Volvo bringt nach 13 Jahren den neuen XC90 auf den Markt. Im Interview mit der Autogazette spricht Entwicklungs-Vorstand Peter Mertens über Wachstumsziele, Innovationen und die DNA der schwedischen Marke.
Der schwedische Autobauer Volvo will jedes Jahr mindestens ein neues Modell mit Plug-in-Hybrid auf den Markt bringen. Das kündigte Entwicklungsvorstand Peter Mertens im Interview mit der Autogazette an. «Wenn ich die Modellvarianten mit berücksichtige, dann sind es sogar mehr. Bis Ende 2018 werden wir sicher noch neun Plug-in-Hybride bringen, als nächstes, in etwa einem Jahr, folgen die Limousine S90 und der Kombi V90.» Volvo bietet seinen Kunden bislang den V60 und in Kürze auch den neuen XC90 mit dieser Technologie an.
Plug-in-Verkäufe werden weiter steigern
Mit Blick auf die Nachfrage nach Plug-in-Hybriden ist sich Mertens sicher, dass die Kunden nach dieser Technologie verlangen. «Wir sehen es bereits jetzt bei den Vorbestellungen für den XC90. In Deutschland entfallen 85 Prozent auf den Diesel, fünf Prozent auf den Benziner und zehn Prozent auf den Plug-in-Hybrid. Ich gehe davon aus, dass die Zahl der Plug-in-Verkäufe noch weiter wachsen wird.» Volvo liegen bereits vor dem Marktstart des neuen XC90 weltweit insgesamt 16.000 Vorbestellungen vor, darunter 2000 aus Deutschland. Von seinem Flaggschiff erwartet Volvo in diesem Jahr einen Absatz von weltweit 50.000 Einheiten.
Dem SUV misst Mertens eine wichtige Rolle für das Wachstumsziel der Schweden von 800.000 Einheiten bis zumJahr 2020 zu, wenn auch nicht primär wegen des Volumens. Vielmehr stehe der neue XC90 für «das neue Volvo. Er ist unser Flaggschiff, basiert auf der neuen Plattform und bietet all das, für was die Marke Volvo steht.»
«Wir bauen keine Autos für irgendwelche Crashtests»
Autogazette: Herr Mertens, Sie sprechen mit Blick auf den neuen Volvo XC90 selbstbewusst vom sichersten SUV der Welt. Was macht ihren SUV sicherer als die Modelle der Konkurrenz?
Peter Mertens: Eine Menge. Sicherheit gehört seit jeher zur DNA unserer Marke. Wir stehen für Sicherheit und wir bauen konsequent Autos, die ohne Abstriche die sichersten der Welt sind. Dabei ganz wichtig ist: Wir bauen keine Autos nur für irgendwelche Crashtests, sondern für unsere Kunden. Sie sollen in einem Volvo sicherer unterwegs sein als in Modellen der Wettbewerber. Selbst der XC90-Vorgänger wurde noch im Vorjahr in den USA als das sicherste SUV der Welt....
Autogazette: ... konkret: was bietet der neue XC90, was der Wettbewerb nicht anzubieten hat?
Mertens: Eine Vielzahl von innovativen Assistenzsystemen, darunter als Weltpremiere den Kreuzungsassistenten. Wird ein entgegen kommendes Auto übersehen, wird der Fahrer durch den Kreuzungsassistenten nicht nur gewarnt, sondern das System bremst das Fahrzeug auch ab. Damit wird ein Unfall vermieden. Darüber hinaus haben wir in den XC90 ein weiteres System als Weltneuheit implementiert, das dafür sorgt, dass der Fahrer, wenn das Auto beispielsweise in Folge einer Unachtsamkeit von der Straße abkommt und ein Unfall unvermeidbar ist, optimal auf diesen potenziellen Crash vorbereitet und bestmöglich in Position bringt.
Autogazette: Ähnliches kennt man ja auch aus dem neuen VW Passat.
