Niedersachsens Enthaltung eine «Reaktion der Hilflosigkeit»

Entlastung des VW-Vorstandes

Niedersachsens Enthaltung eine «Reaktion der Hilflosigkeit»
Olaf Lies für Boni-Rückzahlung. © dpa

Nein, ein Misstrauensvotum gegen VW sei die Enthaltung bei der Abstimmung zur Entlastung des Konzernvorstandes nicht gewesen, sagt Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies. Als Denkzettel kann dies indes verstanden werden, auch wenn die Opposition von einem Zeichen der Hilflosigkeit spricht.

Der zweitgrößte Aktionär Niedersachsen bringt Volkswagen bei der Aufarbeitung der Abgas-Affäre in Erklärungsnot. Ausgerechnet das Heimatland von Volkswagen, das 20 Prozent an den Stimmrechten hält, wollte die Arbeit des Konzernvorstands im Krisenjahr 2015 nicht einfach absegnen. Niedersachsen enthielt sich am Mittwoch bei der Hauptversammlung der Stimmen bei den Entlastungen für Ex-Konzernchef Martin Winterkorn und den aktuellen VW-Markenchef Herbert Diess. Gegen sie ermitteln seit kurzem Staatsanwälte.

Damit erteilte das Land den Managern zumindest einen symbolischen Denkzettel. Denn für den Konzern wäre eine Einstimmigkeit unter den Großaktionären deutlich vorzeigbarer gewesen. Noch in der Nacht hatte Niedersachsen den Alleingang mit offenen Fragen in der Aufarbeitung des Diesel-Skandals und einer daher gebotenen Neutralität begründet. Am Morgen danach betonte Wirtschaftsminister und VW-Aufseher Olaf Lies, die Enthaltungen seien jedenfalls kein Misstrauensvotum. "Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen eingeleitet - dafür wird sie ihre Gründe haben", sagte der SPD-Mann. Inhaltlich lägen dem Land keine neuen Informationen vor. "Es gibt aber auch keine Erkenntnisse, die gegen eine Entlastung sprechen - insofern haben wir uns enthalten."

Haltung in der Enthaltung

Die Regierung zeigt damit Haltung in der Enthaltung - obwohl das an der Entlastung nichts zu ändern vermochte. Das übrige Votum reichte locker für Winterkorn und Diess, was nicht überraschte angesichts der Stimmenmacht von gut 50 Prozent beim zentralen VW-Großaktionär, dem Familienstamm Porsche/Piëch. Umso mehr ist die Entscheidung des Landes als Signal zu verstehen: Wir sehen die Sache etwas anders. Lies sagte zum Vertrauensverhältnis mit den Eigentümer-Familien: "Es ist eine sehr konstruktive Zusammenarbeit." Der Umgang sei positiv. "Wir respektieren gegenseitig unsere Argumente. Ich respektiere die Argumente der Anteilseigner für die Entlastung."

Von einer "Reaktion der Hilflosigkeit" sprach dagegen der für Wirtschaft zuständige CDU-Landtagsfraktionsvize Dirk Toepffer. Er sieht einen Flurschaden: "Was uns ein wenig mit Sorge erfüllt, ist das zunehmende Zerwürfnis zwischen Eigentümer-Familien und Land." Hintergrund der Enthaltung waren die am Montag bekanntgewordenen neuen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Sie richten sich gegen den in der Abgaskrise zurückgetretenen früheren Konzern-Vorstandschef Winterkorn und gegen den aktuellen VW-Kernmarkenchef Diess, der auch im Konzernvorstand sitzt. Ihnen wird Marktmanipulation vorgeworfen. Sie könnten - so der Anfangsverdacht - die Finanzwelt bewusst zu spät über die Dimension und Risiken der Manipulationen informiert haben. Dafür sehen die Ermittler genug "tatsächliche Anhaltspunkte". Fest stehe aber: Zunächst gelte für beide die Unschuldsvermutung.

Die Vorstandsentlastung war schon Wochen vor dem Aktionärstreffen ein heißes Eisen. Der VW-Aufsichtsrat beschloss Mitte Mai, die Entlastung als Vorschlag auf die Tagesordnung zu setzen und nicht aufzuschieben, was möglich gewesen wäre. Damals wie heute hieß es, dass bisher alle Erkenntnisse der internen Untersuchung zur Schuldfrage und zum Umgang mit der Affäre nichts ergeben hätten, was eine Entlastung erschwere.

Intensive Diskussionen

Jedoch räumte der Konzern selbst ein, dass schon damals "intensive Diskussionen" zum Entlastungsvorschlag notwendig gewesen seien. Der Aufsichtsrat berief sich bereits im Mai auf Ergebnisse der US-Kanzlei Jones Day, die die Affäre in VW-Auftrag untersucht, sowie auf mehrere weitere externe Beratungen zur Entlastungsfrage. Volkswagen fürchtete, mit einer Verschiebung zu signalisieren, dass es irgendwo doch einen Anlass geben könnte, an Vorstandsmitgliedern zu zweifeln.
Seit Montag gibt es nun aber mit den Ermittlungen der Braunschweiger Staatsanwaltschaft neue Vorzeichen - so sieht es zumindest das Land.

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur ging es bei der Frage zur Entlastung imVW-Aufsichtsrat am Vorabend der Hauptversammlung hoch her. Das Land warb vergeblich für eine Neubewertung des Themas. Da den Ermittlungen eine Anzeige der Finanzaufsicht Bafin vorausging, sehen zwei Behörden - Staatsanwaltschaft und Bafin - eine mögliche Mitschuld im Vorstand offensichtlich in anderem Licht als Volkswagen. Und nun schert Niedersachsen aus.

Das hat eine längere Vorgeschichte. Bereits im Frühling hatte die Frage der Vorstandsgehälter einen Keil in den Aufsichtsrat getrieben. Auf der einen Seite standen Niedersachsen und die Arbeitnehmerseite, die zusammen auf 12 der 20 Stimmen im Kontrollgremium kommen. Am Ende fiel das Votum über die Boni nach dpa-Informationen aber einstimmig aus, das Land und die Arbeitnehmerbank trugen den mit der übrigen Kapitalseite erzielten Kompromiss mit. Es galt damals noch die Prämisse: Einstimmigkeit - trotz möglicher Uneinigkeit. Dieses Übereinkommen ist nun dahin, Niedersachsen sorgt für einen Misston. Mit der Enthaltung, die die Vorbehalte widerspiegelt, setzt das Land ein Zeichen. Das blieb zwar erwartbar wirkungslos für das eigentliche Ergebnis, das mit der Zustimmung des PS-Clans Porsche/Piëch schon auf ein Ja hinauslief. Doch das Land tritt damit offen in Opposition zur VW-Besitzerfamilie. Das Signal: Die Geschlossenheit ist dahin. (dpa)

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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