«Können mit der E-Mobilität Konventionen über Bord werfen»

VW-Chefdesigner Klaus Bischoff

«Können mit der E-Mobilität Konventionen über Bord werfen»
Klaus Bischoff verantwortet bei VW das Design. © VW

Der Weg in die Elektromobilität bedeutet für VW den Beginn einer neuen Design-Ära. Chef-Designer Klaus Bischoff spricht im Interview über neue Freiheiten, Kirchenmusik und darüber, weshalb man sich mit dem I.D. selbst angreift.

Für Klaus Bischoff ergeben sich durch die Elektromobilität neue gestalterische Möglichkeiten. Zwar müssten auch die neuen Elektroautos von VW die Anforderungen an den Fußgänger- und Insassenschutz erfüllen. «Doch wir sind auf dem Weg zu einer deutlich befreiteren Designkultur. Darauf freue ich mich sehr», sagte der VW-Designchef im Interview mit der Autogazette.

«Wir dienen dem Kunden»

Wie Bischoff hinzufügte, würden Elektroautos es den Designern ermöglichen, «Proportionen und Sitzpositionen grundlegend zu verändern. Dafür braucht man Mut. Alles, was man nicht mehr braucht, kommt einfach weg wie beispielsweise der Kühlergrill oder die klassischen Instrumente.»

So sei die maximale Reduktion das Thema der Gestaltung. «So können wir mit der E-Mobilität auch Konventionen über Bord werfen.» Dennoch müsse man bei allen neuen Freiheiten in der Gestaltung immer den Kunden im Blick haben. «Wir dienen dem Kunden und müssen die Menschen mitnehmen. Unser Markenwert muss immer erkennbar sein. Es muss als VW erkennbar sein.»

«Können Grenzen beim Body-Style verschieben»

VW-Markenchef Diess mit dem I.D. Crozz.
VW-Markenchef Herbert Diess präsentiert den I.D. Crozz auf der IAA VW

Autogazette: VW wird bis 2025 50 neue Elektroautos auf den Markt bringen. Ist das auch der Beginn einer neuen Design-Ära?

Klaus Bischoff: Sicher. Wir befinden uns mittendrin, wie man auch auf der IAA gesehen hat. Dort haben wir neben dem I.D. auch den I.D. Crozz und den I.D. Buzz gezeigt. Wir gehen in Riesenschritten Richtung Elektromobilität, Vernetzung und autonomes Fahren. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die richtigen Antworten für die Mobilität der Zukunft geben werden.

Autogazette: Für die E-Mobilität verfügen Sie über den Modularen Elekftrifizierungsbaukasten. Was wird dadurch möglich, was vorher nicht möglich war?

Bischoff: Mit dieser neuen Plattform haben wir die Möglichkeiten, hochemotionale Produkte zu entwickeln. Wir können den Kunden mit der digitalen Architektur und den nachhaltigen Antriebskonzepten ein tolles Angebot für die Mobilität der Zukunft machen – und das zu erschwinglichen Preisen.

Autogazette: Was ist für einen Designer spannender: Ein Auto mit Verbrennungsmotor zu entwerfen oder ein Elektroauto?

Bischoff: Wenn man die Anforderungen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor mit denen von Elektroautos vergleicht, dann genießen wir Designer bei Elektroautos mehr Gestaltungsfreiheiten. Bei dieser neuen Modellfamilie von rein elektrischen Fahrzeugen können wir Grenzen beim Body-Style verschieben und haben somit ganz andere Möglichkeiten.

Autogazette: Doch die Anforderungen an die Crashsicherheit bleiben.

Bischoff: Selbstverständlich müssen auch die neuen Elektrofahrzeuge alle Crashtests erfüllen sowie die Anforderungen an den Fußgänger- und Insassenschutz. Auch müssen wir an einigen Stellen nach wie vor Kompromisse machen. Doch wir sind auf dem Weg zu einer deutlich befreiteren Designkultur. Darauf freue ich mich sehr.

«Maximale Reduktion ist Thema unserer Gestaltung»

Die I.D.-Familie von VW mit dem I.D., Buzz und Crozz.
Die I.D.-Familie mit I.D., Buzz und Crozz. VW

Autogazette: Welche Freiheitsgrade werden Sie haben?