Mertens: Bei uns funktioniert das System signifikant anders. Wir haben elektrische Gurtstraffer entwickelt, die Fahrer und Beifahrer mit 300 Nm in eine Position bringen, die ideal für das spätere Entfalten der Airbags ist. Sie halten den Fahrer solange in dieser Position, bis der Unfall stattgefunden hat. Für einen kommenden Crash ist damit die Belastung für Fahrer und Beifahrer minimiert.
«Entwickeln mit Geely kleinere Architektur»
Autogazette: Der XC90 ist das erste Auto, das auf dem Skalierbaren Produktarchitektur (SPA) basiert, vergleichbar dem Modularen Querbaukasten des VW-Konzerns. Was ist das Besondere an dieser neuen Plattform?
Mertens: Der Ansatz von SPA ist nicht vergleichbar mit dem der Wettbewerber. Nicht, weil wir besonders clever, sondern ein sehr kleiner Hersteller sind. Die Skaleneffekte, die für unsere Profitabilität wichtig sind, können wir nur erreichen, wenn wir nicht den horizontalen Ansatz mit sehr vielen gleichgroßen Fahrzeugen verfolgen, sondern einen vertikalen mit möglichst wenigen gleichgroßen Modellen. So ist SPA in der Lage, Modelle wie einen Volvo S60 bis hin zu einem XC90 auf der gleichen Plattform zu realisieren.
Autogazette: Was ist mit den kleineren Modellen?
Mertens: Für zukünftige Modelle im C-Segment entwickeln wir derzeit zusammen mit unseren Kollegen von Geely eine kleinere Architektur.
Autogazette: Wird es denn unterhalb des XC60 noch einen kleineren SUV geben?
Mertens: Es ist kein Geheimnis, dass wir ein solches kleineres SUV in wenigen Jahren in unserem Portfolio haben werden.
Autogazette: Wann wird er in Serie gehen?
Mertens: Dazu sage ich nichts weiter.
Autogazette: Spätestens in zwei Jahren macht doch Sinn, wenn es schon einen Prototypen gibt.
Mertens: Das würde ich jetzt weder bestätigen noch dementieren.
«So etwas bezeichne ich als ausgesprochen innovativ»
Autogazette: Der Vorgänger des XC90 war rund 13 Jahre auf dem Markt. Das ist ein Zeitraum, in dem andere Hersteller zwei Fahrzeuggenerationen auf den Markt bringen. Sieht so Innovationsfreude bei Volvo aus?
Mertens: Natürlich kann man das so sehen, muss es aber nicht. Wir haben eine lange Historie von 88 Jahren Unternehmensgeschichte und haben vor viereinhalb Jahren einen Neuanfang mit dem Einstieg von Geely erlebt. Seither haben wir eine komplett neue Architektur entwickelt und haben zugleich eine neue Motorengeneration, neue Getriebe und ein neues Infotainment-System auf den Markt gebracht. So etwas bezeichne ich als ausgesprochen innovativ. In einer solchen Phase des Besitzerwechsels und einer komplett neuen Ausrichtung unserer Strategie und Fahrzeugpalette muss man in Teilbereichen auch einmal zeitliche Verzögerungen in Kauf nehmen – im Fall des XC90 zugunsten einer erfolgreichen Zukunft.
Autogazette: Sie bieten für den XC90 nur noch Zweiliter-Vierzylinder-Motoren an. Laufen Sie damit nicht Gefahr, insbesondere auf ihren Hauptmärkten USA und China, Kunden zu verprellen, die lieber einen Sechs- oder sogar Achtzylinder hätten?
Mertens: Wir sind ja nicht blauäugig unterwegs. Wir haben genau analysiert, was auf den Märkten gewünscht wird und es war eindeutig das Verlangen nach verbrauchsgünstigen, gleichermaßen aber leistungsstarken Fahrzeugen festzustellen. Das erreichen wir mit den neuen Drive-E Triebwerken. Die reine Zylinderzählerei ist ohnehin ein Anachronismus. Unsere Strategie ist richtungsweisend, auch wenn ich mir bewusst bin, dass es sicher Kunden gibt, die gern Sechs- oder Achtzylinder hätten. Doch dieser Klientel bieten wir unsere Twin Engine an, unseren Plug-in-Hybriden. Hier bieten wir V8-Performance mit einem Verbrauch von nur 2,5 Litern. Das entspricht einem CO2-Ausstoß von 59 g/km.
