Jürgen Stackmann glaubt, dass das Grundvertrauen in die Marke VW ungebrochen ist. Im Interview mit der Autogazette spricht der Vertriebsvorstand der Kernmarke über die USA, den Kulturwandel und darüber, weshalb sich Vertrauen nicht erkaufen lässt.
In Europa vom VW-Abgasskandal betroffene Kunden können sich keine Hoffnungen auf Kompensationszahlungen wie in den USA machen. «Das ist nicht geplant. Vertrauen lässt sich nicht erkaufen. Vertrauen kann man nur erarbeiten. Und wir arbeiten jetzt daran, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen», sagte der Vertriebsvorstand der Kernmarke VW, Jürgen Stackmann, im Interview mit der Autogazette. Gelingen solle dies «durch eine gute technische Lösung, herausragenden Service, eine offene Aufklärung und gute Kommunikation».
«Europa und USA nicht vergleichen»
Für Stackmann dürfe man Europa und die USA nicht miteinander vergleichen. «In Europa haben wir bereits eine technische Lösung, die für die Kunden mit einem Besuch beim Händler erledigt ist.» Wie der Manager hinzufügte, gäbe es «zum jetzigen Zeitpunkt keine Veränderung des Restwertverhaltens. Entsprechend entsteht für den Kunden in Europa materiell kein Schaden».
In den USA indes gäbe es leider «noch keine mit den Behörden abgestimmte Service-Aktion». Die dortigen Kunden hätten sich mit dem Diesel für eine «Nischen-Spitzentechnologie entschieden» und waren bereit, dafür auch mehr Kraftstoffkosten zu bezahlen, weil Diesel dort teurer als Benzin sei. Wie Stackmann sagte, wollte man den US-Kunden mit der Marketing-Aktion zeigen. «Wir lassen Euch nicht alleine.»
«Es herrscht nach wie vor große Verunsicherung»
Autogazette: Herr Stackmann, haben Sie es schon bereut, den Job als Seat-Chef in Barcelona mit dem des Vertriebs- und Marketingvorstandes der Kernmarke VW in Wolfsburg eingetauscht zu haben?
Jürgen Stackmann: Nein, überhaupt nicht. Es ist eine herausragende Aufgabe und Herausforderung, zum jetzigen Zeitpunkt zur Kernmarke Volkswagen zurückzukehren und im Team von Herrn Dr. Diess die Möglichkeit zu haben, die Marke zukunftsfähig aufzustellen.
Autogazette: Sie mussten sich nicht fragen, warum Sie sich das antun sollen? Ihre Berufung fiel ja nach dem Bekanntwerden des Abgasskandals.
Stackmann: Ich hatte meine Zusage bereits vorher gegeben. Und ich habe keine Sekunde überlegt, sie zurückzuziehen.
Autogazette: Volkswagen hat seine Kunden mit manipulierten Abgaswerten betrogen und damit Vertrauen verloren. Wie lange wird es dauern, dieses Vertrauen zurückzugewinnen?
Stackmann: Es gibt zwei Hauptaufgaben, mit denen wir das Vertrauen zurückgewinnen wollen: Wir müssen einerseits die Hintergründe lückenlos aufklären, die zu diesem Problem geführt haben. Zugleich müssen wir andererseits dem Kunden eine technisch exzellente Lösung bieten und ihn mit einem hervorragenden Service wieder von der Marke überzeugen. Die ersten Wochen des Jahres zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wie man in ähnlichen Fällen der Vergangenheit bei anderen Marken gesehen hat, ist es aber ein Prozess, der nicht in wenigen Monaten beendet sein wird.
Autogazette: Glauben Sie wirklich, dass es damit und einer neuer Werbekampagne allein getan ist?
Stackmann: Es geht viel um Information – und die geben wir dem Kunden auf verschiedenen Kanälen. Es herrscht nach wie vor große Verunsicherung. Deshalb bemühen wir uns derzeit um einen direkten Kontakt zum Kunden. Wir informieren alle Kunden – nicht nur die, die einen Diesel fahren. Die ersten Wochen des Jahres zeigen mit Blick auf die Verkäufe, dass das Grundvertrauen der Kunden in die Marke VW ungebrochen ist.
«Kultur ist deutlich zäher als Organisation»
Autogazette: Müssen Sie dem Kunden auch vermitteln, dass unter der neuen Führung im Unternehmen eine neue Kultur Einzug gehalten hat? Quasi täglich kommen derzeit ja neue Meldungen darüber, wann der Vorstand zu welchem Zeitpunkt über den Abgasskandal informiert wurde?
Stackmann: Es ist klar zu erkennen, dass wir konsequent die richtigen Schritte eingeleitet haben. Die Frage der Kultur beantworten wir täglich in einer offenen Kommunikationskultur mit unseren Mitarbeitern zum Beispiel über die neuen Kommunikationskanäle und schnellen Entscheidungswegen, die wir über eine neue Struktur ermöglichen. Doch die Schaffung einer neuen Kultur dauert. Kultur ist deutlich zäher als Organisation. Wir werden in der zweiten Aprilhälfte einen Bericht zur Aufklärung der Hintergründe vorlegen, bis dahin bitte ich um Verständnis, dass wir zu laufenden Ermittlungen keine Stellung nehmen können.