Bischoff: Wenn man sich anschaut, wie groß ein Verbrennungsmotor mit seinen Nebenaggregaten ist, die Ansaugluftzufuhr, die komplexe Verrohrung und Verschlauchung, der Tank – dann füllt die Technik gut ein Drittel des Fahrzeuges aus. E-Mobile bauen wesentlich kompakter. Die Batterie nimmt zwar größeren Raum ein, aber sie ist flach und im Boden integriert. Es gibt einen niedrigen Schwerpunkt und eine höhere Sitzposition. Damit können wir wesentlich mehr Raum den Passagieren zur Verfügung stellen. Das gibt auch uns Designern mehr Freiheit bei der Gestaltung.

Autogazette: Ist das auch beim I.D. Buzz so? Dort wirkt der Innenraum besonders groß.

Bischoff: Bei unserem I.D. Buzz können wir sogar Vierfünftel der Verkehrsfläche den Passagieren zur Verfügung stellen. Das ermöglicht es uns Designern zum Beispiel auch, Proportionen und Sitzpositionen grundlegend zu verändern. Dafür braucht man Mut. Alles, was man nicht mehr braucht, kommt einfach weg wie beispielsweise der Kühlergrill oder die klassischen Instrumente. Die maximale Reduktion ist das Thema unserer Gestaltung. So können wir mit der E-Mobilität auch Konventionen über Bord werfen.

Autogazette: VW ist es mit dem Design des Golf gelungen, eine Designsprache zu finden, die von Millionen Menschen akzeptiert wird. Wie schwierig ist es, dies auf die Elektromobilität zu übertragen?

Bischoff: Unsere I.D.-Familie ist sofort als Volkswagen zu erkennen. Wie entsteht das? Das entsteht durch die Anknüpfung an die Markenwerte. Das sieht man deutlich am I.D. Buzz, bei dem der T1 durchscheint. Ähnliche Markenwerte sieht man beim I.D...

Autogazette: ...den man nun nicht sofort als VW erkennt, wenn man sich das Markenlogo wegdenkt...

Bischoff: ...das sehe ich anders. Würde man das Logo wegnehmen und die Kunden raten lassen, was für eine Marke das ist, dann würden 60 bis 70 Prozent sagen, es ist vielleicht ein VW. Der I.D. ist mit wenigen Linien beschreibbar: es geht um Reduktion, um Proportionen und um Disziplin. Ich kann ein Auto natürlich vollhängen mit Designfeatures, um es attraktiver zu machen. Doch das machen wir nicht. Wenn die Proportionen stimmen, dann kann ich anfangen, Dinge zu entfernen. Das ist Designqualität.

«Es ist für mich ein Neuaufschlag»

Autogazette: Ist es eine Weiterentwicklung des bestehenden Designs oder ist es etwas Neues?

Bischoff: Es ist für mich ein Neuaufschlag. Mein Designcredo ist Klarheit, Proportion, Skulptur, Emotion. Diese Werte möchte ich in den Autos manifestieren. Dafür braucht man viel Disziplin – und dafür muss man auch kämpfen.

Autogazette: Beim Facelift des Golf VII sagten Sie, dass man mit Blick auf die E-Mobilität jedes Detail am Fahrzeug neu erfinden müsse. Jedes Register der Orgel würde neu eingestellt, um ein neues Lied zu spielen. Statt Kirchenmusik wird bei VW also bald Hip-Hop gespielt?

Bischoff: Die Frage gefällt mir. Denn ich spreche mit Blick auf das Design immer auch von Klang. Wenn Sie die verbrennungsmotorischen Autos auf der einen und die I.D.-Familie auf der anderen Seite sehen, dann hat der I.D., neben dem vordergründig optisch anderen Auftritt, auch einen anderen Klang. Ich weiß nicht, ob es Hip-Hop ist. Aber es ist definitiv eine andere Musik – auf jeden Fall keine Kirchenmusik.

Autogazette: Ist der Gleichklang schwierig, Innen- und Außendesign zusammen zu bringen?

Bischoff: Man wird sehen, wie die Akzeptanz für neue Innenraumkonzepte ausschaut. Wenn das Fahren zur Arbeit immer stressiger wird, werden sich die Menschen freuen, wenn das Fahrzeug autonom fährt. Der Passagier bekommt mehr Freiheit und Genuss. Wenn er fahren will, kann er es. Wenn nicht, kann er sich im Auto erholen und die Arbeit der Technik überlassen. Vorteile, die die Menschen schnell vom autonomen Fahren und neuen Innenraumkonzepten überzeugen werden.

