Auf die Bremsen eines Autos kommen immer höhere Anforderungen zu. Manfred Meyer und sein Team von ZF feilen Tag für Tag an der Perfektion moderner Bremssysteme.
Von Thomas Flehmer
Die Zahl der Verkehrstoten hat im vergangenen Jahr einen Tiefstand erreicht. Zwar starben immer noch 3206 Menschen bei Verkehrsunfällen, doch 1991 waren es noch 11.300. Dass die Zahl so rapide gesunken ist, nimmt Manfred Meyer auch als Motivation für seine Arbeit. „Es ist eine Ehre und es macht Spaß, Menschenleben zu retten. Das motiviert, Bremssysteme für die Zukunft noch sicherer zu machen.“ Meyer ist Senior Vice President Braking Engineering bei ZF. Beim Zulieferer leitet er die Abteilung Bremssysteme.
Der Weg, die Zahl der bei Unfällen ums Leben gekommenen Menschen zu senken, ist mühsam. Denn die Entwicklung und Optimierung der Bremsen vollzieht sich nicht in großen Schritten. Es braucht Zeit, zu gravierenden Verbesserungen zu kommen. „Wir entwickeln auch das klassische ABS-Bremssystem weiter und können den Bremsweg jedes Jahr um ein paar Zentimeter verkürzen“, so Meyer weiter, „das klingt nicht nach viel, aber wenn das die entscheidenden Zentimeter sind, um einen Unfall zu verhindern, wird jeder Autofahrer dies schätzen.“
Quantensprung durch Notfallbremse
An der Jagd nach den fehlenden Zentimetern, die dann einen Unfall verhindern oder wenigstens die Folgen vermindern, beteiligen sich rund 2500 Entwickler von ZF, an die laut Meyer höchste Anforderungen gestellt werden. „So gut wie möglich reicht nicht, es muss einfach perfekt sein. Die Perfektion ist ein ganz wichtiges Element.“ Und diese Perfektion bestätigt Meyer seinen Mitarbeitern.
Allerdings konnten die Entwickler auch schon größere Fortschritte feiern. Mit der automatischen Notfallbremse (AEB – Automatic Emergency Brake) konnte der Bremsweg erheblich verkürzt werden. Innerhalb von 150 Millisekunden steht der Bremsdruck zur Verfügung, vier Mal so schnell wie bei einem klassischen Bremssystem. Umgerechnet auf den Bremsweg sind das neun Meter. Meyer spricht deshalb von einem „Quantensprung“, den ein Autofahrer gar nicht leisten könnte. Eventuell könnte ein Topfahrer „ähnlich schnell reagieren, wenn er auf diese Situation vorbereitet ist. Wenn er nicht darauf vorbereitet ist, bremst er erst nach einer Schrecksekunde und in dieser Zeit hat das AEB längst begonnen zu bremsen.“
Allerdings sieht Meyer mit dem AEB die Grenzen erreicht. „Wir werden bei der Zeit aus physikalischen Gründen nicht mehr sehr viel Einsparpotenzial haben. Vielleicht sind 130 Millisekunden Reaktionszeit möglich.“
Umweltschutz dank effizienter Bremssysteme
Doch nicht nur die Verkürzung des Bremsweges rettet Menschenleben. Die optimierten Bremssysteme entlasten auch die Umwelt. „93 Prozent der elektrischen Energie können wir mit den heutigen Bremssystemen rekuperieren“, sagt Meyer. Die ab 2018 eingesetzten IBC (Integrated Brake Control), die nicht nur den Bremsdruck schneller aufbaut, sondern auch die Stabilität fördert und so die elektronische Stabilitätskontrolle (ESC) ersetzt, kann bis zu 100 Prozent rekuperieren.
„Durch die nahezu vollständige Rekuperation mit dem IBC verlängert sich die Reichweite von Autos um rund zehn Prozent abhängig von der E-Motorleistung.“ Umgerechnet auf 500 Kilometer könnte das Auto also weitere 50 Kilometer zurücklegen. „Wir schützen mit den effizienten Bremssystemen die Umwelt.“
Bremse kooperiert mit anderen Komponenten
Dabei ist die Bremse nicht allein auf sich gestellt, sondern korrespondiert mit den anderen Komponenten wie Fahrwerk, Achse, Lenkung, Gurt oder Dämpfer. „Die Funktionen werden koordiniert, sodass ein kürzerer Bremsweg entsteht. Auch die Hinterachslenkung verkürzt im Zusammenspiel mit der Bremse den Bremsweg.“
In zeitlich intensiver Kleinarbeit durch Simulieren und Ausprobieren werden neue Funktionen erkannt. Dabei wird jede Idee der Entwickler gern gesehen. „Jeder erhält die Möglichkeit, neue Ideen einzubringen. Das ist eine Motivation für alle Mitarbeiter“, sagt Meyer, der innerhalb des Unternehmens respektvoll „Bremsen-Meyer“ genannt wird, „ich bin seit fast 30 Jahren in der Bremsentwicklung bei ZF. Jede Woche, jeden Monat tauchen neue Aspekte auf, die umgesetzt werden können und das motiviert.“ Er selbst bringt auch Ideen ein, die sich beim Grübeln ergeben und nach Simulation und Erprobung gar beim Patentamt landen.
Und der Gang zum Patentamt wird auch in Zukunft häufiger geschehen. „Die Bremse ist seit 100 Jahren das Sicherheitssystem überhaupt. Für das automatisierte Fahren ist die Bremse umso mehr gefordert, da der Fahrer dann nicht mehr da ist“, sagt Meyer. Und die Aufgabe, Leben zu retten will der Ingenieur auch in Zukunft nicht aufgeben. Schließlich will er in den kommenden Jahren kontinuierliche Tiefstände bei der Zahl der Verkehrstoten sehen.