«Nur durch Zuspruch des Kunden gibt es die Marke»
Autogazette: Mit der neuen Werbekampagne stellen Sie den Menschen in den Mittelpunkt. Hat VW in der Vergangenheit zu stark auf das Produkt gesetzt?
Stackmann: Die Marke Volkswagen funktioniert nur durch das Plazet des Kunden. Nur durch den Zuspruch des Kunden gibt es die Marke, nur dadurch hat sie einen derart großen Erfolg. Der Slogan «Das Auto» war erfolgreich und hat das enorme Wachstum der Marke in den letzten Jahren begleitet. Gleichzeitig war es eine Periode der Fokussierung auf das Produkt, auf die Technik. Ausgelöst durch das Dieselthema im vergangenen Jahr haben wir festgestellt, dass uns «Das Auto» ein Stück von unseren Kunden entfernt hat. Deswegen haben wir uns von «Das Auto» verabschiedet und rücken mit Volkswagen weiter näher an unseren Kunden heran.
Autogazette: Werden Sie für die USA mit anderen Spots agieren als in Europa?
Stackmann: Das war schon immer der Fall. Die Werbewahrnehmung in den USA ist eine ganz andere, deshalb haben wir dort auch eine andere Agentur, mit der wir arbeiten: der Agentur Deutsch. Das Grundthema in den USA ist aber ähnlich: Fahrspaß, Witz in der Kommunikation. Unsere TV-Kampagnen haben schon immer den Menschen im Blick gehabt. Ich erinnere hier nur an den Spot mit dem kleinen Darth Vader. Einer der erfolgreichsten Werbespots überhaupt.
Autogazette: Ich ziele darauf ab, ob Sie in den USA nach Dieselgate das Thema Nachhaltigkeit in den Fokus stellen?
Stackmann: Das betrifft die Ausgestaltung der Kampagnen. Das Thema Nachhaltigkeit werden wir sicherlich anskizzieren. Es geht darum, im Einklang mit den Behörden die Dieselproblematik zu lösen. Danach ist die Zeit gekommen, auch inhaltlich bei der Werbung eine andere kommunikative Ansprache zu wählen.
«Stellen Elektromobilität in Mittelpunkt»
Autogazette: Wie zu hören ist, sollen die US-Behörden VW dazu auffordern, verstärkt in die Elektromobilität zu investieren und vor Ort auch E-Autos zu produzieren. Wird es dazu kommen?
Stackmann: Wir stellen das Thema Elektromobilität generell in den Mittelpunkt unserer Arbeit. Eine der Hauptzukunftsinitiativen der Marke Volkswagen ist der modulare elektrische Baukasten, der natürlich auch in einem Markt wie den USA eine große Bedeutung haben wird. Das ist eine große Chance für eine Neupositionierung der Marke Volkswagen in Richtung Nachhaltigkeit.
Autogazette: Der Konzern will bis 2020 rund 20 Modelle mit Elektro- bzw. Plug-in-Antrieb auf den Markt bringen. Wie viele davon entfallen auf die Kernmarke?
Stackmann: Wir sind bereits heute mit e-up! und e-Golf die in diesem Bereich breit aufgestellt. Das trifft auch auf den Plug-in-Hybrid zu – mit dem Golf GTE und dem Passat GTE. Dieses Angebot wird durch unsere chinesischen Joint-Ventures weiter vergrößert. Bis zum Jahr 2020 werden wir von diesen 20 Modellen insgesamt über fünf als Elektro- und über fünf mit Plug-in-Hybrid auf den Markt bringen.
«Wir lassen Euch nicht allein»
Autogazette: In den USA bekommen vom Abgasskandal betroffene Kunden einen 1000 Dollar Gutschein, in Deutschland nichts. Gewinnt man so Vertrauen zurück?
Stackmann: Wir sind davon überzeugt, dass wir das Vertrauen unserer Kunden durch eine gute technische Lösung, herausragenden Service, eine offene Aufklärung und gute Kommunikation zurückgewinnen. Wichtig in dieser Diskussion ist: Man darf Europa und die USA einfach nicht miteinander vergleichen. Wir haben in den USA mit dem Diesel ein Nischenthema besetzt. Unsere Kunden dort haben sich für eine Nischen-Spitzentechnologie entschieden. Und: Sie zahlen dort zum Beispiel auch mehr für den Sprit, weil Diesel im Gegensatz zu Deutschland teurer als Benzin ist. Es gibt leider für die USA noch keine mit den Behörden abgestimmte Service-Aktion. Dieselfahrzeuge sind vom Neuwagen-Verkauf zur Zeit ausgeschlossen. Unter anderem gab es eine Marketing Aktion für unsere Kunden. Mit ihr wollten wir zeigen: Wir lassen Euch nicht alleine.
