. Außerdem kommen jetzt PHEVs mit Reichweiten von 80 bis 100 Kilometern auf den Markt, die eine hochinteressante Alternative darstellen.

Autogazette: Ergibt ein PHEV erst mit solchen Reichweiten Sinn oder trifft das auch auf Hybride mit 40 bis 60 Kilometer Reichweite zu?

Scharrer: Reichweiten von 40 bis 60 Kilometer sind eher im Kompakt- und Mittelklasse-Segment zu finden. Wenn man das Auto als Pendler nutzt – und es an der Arbeitsstelle laden kann – ist es durchaus sinnvoll. Wenn man die nicht hat, dann bin ich mit der größeren Batterie besser bedient. Wir müssen uns aber immer vor Augen führen, dass 80 Prozent der gefahrenen Strecken unter 50 Kilometer liegen. Also kann man auch mit PHEVs mit kleinerer Batterie das Gros seiner Strecken rein elektrisch zurücklegen. Insofern ist die Ladeinfrastruktur – wie auch beim reinen batterie-elektrischen Fahrzeug – das entscheidende Kriterium.

Autogazette: Welche Rolle spielt die Ladegeschwindigkeit beim PHEV? Mercedes beispielsweise bietet sogar 50 kW an.

Scharrer: Als Plug-in-Hybrid-Fahrer kann ich sagen, dass das ein riesiger Vorteil ist. Wenn Sie mit 50 oder 60 kW eine Batterie mit einer Größe von 20 kWh laden, dann können Sie diese während der Zeit eines Cappuccinos aufladen. Das tun die Menschen auch, einer meiner Kollegen fährt ein solches Auto. Er nutzt jede Pause zum Laden.

«Gehen von einem BEV-Anteil von 50 Prozent aus»

Innovative Komponenten fügen sich zu einer flexiblen Plattform für E-Antriebe zusammen. Foto: ZF

Autogazette: Sie hatten einmal von einem weltweiten Absatzanteil von 40 Prozent bei reinen E-Autos bis zum Jahr 2030 gesprochen. Hat sich diese Aussage verändert?

Scharrer: Ja, wir gehen mittlerweile von einem Anteil von 50 Prozent aus. Eine solche Beschleunigung stellt die Industrie vor Herausforderungen. Es geht ja nicht nur um die Entwicklung dieser Fahrzeuge, sondern auch um die Produktionskapazitäten, die wir umstellen müssen. Zudem müssen dafür die benötigten Lieferketten funktionieren und die Rohstoffe zur Verfügung stehen.

Autogazette: Welche Anteile erwarten Sie für die anderen Antriebe?

Scharrer: Beim Plug-in-Hybrid erwarten wir einen konstanten Anteil von weltweit fünf Prozent. Bei den Vollhybriden sind es zehn Prozent, der Mildhybrid wird sich auf 14 bis 15 Prozent steigern; er ist eine kostengünstige Technologie fürs Einstiegssegment. Rund 21 Prozent entfallen auf den reinen Verbrenner.

Autogazette: Welche Rolle spielen reine E-Antriebe bei den Nutzfahrzeugen und ab wann wird die Brennstoffzelle interessant?

Scharrer: Wir entwickeln auch für Nutzfahrzeuge elektrische Antriebe, die leistungsfähiger sind als die, die wir von Pkw kennen. Ein Brennstoffzellenfahrzeug ist nichts anderes als ein Elektrofahrzeug, bei dem statt einer Batterie eine Brennstoffzelle zum Einsatz kommt. Für uns, die weder Batterien noch Brennstoffzellen bauen, sondern E-Antriebe, ist das erst einmal kein Unterschied. Doch wir sehen einen Trend, dass Standardfahrzeuge der Städte wie Kehr- oder Müllfahrzeuge mehr und mehr elektrifiziert werden. Das ist ein ideales Einsatzgebiet.

Man glaubt zwar, dass ein Müllfahrzeug viel Energie im Alltagseinsatz braucht. Doch das stimmt gar nicht, denn Sie schaffen es mühelos, einen ganzen Tag mit einer Batterieladung zu fahren. Entsprechend werden wir ab der zweiten Hälfte der 2020er-Jahre großflächig die Elektrifizierung der leichten Nutzfahrzeuge angehen – auch bei Transportern wird das hervorragend funktionieren. Sie profitieren von der Technologie-Entwicklung bei den Pkw.

«Für große SUV kann Brennstoffzelle sinnvoll sein»

Autogazette: Lange sagte man, dass die Brennstoffzelle vor allem eine Rolle im Schwerlastverkehr spielen wird. Teilen Sie diese Meinung?

Scharrer: Sie ist sinnvoll für den Schwerlastverkehr, für leichte Nutzfahrzeuge wird es sich noch zeigen. Das hängt von den Kosten ab. Momentan ist es so, dass die installierte Brennstoffzellenleistung wesentlich teurer ist als bei einem reinen Batteriefahrzeug. Im Pkw kann ich mir die Brennstoffzelle derzeit nur im Premiumsegment vorstellen. Für große SUV kann eine Brennstoffzelle durchaus sinnvoll sein.

