Das unfallfreie Fahren in der Zukunft ist laut den Sicherheitsexperten des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) in absoluten Zahlen nicht erreichbar. Das automatisierte Fahren wird die Zahlen der Verkehrstoten reduzieren, auch wenn damit neue Probleme im Verkehr auftauchen werden.
Die Vision Zero – das unfallfreie Fahren ohne Verkehrstote – haben sich zahlreiche Autohersteller oder Zulieferer auf die Fahnen geschrieben. Auch die VDI-Sicherheitsexperten hängen dem Ziel hinterher und haben das 2011 in der so genannten „Berliner Erklärung“ nicht nur dokumentiert. Die Ingenieure wollen aktiv den Vorgang begleiten, den die Bundesregierung mit dem Ziel, zwischen 2010 und 2020 die Zahl der Verkehrstoten zu halbieren, vorgegeben hat. Wie so manches in den letzten Jahren vorgegebenes Ziel sehen die Experten auch diese Vorgabe in Gefahr.
„Im letzten Jahr wurden 3206 Verkehrstote gezählt. Die Anzahl der Toten hat sich in den letzten sieben Jahr um lediglich 448 Opfer reduziert. In den sieben Jahren davor waren es über 2200 Verkehrstote weniger“, sagt Rodolfo Schöneburg. Der Vorsitzende der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik und Centerleiter Sicherheit bei Daimler benennt mehrere Faktoren für die Stagnation bei der Senkung der Verkehrsopfer, obwohl die „Fahrzeuge durch Fahrassistenzsysteme immer sicherer werden.“
Menschliches Versagen als Hauptursache für Unfälle
Die Unfallursache ist dabei in 90 Prozent aller Fälle menschliches Versagen. So stirbt jeder zehnte Verkehrsteilnehmer durch Ablenkung, jeder fünfte Getötete ist ein Gurtmuffel, was natürlich auch eine spezielle Art des menschlichen Versagens bereits vor dem Starten des Motors darstellt.
Zudem ist der Bestand der älteren Fahrzeuge sehr hoch. „Die Fahrzeuge werden immer älter, der Durchschnitt liegt derzeit bei 9,3 Jahren“, so Schöneburg weiter. Und gerade ältere Fahrzeuge sind in Unfälle mit Toten verwickelt. Dabei hält sich die Zahl der Toten innerhalb und außerhalb des Fahrzeugs die Waage, die Zahl der außerhalb der Fahrgastzelle befindlichen Personen steigt aber an.
Das liegt auch daran, dass immer mehr Verkehrsteilnehmer vom Auto auf das Fahrrad umsteigen oder zu Fuß gehen. Besonders deutlich wird dieses bei der Verdoppelung der Toten bei Unfällen mit Pedelecs. „Knapp 70 Pedelec-Fahrer starben von Januar bis September 2017“, so Schöneburg.
Trendwende durch automatisierte Fahrzeuge
Eine Trendwende sehen die Experten in der beginnenden Automatisierung der Fahrzeuge. „Der Grad der Fahrassistenzsysteme wird sich stark erhöhen“, sagt Jürgen Bönninger. Der Geschäftsführer der Fahrzeugsystemdaten, Zentrale Stelle, Dresden, stellt dabei die Bedingung, dass die Fahrzeuge dann besser agieren als der Durchschnittsfahrer in Deutschland, dem er ein gutes Zeugnis ausstellt.
Die Erhöhung des Grades der Fahrassistenzsysteme werde sich aber hinziehen. Bönninger rechnet damit, dass im Jahr 2030 15 Prozent der Fahrzeuge fahrerlos im so genannten Level 3 unterwegs sein werden. Im insgesamt auf fünf Stufen angelegten Tableau, wobei die höchste Stufe das Fahren ohne jegliches Eingreifen des Fahrers darstellt, hat Audi mit dem neuen A8 einen Staupiloten auf Basis von Level 3 eingeführt. Bis weitere Systeme für andere Verkehrssituationen Einzug ins Fahrzeug halten, wird es laut der Experten noch dauern, auch wenn Hersteller und Zulieferer gerne etwas eiliger zum Abschluss kommen würden.
Neben den 15 Prozent werden in rund zwölf Jahren 50 Prozent des Gesamtbestandes Fahrassistenzsysteme an Bord haben. Der Rest fällt unter die älteren Fahrzeuge, die ohne Assistenzsysteme unterwegs sein werden. „Wir werden einen Mischverkehr haben“, so Bönninger weiter.
Probleme durch Mischverkehr
Und gerade dieser Mischverkehr werde neue Probleme nach sich ziehen, sagt Steffen Müller. Der Dozent von der TU Berlin, Fachgebiet Kraftfahrzeuge, sieht „Probleme zwischen automatisierten und nicht-automatisierten Fahrzeugen.“ Zugleich zweifelt Müller daran, in wie weit die zur Verfügung stehenden Systeme auch genutzt werden. „Die automatisierten Fahrzeuge sind defensiv eingestellt. Gerade bei Autobahnauffahrten werden sie das Auto nicht in den laufenden Verkehr integrieren und sind dann nicht mehr nutzbar.“ Ausgeschaltet aber können sie auch nicht mehr für die maximale Sicherheit garantieren – geschweige denn eine Vision Zero.
Und so sehen sich die Experten der Berliner Erklärung laut Schöneburg auf dem „Weg in die Region von wenigen Unfällen.“ Angesichts des Standards der aktuellen Fahrsicherheitssysteme könnte ein Transfer in andere Länder die Zahlen signifikant sinken lassen. „In Indien starben letztes Jahr 150.000 Menschen im Straßenverkehr, weltweit 1,3 Millionen“, so Schöneburg, der einen „stufenweisen Ansatz in Richtung der sicheren Verkehrsführung“ sieht, „eine absolute Null werden wir aber nie erreichen.“ Die Vision Zero bleibt eine Vision.