Autogazette: Also nehmen Sie in Kauf, eine bestimmte Klientel nicht zu erreichen?
Mertens: Ja, wir wollen und können ohnehin nicht jeden erreichen. In Europa peilen wir einen Marktanteil von zwei Prozent an, in den USA bewegen wir uns bei einem halben Prozent und streben dort eine Verdoppelung an.
Autogazette: Bis wann wollen Sie diese Verdoppelung des Marktanteils in den USA erreichen?
Mertens: Wir wollen in wenigen Jahren in den USA wieder auf einen Absatz von über 100.000 Einheiten kommen. Im Vorjahr haben wir in den USA nur noch rund 57.000 Einheiten abgesetzt. Das ist eindeutig zu wenig, wir haben dort schon doppelt so viele Autos verkauft.
«Vor Marktstart liegen uns 16.000 Vorbestellungen vor»
Autogazette: Das Wachstumsziel von Volvo sieht bis 2020 eine Verdoppelung des Absatzes auf 800.000 Einheiten vor. Welche Rolle spielt dabei der XC90?
Mertens: Eine entscheidende, wenn auch nicht primär wegen des Volumens. Der neue XC90 steht für das neue Volvo. Er ist unser Flaggschiff, basiert auf der neuen Plattform und bietet all das, für was die Marke Volvo steht. Es ist unser Top-of-the-Line-Modell und wir erwarten von ihm in diesem Jahr einen Absatz von rund 50.000 Einheiten. Bereits vor dem Marktstart im Juni liegen uns über 16.000 Vorbestellungen vor, davon alleine mehr als 2000 in Deutschland.
Autogazette: Wo wollen Sie 2020 denn mit Blick auf den Absatz in China und den USA stehen?
Mertens: Bis 2020 erwarten wir in China einen Absatz von 200.000 Einheiten und über 100.000 Einheiten in den USA.
«Werden jedes Modell mit Plug-in-Hybrid ausstatten»
Autogazette: Sind die USA eigentlich der für Sie wichtigste Markt mit Blick auf den Plug-in-Hybrid?
Mertens: Wir sehen es bereits jetzt bei den Vorbestellungen für den XC90. In Deutschland entfallen 85 Prozent auf den Diesel, fünf Prozent auf den Benziner und zehn Prozent auf den Plug-in-Hybrid. Ich gehe davon aus, dass die Zahl der Plug-in-Verkäufe noch weiter wachsen wird.
Autogazette: Wie geht Ihre Plug-in-Strategie weiter, nachdem Sie bislang den V60 und nun auch den XC90 mit dieser Technologie anbieten?
Mertens: Wir werden jedes neue Modell mit einem Plug-in-Hybrid ausstatten. Alle Fahrzeuge, die auf der SPA-Plattform basieren, sind dafür vorbereitet. Wir werden jedes Jahr mindestens ein neues Fahrzeug mit Plug-in-Hybrid auf den Markt bringen. Wenn ich die Modellvarianten mit berücksichtige, dann sind es sogar mehr. Bis Ende 2018 werden wir sicher noch neun Plug-in-Hybride bringen, als nächstes, in etwa einem Jahr, folgen die Limousine S90 und der Kombi V90.
«XC90 ein Meilenstein in Bezug aufs autonome Fahren»
Autogazette: Sie feiern im XC90 die Premiere des Kreuzungsassistenten. Wo steht Volvo derzeit in der Entwicklung bei den selbstfahrenden Autos?
Mertens: Der XC90 ist für uns in Bezug auf das autonome Fahren ein Meilenstein. Er hat einen Kreuzungsassistenten, er kann Fußgänger und Fahrradfahrer erkennen, kann Abstand halten, beugt Unfälle vor und verfügt zudem über einen Pilot-Assist, den man auch als Staupiloten bezeichnen kann. Das Fahrzeug übernimmt alle Funktionen, die sonst der Fahrer übernehmen würde. Damit ist er schon sehr autark unterwegs ist. Das ist ein erster großer Schritt zum autonomen Fahren.