Autogazette: Derzeit verlangen die Kunden bei E-Autos nach wie vor nach Reichweite. Können Sie diese Forderung nachvollziehen?

Scharrer: Ich kann die Reichweitendiskussion nachvollziehen, halte sie aber nicht für sinnvoll. Es ist eine eher emotionale Diskussion. Um sie zu beenden, haben wir zwei Möglichkeiten: entweder bauen wir immer größere Batterien oder wir bauen schnell die Infrastruktur aus – was die sinnvollere Lösung ist. Hätten wir eine bessere Infrastruktur, hätten wir keine Reichweitendiskussion. Eigentlich reicht eine Batteriegröße von 50 kWh. Doch die muss ich dann auch schnell aufladen können.

Es gibt Laborversuche, bei denen die Batterie mit einem Koeffizienten von 6 C (die C-Rate gibt an, wie lange ein Ladevorgang von 5 auf 80 Prozent dauert. 1 C entspricht einer Stunde, Anm. d. Redaktion) geladen und entladen wird – damit reichen dann zehn Minuten für einen Ladevorgang von 5 bis 80 Prozent. Mit diesem Ladetempo brauche ich kein E-Auto mehr, in dem 300 Kilo mehr Batteriegewicht verbaut ist – und ich spare viel Geld.

Autogazette: Dafür brauche ich aber eine 800-Volt-Architektur?

Scharrer: Genau, mit 400 Volt schaffen Sie dieses Ladetempo nicht. Die heute übliche Ladeleistung von 150 kW bekommen Sie mit 400 Volt hin. Wenn es jenseits der 250 kW-Marke geht, brauche ich 800 Volt. Deshalb geht die Entwicklung genau in diese Richtung.

«Portfolio wird größtenteils 800-Volt-Architekturen enthalten»

Lässt sich dank 800-Volt-Architektur mit mehr als 200 kW laden, der neue Ioniq 5. Foto: Hundai

Autogazette: Ist das eine Anwendung, die Sie vor allem im Premiumbereich sehen?

Scharrer: Überhaupt nicht. Das beste Beispiel ist der Ioniq 5 von Hyundai. Es ist kein Premiumfahrzeug, hat aber eine 800-Volt-Architektur. Unser Portfolio wird ab 2024 und den Folgejahren größtenteils auch 800-Volt-Architekturen enthalten.

Autogazette: Sehen Sie 800 Volt auch in der Kompaktklasse?

Scharrer: Ja, auf jeden Fall. Es ist nicht so, dass die 800-Volt-Technologie vom Antrieb gesehen wesentlich teurer ist. Man muss die Leistungselektronik anders gestalten sowie die E-Maschinen anders isolieren. Natürlich gibt es Mehrkosten, aber auch hier werden die Kosten sinken.

«Schnell gewisse Produktreife zur Verfügung stellen»

ZF forciert den aktuellen Trend zu Bordnetzen mit 800-Volt-Spannung. Foto: ZF

Autogazette: Bei seinen E-Antrieben setzt ZF auf ein Baukastensystem. Geht damit vor allem ein Kostenvorteil einher?

Scharrer: Ja, es gibt einen Kostenvorteil, aber nicht nur: der Baukasten ermöglicht es uns, unseren Kunden schnell eine gewisse Produktreife zur Verfügung zu stellen. Damit können wir auf die drastisch beschleunigte Entwicklungszeit in der Branche reagieren. Während früher die Entwicklungszeit zwischen 50 und 60 Monaten lag, sind es heute 20 bis 30 Monate. Diese Entwicklungszeiten erfordern Lösungen, die wir im Kern bereits vorher entwickelt haben. Die größten Verbesserungen im Baukasten haben wir zuletzt bei der Software gemacht: hier ist es gelungen, eine Leistungselektronik zu bauen, die eine qualitativ hochwertige Standardsoftware nutzt, dessen oberste Schicht wir dann nur noch individuell für den Kunden anpassen müssen. Dadurch entsteht ein Zeitgewinn von 15 bis 18 Monaten.

Autogazette: Was bedeutet die geschlossene Kooperation mit Wolfspeed für den Bau einer Halbleiterfabrik in Ensdorf für Sie an Vorteilen?

Scharrer: Wir beteiligen uns nicht nur beim Bau, sondern werden auch ein Entwicklungszentrum zusammen betreiben. Dort arbeiten wir daran, dass wir schnell unsere erarbeiteten Ideen auf die Chips von Wolfspeed bringen.

Autogazette: Was bringen die Siliziumkarbid-Halbleiter von Wolfspeed an Effizienzgewinn?

Scharrer: Das hängt vom Antrieb ab. Unseren Simulationen zufolge können wir sagen, dass Siliziumkarbid eine Steigerung in der Größenordnung von 3 bis 5 Prozent bringt. In Kundenhand kann es auch etwas mehr sein.

Das Interview mit Otmar Scharrer führte Frank Mertens

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