Wenn der Autopilot übernimmt

Probleme autonomen Fahrens

Wenn der Autopilot übernimmt
Das Lenkrad im Pausenmodus. © Rinspeed

Mit der absehbaren Einführung autonomer Fahrzeuge wird sich nicht nur das Fahren, sondern vor allem auch der Fahrer selbst verändern. Nicht ohne Risiko, wie schon die aktuelle Entwicklung dahin zeigt.

Von Martin Woldt

Das Auto sei ja längst ein fahrendes Rechenzentrum mit 1,5 Kilometer Kabeln an Bord und mehr als 50 Steuergeräten mit einer Rechenleistung von 20 hochmodernen PCs. Für Volkswagenchef Martin Winterkorn ist die Digitalisierung eine Hauptstraße. „Die Wünsche unserer Kunden an das eigene Automobil verändern sich immer schneller“, sagte er vor einigen Monaten auf der Cebit. Was VW am Beispiel eines künftigen Audi-Cockpits namens James 2025 schon mal vorwegnahm.

Noch vergehen Jahr

Durch den gleichzeitigen Druck auf zwei Lenkradknöpfe gibt der Fahrer unterwegs die Kontrolle an das Fahrzeug ab. Das Steuer wird aufgefaltet und abgesenkt. Die Armaturen klappen weg. Der Navigationsschirm wechselt von der Straßenkarte vielleicht zu einer Videokonferenz, wie VW-Chefentwickler Jürgen Leohold illustriert. 20 Sekunden, bevor der Autopilot wieder übergibt, stelle sich die virtuelle Fahrerumgebung wieder her. „Das Ganze wird viele Jahre benötigen und über eine Evolution der heutigen Fahrassistenzsysteme zu immer vollautomatischeren Fahrfunktionen verlaufen.

Am Ende ist das wie in der Fliegerei. Da kann heute schon der Pilot den Autopiloten einschalten, trägt aber immer noch die Verantwortung für sein Fahrzeug“, so Leohold.

Das Auto als „Datenkrake“?

Autofahren kann so bequem sein. Rinspeed

Der Weg scheint vorgezeichnet, zumal auch andere Hersteller das so sehen. Daimler-Chef Dieter Zetsche kündigte unlängst im Interview mit der Autogazette an, dass man Themen „wie das automatische Einparken sowie auch das Fahren auf Autobahnen“ noch in diesem Jahrzehnt den Kunden anbieten könne. „Ich bin davon überzeugt, dass wir die wesentlichen Umfänge innerhalb der nächsten zehn Jahre in der Großserie haben.“

Doch für die Hersteller stellt sich ein Problem: Insbesondere Jüngere wollen zwar mehr hochwertig vernetzte Technik, aber nicht unbedingt ein Auto. Da liegt es aus Sicht der Hersteller nahe, das Auto selbst zum Smartphone umzubauen, in der Hoffnung die Faszination kehrt zurück.

Skeptikern fährt Martin Winterkorn in die Parade. „Das Auto darf nicht zur Datenkrake werden. Ich sage deutlich: Ja zu Big Data. Ja zu mehr Sicherheit und Komfort. Aber Nein zu Bevormundung und Big Brother“, beschwichtigte er. Das Thema Datenschutz spielt auch bei Daimler eine entscheidende Rolle, wie Entwicklungsvorstand Thomas Weber gerade im Interview mit der Autogazette gesagt hat. „Das Thema genießt bei uns höchste Priorität, entsprechend arbeiten wir daran, dass die Privatsphäre und die Daten unserer Kunden geschützt werden. Wenn wir vom gläsernen Autofahrer sprechen, muss man aber auch sehen, dass heute viele Kunden selbst sehr freigiebig mit ihren Daten beispielsweise in sozialen Netzwerken umgehen“, betonte Weber. „Unsere Aufgabe ist es daher, Mechanismen einzubauen, die sicherstellen, dass mit den Daten unseres Kunden kein Missbrauch geschieht. In Summe kommen wir gut voran.“

Wachsende Entfremdung

100 Prozent Verlass auf die Technik? Rinspeed

Doch womöglich ist das nur ein beunruhigender Aspekt der Entwicklung. Mit zunehmender Automatisierung wächst auch die Entfremdung zwischen Fahrer und Fahrzeug. Das tut sie nicht erst seit heute. Wer sich davon überzeugen will, muss nur einen Orientierungsversuch unter der Motorhaube wagen. Wenn er denn noch weiß, wie man sie öffnet.

