People Mover: Mit Lichtgeschwindigkeit auf die Straße

Projekt von ZF und e.GO

People Mover: Mit Lichtgeschwindigkeit auf die Straße
ZF-Chef Wolf-Henning Scheider (l.) und Günther Schuh vor dem People Mover. © Mertens

Der Zulieferer ZF und das Aachener Start-up e.Go arbeiten gemeinsam am People Mover. Doch während die Konkurrenz noch an Konzepten sitzt, geht der elektrische Kleinbus bald in die Produktion.

Günther Schuh war in Höchstform. Als er an der Seite von ZF-Chef Wolf-Henning Scheider am Dienstagabend auf dem Genfer Autosalon über die strategische Allianz mit dem Friedrichshafener Zulieferer sprach, wollte Schuh gar nicht mehr aufhören zu reden. So euphorisiert zeigte er sich von der Zusammenarbeit bei der Entwicklung des People Mover und seinen Visionen von nachhaltiger Mobilität, dass er bei den geladenen Gästen auf den Stand von e.Go für breites Grinsen sorgte. Schuh brennt für seine Visionen, die er nach und nach in die Tat umsetzt.

Er hat den Elektrotransporter Streetscooter entwickelt, den er an die Deutsche Post verkauft hat. Nun bringt er mit dem e.Go Life ein Elektroauto für einen Preis von unter 16.000 Euro auf den Markt, für den er in Aachen eine Fabrik gebaut hat. Und mit ZF arbeitet er an dem People Mover, an dem immer mehr Städte ihr Interesse bekunden. Natürlich fährt der People Mover elektrisch und kann natürlich auch autonom unterwegs sein. Die Technik für all das kommt von ZF.

Platz für 15 Personen im People Mover

„Es ist nur wenig Künstliche Intelligenz (KI) nötig, um zu prognostizieren, an welchem Tag zu welcher Zeit und in welchen Regionen einer beliebigen Stadt welcher Mobilitätsbedarf vorliegt“, erklärt Schuh. Der People Mover bietet 15 Personen Platz, von denen zehn sitzen können. Mit seinen Abmessungen von fünf Metern Länge und einer Breite von zwei Metern sei er nicht größer als eine Mercedes S-Klasse sagt Schuh. Vor allem aber könnten auch große Menschen wie er in ihm stehen. Damit erst keine Zweifel aufkommen, steigt der 2,03 Meter Mann in den People Mover. „Sehen Sie, auch ich passe da hinein.“

„Das Fahrzeug passt auf einen normalen Parkplatz für Personenwagen.“ Damit kann der Bus überall flexibel Personen aufnehmen. „Die Zukunft sind Fahrgemeinschaften. Vergessen Sie dabei jedoch traditionelle Personenkraftwagen“, kommentiert Schuh die Wahl des Busses und seiner Ausmaße, dessen Einsatz sich bereits ab zwei Personen rechne. Um die Testlizenz für den Einsatz des People Mover zu bekommen, hätte man ein 700 Seiten umfassendes Regelbuch erfüllen müssen.

Luxusvariante für Fahrdienste und Shuttle-Services

Der e.Go Lux könnte beispielsweise als Flughafen-Shuttle zum Einsatz kommen. Foto: Mertens

Noch etwas visionär, aber auch schon als Prototyp in Genf für Sitzproben parat, ist der e.Go Lux, das den Mover zum privaten Luxusvehikel werden lässt. Die Botschaft des 60 Jahre alten Professors und Unternehmers: Es braucht keine Verbote für die Fahrt in die City mit dem privaten Pkw. Der e.Go Mover wird derartig angenehm sein, dass man das Auto freiwillig vor den Toren der Stadt zurücklässt.

ZF Chef Scheider, der sich schmunzelnd als Juniorpartner an der Seite von Schuh vorstellte, ist ebenso überzeugt: „Wir arbeiten zusammen an diesem Konzept, weil wir als ZF davon überzeugt sind, dass wir eine neues sicheres, erschwingliches und bequemes Mobilitätskonzept für die Innenstädte brauchen.“ Vor allem zeichne sich diese Kooperation auch durch ihre Geschwindigkeit aus. „Es gibt jede Menge Konzeptfahrzeuge auf der Welt. Aber das hier ist demnächst Realität“, freut sich Scheider.

Im Oktober geht die erste Kleinserie in Produktion, im nächsten Jahr wird die Produktion weiter gesteigert. „Dieses Projekt ist mit Lichtgeschwindigkeit abgelaufen“, so Scheider weiter. Die Geschwindigkeit des Kleinunternehmens habe auf ZF abgefärbt, wo der weltweit erste Supercomputer (ZF ProAI), der neben vielen anderen Komponenten im e.Go Mover eingesetzt wird, binnen zwei Jahren entwickelt wurde.

Treiber des Streetscooter

Rationalisierungsspezialist Schuh verfolgt seine Mission nicht erst mit eGo. Davor war er seit dem Jahr 2010 maßgeblicher Treiber für die Produktion der vollelektischen Streetscooter für die Deutsche Post. Sprich: der E-Revoluzzer hat viel Erfahrung mit der Materie und weiß nun schlagkräftige Partner an seiner Seite. Denn seit Beginn des Genfer Automobilsalons ist nun amtlich: Schuh kann auf den Elektrifizierungskasten des VW-Konzerns zurückgreifen. Zusammen mit VW-Chef Diess durfte er in dem Buggy-Konzept der Wolfsburger Platz nehmen.