Autogazette: Audi-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg ließ unlängst wissen, dass er liberalere Regeln fürs autonome Fahren fordere, damit Deutschland beim Thema nicht in Hintertreffen gerate. Sind Sie auch der Auffassung, dass die Wiener Konvention nicht weit genug geht?
Mertens: Ich kann dem Kollegen Hackenberg nur recht geben. Gesetzlich muss mehr getan werden, auch wenn wir dank der Kooperation mit den schwedischen Behörden hier weit weniger Restriktionen haben als unsere Kollegen in Deutschland. Wir können das tun, was getan werden muss, um die Entwicklung des autonomen Fahrens voranzutreiben. Das unterscheidet unsere Rahmenbedingungen deutlich von denen in Deutschland. Mit Blick auf die Wiener Konvention kann ich nur sagen, dass es statthaft sein muss, dass der Fahrer nicht ständig in der Lage sein muss, die Kontrolle über das Fahrzeug zu übernehmen. Wir müssen es im realen Straßenverkehr testen können, wie die Systeme funktionieren, wenn halt nicht immer der Fahrer sofort wieder ins Geschehen eingreifen kann.
«Wir sind bescheidener unterwegs»
Autogazette: Jeder Hersteller ringt derzeit um die Führungsrolle beim autonomen Fahren. Glauben Sie, dass Volvo durch die liberaleren Regelungen in Schweden bessere Voraussetzungen als die drei deutschen Premiummarken hat?
Mertens: Wir beteiligen uns nicht an dem Wettlauf, wer nun der Beste beim autonomen Fahren ist. Wir sind bescheidener unterwegs. Wenn sich drei Hersteller streiten, freut sich am Ende aber vielleicht der vierte. Aber ein solcher Wettstreit tut der Industrie nicht gut. Manchmal hat man den Eindruck, dass Dinge versprochen werden, die realistisch noch nicht haltbar sind.
Autogazette: Derzeit wird viel darüber diskutiert, wer im Falle eines Unfalls eines autonomen Autos die Verantwortung trägt: der Autofahrer oder der Hersteller. Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen sind aus Ihrer Sicht noch erforderlich?
Mertens: Es gibt hier eine Vielzahl von Dingen, die noch geklärt werden müssen. Und hier muss der Gesetzgeber Rahmenbedingungen schaffen, die es den Herstellern erlauben, an ihnen entlang die Technik weiter zu entwickeln. Deshalb beziehen wir in Schweden auch die Legislative mit in unseren Test Drive Me mit ein. Es werden sich auch mit Blick auf die Haftung Verantwortlichkeiten verschieben.
Autogazette: Liegt die Verantwortung dann nicht mehr nur beim Fahrer, sondern beim Hersteller?
Mertens: So pauschal kann man das nicht sagen; es kommt immer auf den Einzelfall an. Aber ich denke, dass sich das Thema Produkthaftung durch das autonome Fahrer stärker zum Hersteller hin verschieben wird. Mit der Verschiebung einer solchen Produkthaftung wird sich auch die Industrie verändern. Gerade versicherungsrechtliche Fragen werden sich durch selbstfahrende Autos dramatisch verändern. Ich gehe davon aus, dass Versicherungen in Zukunft dann nicht mehr nur den einzelnen Kunden versichern werden, sondern die Flotten der Hersteller von selbstfahrenden Autos. Der Autohersteller wird bei selbstfahrenden Autos zum Versicherungsnehmer.
Autogazette: Wie schaut der weitere Weg von Volvo zum vollautonom fahrenden Auto aus?
Mertens: Bis es soweit ist, wird es noch mindestens zehn Jahre dauern. Nachdem wir jetzt den Staupiloten und auch den Kreuzungsassistenten im XC90 gebracht haben, wird als nächstes das automatische Einparken kommen. Ich gehe davon aus, dass wir das 2018 bringen werden. Dafür benötigen wir aber auch die Infrastruktur in den Parkhäusern.
Das Interview mit Peter Mertens führte Frank Mertens