Autogazette: Die europäischen Kunden lassen Sie aber allein.
Stackmann: Die Situation ist nicht vergleichbar. Wir möchten uns nochmals bei unseren geschätzten Kunden für die Verunsicherung und Irritation der vergangenen Wochen entschuldigen. In Europa haben wir bereits eine technische Lösung, die für die Kunden mit einem Besuch beim Händler erledigt ist. Die Maßnahme dauert maximal eine Stunde, in vielen Fällen deutlich weniger. Klar ist auch: Es gibt zum jetzigen Zeitpunkt keine Veränderung des Restwertverhaltens. Entsprechend entsteht für den Kunden in Europa materiell kein Schaden. Natürlich ist das Software-Update gratis und es gibt auch einen Mobilitätsservice. Wir haben immer betont, dass wir unseren Kunden diesen Besuch so angenehm wie möglich machen wollen.
Autogazette: Diese Ungleichbehandlung zwischen den Kunden in den USA und in Deutschland wurde u.a. von Bundesjustizminister Maas kritisiert. Kompensationsprogramme wird es also nicht geben?
Stackmann: Das ist nicht geplant. Vertrauen lässt sich nicht erkaufen. Vertrauen kann man nur erarbeiten. Und wir arbeiten jetzt daran, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen.
«Für Aussage zum Gesamtjahr ist es noch zu früh»
Autogazette: Mit 5,82 Millionen Fahrzeugen hat die Kernmarke VW das Vorjahr mit einem Minus von 4,8 Prozent beendet. Sehen Sie die Marke in diesem Jahr wieder im Plus?
Stackmann: Für eine Aussage zum Gesamtjahr ist es noch viel zu früh. Doch in den ersten zwei Monaten des Jahres lief es ganz gut, auch wenn wir eine uneinheitliche Marktentwicklung zu beobachten haben. In China liegen wir vor Plan, wachsen dort schneller als der Markt. Mit Blick auf die Auftragseingänge freut es mich, dass wir auf dem Niveau des Vorjahres unterwegs sind – und wir hatten ein hervorragendes Vorjahr in den ersten beiden Monaten. Allein für den neuen Tiguan liegen uns in Europa aktuell schon 10.000 Vorbestellungen vor – das ist selbst für VW eine Größenordnung.
Autogazette: Gibt es Märkte, die Ihnen Sorge bereiten?
Stackmann: Schwer einzuschätzen bleibt der russische Markt. Auch in Südamerika wartet auf uns aufgrund der ökonomischen Krise ein schwieriges Jahr. In Indien werden wir erst in der zweiten Jahreshälfte punkten können, weil der Ameo, den wir gerade in Delhi vorgestellt haben, erst dann für einen Impuls sorgen wird.
«Halte den SUV-Trend für nachhaltig»
Autogazette: Wie schätzen Sie die Marktentwicklung in den USA in diesem Jahr ein? Im Januar lag der Rückgang dort bei 14,6 Prozent, im Februar bei gut 13 Prozent. Erwarten Sie hier nach der Trennung von Ihrem bisherigen US-Chef Michael Horn neue Impulse?
Stackmann: In den USA kamen wir bislang auf einen 30-prozentigen Dieselanteil. Doch mit dem Bekanntwerden der Dieselthematik haben wir einen Verkaufsstopp verhängt, der bis heute besteht. Umso erfreulicher ist es, dass es der Mannschaft gelungen ist, diesen Verlust durch einen Mehrabsatz beim Benziner etwas zu kompensieren. Zugleich erleben wir, dass sich der SUV-Markt wegen des niedrigen Benzinpreises verselbstständigt. Die Amerikaner lieben wieder ihre Big Trucks und Big SUVs. 62 Prozent aller Fahrzeuge in den USA sind Trucks und SUVs. Michael Horn hatte eine interne und vertrauensvolle Verbindung zu unseren US-Händlern aufgebaut. Es liegt jetzt an uns, dieses Band zu stärken und Chancen zum Wachstum zu ergreifen. Er verlässt das Unternehmen in gegenseitigem Einverständnis. Ich bedauere seine Entscheidung sehr und danke ihm für sein Wirken hier bei Volkswagen.
Autogazette: Bisher können Sie den Kunden entsprechende Angebote nicht machen.
Stackmann: Wir wir sind bekanntlich kein großer Hersteller von Trucks und SUVs in den USA. Doch es zeigt, dass die Entscheidung richtig war, den Midsize-SUV in den USA ab Ende des Jahres zu bauen. Das wird für uns richtungsweisend sein.
Autogazette: Kommt die SUV-Offensive in den USA nicht zu spät?
Stackmann: Nein, ich halte den SUV-Trend für nachhaltig. Das Thema Tiguan und Midsize-SUV wird für uns ein großer Schritt sein, zurück zum Wachstum zu kommen. Erste Priorität in den USA hat für uns aber, jetzt die Serviceaktion auf den Weg zu bringen und unseren Kunden eine Lösung anbieten zu können.
Das Interview mit Jürgen Stackmann führte Frank Mertens