Volvo ES90: Schnittiger Starkstrom-Schwede

Volvo ES90: Schnittiger Starkstrom-Schwede
Der ES90 wartet mit dem besten cw-Wert eines Volvos auf. © Plank

Anders als dem EX90 gönnt Volvo den ES90 moderne 800-Volt-Technik. Dank bester Aerodynamik sollen 700 Kilometer Reichweite möglich sein.

Sie geben viel auf Tradition in Göteborg – und so bekommt auch der Ahnherr einen exponierten Platz: Der ab 1985 gebaute Volvo 780 im schnittigen Bertone-Kleid gelangte zwar offiziell nicht nach Deutschland, war aber gleichwohl Coupé-Ableger jenes kantigen 760, der insbesondere als Kombi die Kompetenz der Schweden in Sachen Nordmann-Wanne prägen half.

Genau 40 Jahre später ist weder mit Kastenform etwas zu reißen noch mit Kolben. Und darum streckt sich der ES90 nicht bloß gleichermaßen schnittig wie elegant auf fünf Meter Länge, er fährt zudem rein elektrisch. Und damit die Kunden sofort erkennen können, was bei Volvo Phase ist, wird das Wikinger-Schiff als erstes Modell des Hauses mit 800-Volt-Technik auf Kiel gelegt. Selbst der eigentliche Platzelch EX90 muss sich – vorerst noch – mit halber Spannung begnügen. Obendrein setzt der ES90 mit einem cw-Wert von 0,25 dem Fahrtwind so wenig entgegen wie kein Volvo zuvor.

Dutzende Sensoren sorgen für Sicherheit

Der Volvo ES90 ist mit zwei Akkugrößen sowie Heck- und Allradantrieb zu haben. Foto: Plank

Die Balance wollten sie finden, sagt Volvo-Präsident Jim Rowan bei der Vorstellung des ES90. Zwischen Performance und Luxus, zwischen Form und Funktion, zwischen Komfort und Nachhaltigkeit. Nur beim Thema Sicherheit gibt es keinen Mittelweg. Basierend auf Erkenntnissen aus mehr als 50.000 realen Unfällen wachen Dutzende Sensoren unterschiedlichster Technologie. Vom Erfinder des Dreipunktgurtes darf man zu Recht höchste Standards erwarten.

Ungewohnt, aber schwungvoll integriert ist das Lidar-System vorne am Dach. Die gesammelten Daten wiederum speisen eine ganze Armada an Assistenz, deren Software sich beständig „over the air“ auffrischen lässt. Gesteuert werden Hard- und Software von Prozessoren, die achtmal schneller arbeiten als die Generation zuvor. Rowan: „Der ES90 festigt unsere Position als Branchenführer bei Software-definierten Fahrzeugen, die Core Computing nutzen.“

Erwärmen sollen sich potenzielle Kunden am Mix aus nordischer Kühle und Understatement. Das beginnt bei den Scheinwerfern Marke „Thors Hammer“, zieht sich über breite Schultern mit bis zu 22 Zoll großen Rädern und endet beim fast schalterlosen Cockpit. Kollateralsymptom des aufgeräumten Kommandostandes: Selbst einfache Dinge erfordern den Hochformat-Touchscreen. Das kann man mögen – muss man aber nicht.

Reichlich Platz vorne wie hinten

Der aufgeräumte Kommandostand erfodert viel Arbeit am Touchscreen. Foto: Plank

An Platz herrscht – auch dank 3,10 Metern Radstand – keinerlei Mangel. Schon gar nicht im Fond. Schließlich sitzen Vertreter der ersten Reihe gerne in der zweiten. Nicht nur im Reich der Mitte, wo der ES90 gebaut wird. Und so warten ausladendes Gestühl und allerlei Annehmlichkeiten für eine luftgefederte und geräuschgedämmte Wohl-Fahrt. Hübsches Detail: Die gewaltige Überkopf-Verglasung lässt sich elektrisch zwischen klar und blickdicht dimmen. Wer lieber Last transportiert als Leute: Der Kofferraum fasst 500 Liter, mit umgeklappten Lehnen packt der ES90 immerhin 1,25 Kubikmeter weg – wenn auch bauartbedingt in der Höhe beschränkt. Einen großen Frunk gibt es obendrein.

Zur Wahl stehen drei Antriebsvarianten. Das Basismodell mit Heckantrieb und 88-kWh-Akku (netto) bringt es auf 245 kW (333 PS) an der Hinterachse, einen Standard-Spurt in 6,9 Sekunden und eine Reichweite von 650 Kilometern. Darüber warten Kraft an zwei Achsen und eine Batterie mit 102 kWh – in der zahmeren Version mit 330 kW (450 PS), 700 Kilometern Radius und 5,5 Sekunden bis zur dreistelligen Tachoanzeige. Das ebenfalls zweieinhalb Tonnen schwere Top-Modell „Performance“ braucht 1,5 Sekunden weniger, hat aber auch 500 kW (680 PS) zu Verfügung. So oder so riegeln alle drei bei Tempo 180 ab. Der Sicherheitsgedanke fordert es so.

Wie auch immer man bei der Distanzbewältigung zu Werke geht – irgendwann ist der Saft alle. Am Gleichstromlader lässt sich bei 350 kW (Heckantrieb 300 kW) in zehn Minuten Strom für 300 Kilometer ziehen, das Laden von 10 auf 80 Prozent dauert 20 Minuten. Nicht ganz so flott zeigt sich der ES90 an der Wallbox. Mit technisch bescheidenen 11 kW verstreichen für eine Komplettfüllung zähe zehn Stunden. Immerhin treten die Nordmänner im Premium-Segment an und müssen Marktanteile vorrangig denen abjagen, die im Wappen Stern, Ringe oder Weiß-Blau tragen.

Mit Heckantrieb ab 71.990 Euro

Ehrenplatz für den Ahnherrn: Volvo 780 im Bertone-Design. Foto: Volvo

Gedacht ist der ES90 für Kunden, die das Individuelle lieben, Premium erwarten – und im Gegenzug nicht knausern. Ab 71.990 Euro öffnen sich die massiven Türen für die Basisversion, Allrad-startet bei 88.990 Euro, und für das Top-Modell „Performance“ rufen die Schweden mindestens 94.490 Euro auf. Mit ein bisschen Schnick und Schnack kann es auch sechsstellig werden.

Und wie geht es weiter bei Volvo? Erik Severinson findet zur aufflammenden Diskussion um EU-Grenzwerte und Strafzahlungen klare Worte. „Es wäre besser gewesen, die ursprüngliche Regelung beizubehalten“, sagt der Strategievorstand. Gleichwohl sieht er im E-Auto die Zukunft. „Schon weil es im Winter immer startet…“. Den Humor kann ihm die EU-Kommission nicht verderben – allerdings könnte die CO2-Debatte ein Upgrade im Portfolio der Plug-in-Hybriden zur Folge haben. Soll heißen: Elektrisch ja – aber abhängig von Größe und Fahrzeugsegment. „Man kann nicht alle Pferde in jedem Rennen haben.“

Das gilt womöglich auch für eine Huckepack-Version des ES90. Ein Bekenntnis für sie will Severinson jedenfalls nicht ablegen – trotz aller Erwartungen in der Kombi-Nation Deutschland. Das sei halt eine sehr begrenzte Liebe, sagt er. Immerhin: Ein klares Nein klingt anders. Und vielleicht hat die Tradition ja noch eine Chance.

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