Jeder zehnte Autofahrer ist damit angeblich schon überfordert. Jeder Dritte kann keinen Reifendruck prüfen. Zwei von drei scheitern am Glühlampenwechsel, sagt eine aktuelle Untersuchung. Und selbst wer das von sich weist, wird zugeben müssen, dass immer bessere Technik bisweilen denkfaul macht. Das Internet ist voll von kuriosen Geschichten über vom Navi irregeleitete Autofahrer, die es hätten besser wissen können. Doch weil sie der Technik blind vertrauten, bogen sie in ein Gleisbett ein oder landeten gar im Flussufer.

Veränderungen bei jungen Fahrern

Der Kompetenzverlust ist schleichend, aber leider auch allzu menschlich. „Das Herauslösen von Teilaufgaben kann Beanspruchungen reduzieren, sagt der Verkehrspsychologe Tobias Ruttke von der Uni Jena. „Aber das beeinflusst immer auch die Gesamtsituation und die Gesamtwahrnehmung“. Darunter würden das Situationsverständnis, die Handlungskompetenz und die Prognosefähigkeit des Menschen leiden.

So sei durchaus schon zu beobachten, dass Systeme wie der Spurhalteassistent genutzt werden, um etwa einsetzende Müdigkeit zu überlisten. Der Fahrer vertraut der Technik ist eher abgelenkt und unter Umständen später als eigentlich wieder Herr der Situation. Aus Gesprächen mit Fahrlehrern wisse er, erzählt Ruttke, jüngere Fahrer hätten ein „reduzierteres Bild von ihrer Fahraufgabe“. Wesentliche Details überließen sie ohne Argwohn dem System. Dessen Entscheidungen blieben zunehmend ungeprüft.

Beobachtungen bei Flugzeugpiloten

Komfort kontra Aufmerksamkeit Rinspeed

Immerhin plädiert selbst der Deutsche Verkehrssicherheitsrat für mehr Fahrerassistenten. In der aktuellen Kampagne „Bester Beifahrer“ heißt es, 90 Prozent aller Verkehrsunfälle gingen auf Fehleinschätzungen der Autofahrer zurück. Assistenten könnten die Hälfte davon vermeiden. Eine These, die auch die Luftfahrtbranche nach 30 Jahren Autopilot wohl unterschreiben würde. Und doch mehren sich infolge einiger unerklärlicher Abstürze selbst erfahrenster Piloten Zweifel. Der Spiegel berichtete unlängst aus einer Untersuchung der amerikanischen Luftaufsichtsbehörde über die Folgen der Automatisierung: Piloten spürten, dass ihre fliegerischen Fähigkeiten verkümmern.

Ehemals vertraute Manöver empfänden viele trotz Trainings als ungewohnt und schwierig. Viele Piloten wüssten zu wenig über die Komplexität ihrer Flugsysteme. Sie verstünden nicht ausreichend, welche Auswirkungen etwa der Ausfall eines Teils dieser Systeme auf andere hat.

Hightech trifft auf Laien

Dieses Problem sieht Tobias Ruttke mit der wachsenden Zahl der Fahrassistenten auch am Lenkrad heraufziehen. Denn während Flugzeugpiloten hoch spezialisierte Experten mit besonderen Fähigkeiten wären, ginge es am Steuer um jedermann. „Jetzt treffen immer komplexere Fahrassistenzsysteme auf 60 Millionen Autofahrer mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen, die unmittelbar mit anderen agieren.“ Der Experte warnt, das Thema nicht nur technisch oder juristisch zu diskutieren. Das eigentliche Problem sitze hinter dem Steuer.

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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