«Reden vom Auftritt einer neuen Fahrzeugarchitektur»

Der I.D. Buzz und der VW T1.
Um den I.D. Buzz hat Klaus Bischoff lange ringen müssen. VW

Autogazette: Wie mutig war das Design bislang und wie mutig werden Sie zukünftig sein?

Bischoff: Man steckt sich ungern selbst Federn an, aber ich möchte dies für unser Team trotzdem tun. Wir treten hier etwas in einer Dimension los, was vielen nicht klar ist. Wir reden nicht von ein paar Tausend Autos. Wir reden von einem Auftritt einer neuen Fahrzeugarchitektur. China, Europa, USA – wir werden eine Vielzahl neuer Fahrzeuge mit einem neuen Design in diese Märkte bringen. Dabei geht es nicht um Design als Selbstzweck. Wir dienen dem Kunden und müssen die Menschen mitnehmen. Unser Markenwert muss immer erkennbar sein. Es muss als VW erkennbar sein.

Autogazette: Ist es schwieriger, dass Design einer Volumenmarke zu kreieren als das Design eines Herstellers wie Tesla mit weniger als 80.000 Einheiten?

Bischoff: Mir steht es nicht zu, Tesla zu beurteilen. Ich habe enormen Respekt vor dem unternehmerischen Mut von Elon Musk. Er macht das großartig. Doch das Rad, was wir drehen, hat eine andere Dimension. Wir haben einen Dienst für die Marke zu leisten und haben die Menschen für unsere Fahrzeuge zu begeistern. Es geht nicht um den Designer, mit dem Ziel: Mensch, bin ich mutig, jetzt habe ich es der Welt gezeigt.

Autogazette: Gab es in der Vergangenheit beispielsweise mit Blick auf das Design des Golf nie die Ansage einer Ihrer Vorstandschefs: Klaus, das können wir so wirklich nicht machen?

Bischoff: Wir bieten immer ein Portfolio von Ideen an. Es ist keine solitäre Entscheidung eines Designers. So weitreichende Entscheidungen werden vom Vorstand entschieden. Wir Designer gehen zwar mit Bedacht vor, aber nicht zaghaft. Auch ein Golf gehört mutig in die Zukunft entwickelt. Der nächste Golf wird wieder begeistern. Aber es wird ein Golf bleiben. Er ist eine Ikone der Automobilkultur. Wie unklug und anmaßend wäre ich, diese zu Grabe zu tragen. Auf der anderen Seite zeigen wir mit dem I.D. einen Gegenentwurf. Wenn Sie so wollen, greifen wir uns selber an.

«Ich habe 15 Jahr um dieses Konzept gerungen»

Autogazette: Unlängst ist die Entscheidung gefallen, den I.D. Buzz zu bauen. Er soll 2022 auf den Markt kommen. Mussten Sie lange kämpfen, um das Go für dieses Auto zu bekommen?

Bischoff: Ich habe 15 Jahre um dieses Konzept gerungen. Solch ein Fahrzeug jetzt endlich umsetzen zu dürfen, ist ein großes Geschenk. Wir werden alles tun, dieses Auto so nah an der Studie wie möglich auf die Räder stellen. Als ich mit diesem Showcar in den USA über die Straßen gerollt bin, konnte man sehen, wie man mit diesem Auto jedem – wirklich jedem – ein Lächeln ins Gesicht treibt. Das ist etwas, was der Marke eine einzigartige Schubkraft gibt. Der Käfer, der T1 und jetzt der I.D. Buzz bringen wieder mehr Wärme und Emotionalität auf die Straße. Das zu erzeugen, erfüllt mich mit Stolz.

Autogazette: Freuen Sie sich als Designer auf Zeiten, in den nur noch autonom gefahren wird, wo sie nur noch wenig Rücksicht auf Crashtestanforderungen nehmen müssen?

Bischoff: Jede Veränderungen ist eine Chance, eine Aufgabe. Ich liebe das. Wenn ich eine Challenge bekomme, ist das das Geilste überhaupt. Geben Sie mir eine schwierige Aufgabe – und ich habe den Tag meines Lebens.

Das Interview mit Klaus Bischoff führte Frank Mertens

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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