Diese Konstellation verdeutlicht im Kleinen wie im Großen: Strategisch klugen Kooperationen gehört im Sektor Mobilität die digital komplexe Zukunft. Die Wolfsburger brauchen Skaleneffekte, um ihre Marge verbessern zu können. Was aber reizt die Friedrichshafener an der strategischen Partnerschaft mit e.Go Mobile und seinem Protagonisten Schuh?

Systemverständnis erforderlich

Der e.Go-Stand auf dem Autosalon Genf. Foto: Mertens

„Wir als Zulieferer gehen ganz stark in die Systemzulieferungen. Der e.Go Mover ist dafür ein gutes Beispiel“, sagt Torsten Gollewski, Leiter Vorentwicklung bei ZF.  Beim Thema autonomes Fahren, das im e.Go Mover zum Tragen kommt, „sind die Abhängigkeiten und Komplexitäten sehr hoch. Mit anderen Worten: Wenn sie nur Komponenten liefern, haben sie noch kein Systemverständnis“, erläutert der Ingenieur und Fahrzeugsicherheitsexperte. Genau das, immer mehr in die Systemkomplexität einzutauchen, um Systemlösungen anzubieten, sind die Anforderungen an die großen Zulieferer.

Das Thema autonomes Fahren verlangt eine Unmenge an Sensoren, an Perception oder Verständnis des Umfelds und daraus resultierend eine gigantische Rechnerleistung, die der Softwarekomplexität blitzschnell und sicher gerecht werden kann. „Wir fahren mit vier Betriebssystemen parallel. In der Aktuatorik haben wir immer im Level 4 Modus die Redundanz, weil wir natürlich immer sicherstellen müssen, dass wenn irgendetwas passiert, dass ein anderes System übernehmen kann.“

Aufwendige Systemarchitektur

Gollewski vergleicht die Redundanzen für das autonome Fahren mit denen bei einem Flugzeug und ergänzt: „Wir setzen nicht nur auf einen Zentralrechner, sondern setzen auch da auf entsprechende Redundanz.“ In diese Zentralrechner hat ZF ebenfalls Redundanzen eingebaut, die die Sensorsignale auf unterschiedlichem Weg verarbeiten. „Wenn ein Zentralrechner oder Sensor ausfällt, haben wir ein System, das weiter funktioniert“, so Gollewski.

Eine derart aufwendige Systemarchitektur, die aus mehreren Komponenten besteht und autonomes Fahren ermöglicht, eignet sich aus Kostengründen (noch) nicht für einen Privatwagen. Wo also ist das Geschäftsmodell für ZF? „Das System zum autonomen Fahren, das wir beim e.Go Mover jetzt integrieren, bieten wir auch anderen Partnern an. Für uns ist das das Geschäftsmodell: Wir verkaufen ein System zum autonomen Fahren, bestehend aus Sensorik, Perception, Zentralrechnern und darin enthaltenden Funktionalitäten, bis hin zur Ansteuerung, die wir Vehicle Motion Control nennen, die dann auch entsprechend redundant ausgelegt ist. Wenn Sie sich ansehen, was dort an Validierung, an Testaufwand dahintersteckt, dann ist das enorm. Wenn wir so eine komplette Systemlösung anbieten, ist das ein großer Vorteil“, resümiert Gollewski.

Potenzial gerade in Logistik

Torsten Gollewski ist bei ZF Leiter der Vorentwicklung. Foto: ZF

Gerade in der Logistik sieht er großes Potenzial: „Wenn Sie sich anschauen, dass wir im Online-Handel ein exponentiell steigendes Logistikaufkommen haben bei stark sinkender Fahrerverfügbarkeit, dann wird die Logistikbranche diese aufgehende Schere nur durch autonomes Fahren schließen können.“ Der Vorteil von ZF: In diesem Bereich, sind keine Fahrzeug-, sondern Logistikspezialisten unterwegs. Die „sind froh, wenn sie ein komplett validiertes System zum autonomen Fahren bei uns als Systemlösung einkaufen können. Das ist das Modell, das wir im Hintergrund haben“, beschreibt Gollewski die Logik hinter den komplexen Systementwicklungen.

Aufgrund der Bedeutung der Logistik wird es vom Mover zu einem späteren Zeitpunkt auch eine Cargo-Version geben. Zuvor geht der People Mover in Aachen und Friedrichshafen in den Testbetrieb. Danach soll er schnell in anderen Städten ausgeweitet werden. Derzeit gäbe es bereits Anfragen von 25 Städten in Deutschland – und es kommen immer mehr dazu. Auf der CES Anfang Januar hatten ZF und e.Go mit dem französischen Mobilitätsdienstleister Transdev bereits den ersten Großkunden präsentiert. Das Mobilitätskonzept der beiden Partner scheint bei den Kunden anzukommen.

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Susanne Roeder
Während des Studiums der englischen und klassischen Philologie in Freiburg, Cambridge, Oxford und Promotion in englischer Sprache arbeitete sie bei BBC Radio Oxford und deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern. Bei einer Agentur mit Mercedes als Hauptkunden begann ihre Liebe für Automobile. Nach Stationen als Pressesprecherin in der Industrie ist sie mit Globaliter Media selbständige Journalistin.

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