Elektromobilität ist wichtig. Aber noch ist der Golf 8 das Kernprodukt von VW. Doch der Bestseller der Wolfsburger hat Probleme. Das setzt nun auch Konzernchef Herbert Diess unter Druck.
Wenn nichts anderes mehr geht, hilft manchmal nur noch der Griff zur Ratsche. Mit dem höchst analogen Drehwerkzeug soll so mancher VW-Mitarbeiter in Wolfsburg derzeit versuchen, den als digitales Meisterstück gepriesenen Golf 8 auf den letzten Metern flott zu bekommen. Ein Abklemmen der Batterie als Kaltstart, wie das Drücken der Reset-Taste am Computer – in der Hoffnung, dass die Software dann ohne Fehler frisch hochfährt. Die tieferen Ursachen im komplexen neuen IT-System zu finden, ist aber eine ganz andere Sache.
Einzelne sprechen hinter vorgehaltener Hand von einer zunehmend gefährlichen Lage. Was passiert, falls Volkswagen die Schwierigkeiten bei seinem Kernprodukt nicht abstellen kann? Die Führungsetage wolle zu viel Neues auf einmal – und reiche große Teile der Verantwortung einfach nach unten durch. Betriebsratschef Bernd Osterloh schäumte schon im März im Rückblick auf die ehrgeizigen Ziele: «Die Folgen dieser unrealistischen Planungen sind ein völlig überzogener Druck auf die Kolleginnen und Kollegen an den Montagelinien.» 2019 wurden nicht mal zehn Prozent der zuerst angepeilten 100.000 Golf 8 gebaut.
Osterloh ging Management an
Vorstandschef Herbert Diess müsse bei der Sitzung des Aufsichtsrats am Donnerstag nun dezidiert auf die anhaltenden Probleme eingehen, heißt es aus Kreisen der Kontrolleure. Dass die Software in vielen Exemplaren des Autos eine Art Sollbruchstelle ist, ist bereits länger deutlich. Öffentlich schwärmte Diess, der VW in die digitale Zukunft führen will, von einem der besten Anläufe, die es je gegeben habe. Manch ein Kollege an der Linie empfindet das als beinahe zynisch.
In der Firmenzeitung «Mitbestimmen» ging Osterloh das Top-Management frontal an: «Hier wollten überehrgeizige Vorstände zu schnell zu viel Technik in ein Fahrzeug stopfen.» Die von der Führung nachjustierte «flache Anlaufkurve» ändere nichts daran, dass der Start der 8er Reihe für den größten Industriekonzern Europas missraten sei. Die Zahlen seien ein Trauerspiel. Und: «Wer so mit dem Golf spielt, spielt auch mit den Arbeitsplätzen der Beschäftigten.»
Starker Tobak für die VW-Welt, in der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite in Kernfragen häufig an einem Strang ziehen – auch im Aufsichtsratspräsidium, dem Osterloh ebenso angehört wie Vertreter des Porsche/Piëch-Clans und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Beim Aushandeln des Sparprogramms «Zukunftspakt» hatte es zwar heftigen Zank mit Diess gegeben, den Osterloh auch schon mal scherzhaft «Onkel Herbert» nennt. Aber zuletzt war so etwas wie ein Stillhalteabkommen im Interesse der gemeinsamen Sache entstanden: des Wandels vom klassischen Hersteller zum E-Auto- und Digitalkonzern.
Probleme mit eCall
Die IT-Probleme reißen jedoch nicht ab, sondern sollen unverändert hoch sein. Gerade erst kamen Funktionsstörungen beim elektronischen Notrufassistenten des Golf hinzu. VW droht ein Rückruf, der Tochter Skoda ebenso, und auch Modelle bei Audi und Seat könnten betroffen sein. Ursache für mögliche Ausfälle des «eCall»: eine fehlerhafte Datenübertragung am Steuergerät, für den Golf und Skoda Octavia gilt ein Lieferstopp. Dabei können die Hersteller weiter anschwellende Lager zurzeit überhaupt nicht gebrauchen. Die Absatzflaute ist wegen der eingebrochenen Nachfrage in der Corona-Krise schon groß genug.
Wie es in der Golf-Fertigung offenbar zugeht, zeigen auch zusätzliche Details, über die das Online-Wirtschaftsmagazin «Business Insider» unter Berufung auf Daten aus der VW-Qualitätskontrolle berichtete. Demzufolge sollen etwa an einem Beispieltag im März weniger als 40 Prozent der Golf-8-Exemplare einwandfrei das Band verlassen haben. Es falle «sehr viel Nacharbeit» an, ist aus dem Werk zu hören. Auch bei Zwischenabnahmen sei die Fehlerquote hoch, ähnlich beim Durchmessen der Softwarefunktionen am Schluss. Die Zahl der täglich insgesamt festgestellten Mängel liege weit jenseits der Toleranzschwelle.
Umsturzpläne dementiert
Wäre das unter dem als «Mr. Qualität» geachteten wie gefürchteten, detailversessenen Ex-Chef Martin Winterkorn passiert? Unabhängig von dessen Rolle im Dieselskandal und anderen heiklen Themen glauben einige bei VW: nein. Es könnte also enger werden für Diess. Auch wenn sich Betriebsrat und IG Metall beeilten, zu versichern: An Gerüchten über einen angeblichen Umsturzplan gegen den im Sommer 2015 von BMW gekommenen Manager sei nichts dran. «Quatsch», meinten Osterloh und Gewerkschaftschef Jörg Hofmann, der auch im VW-Aufsichtsrat sitzt.
Die Probleme treffen dennoch einen neuralgischen Punkt – symbolisch ist kaum ein anderes Modell so wertvoll für den Konzern. «Der Golf wird zunehmend an Bedeutung verlieren, je mehr die Elektromobilität hochfährt», glaubt NordLB-Branchenexperte Frank Schwope. «Noch ist er aber das Aushängeschild von Volkswagen.» Weitere Verzögerungen kämen daher «imagetechnisch einer Katastrophe» gleich. Wenn sich die Lage stabilisiere, könnte das auch in der Außenwirkung bald wieder besser aussehen. Wenn nicht, drohe ein «Abstrahlen auf andere Modelle».
Golf zur Chefsache machen
Der aktuelle Chef müsse den Golf jetzt endlich wirklich zur Chefsache machen, heißt es auch aus der Belegschaft. Die Problemlösung dürfe dabei nicht immer nur an zwischengeschaltete Ebenen und die bereits zahlreichen Taskforces delegiert werden. Diess solle häufiger selbst das Heft in die Hand nehmen und neues Vertrauen aufbauen. VW erklärte dazu offiziell, es ließen sich immer Dinge verbessern – aber der Golf 8 sei in vielerlei Hinsicht eben auch ein komplett neues Projekt. Im Vergleich zu manchen anderen Modellanläufen sei man «sehr zufrieden».
Ob das am Ende auch für den ID.3 als zweites Großprojekt gilt, bleibt abzuwarten. Das E-Auto soll die neu konzipierte Reihe begründen, die VW ins Elektro-Zeitalter führt. Auch hier gibt es schon Verzögerungen und einen zunächst abgespeckten Funktionsumfang. Grund: die Software.(dpa)