VW Passat: Langsamer Abschied eines Bestsellers

VW Passat: Langsamer Abschied eines Bestsellers
Der VW Passat: Zwischen beiden Modellen liegen 45 Jahre. © SP-X

Der VW Passat wird seit mittlerweile 45 Jahren gebaut. Er gehört zu den Bestsellern der Wolfsburger. Doch wie lange wird es ihnen noch geben?

Eigentlich ist der VW Passat im besten Alter. Gebaut seit 1973 fährt er geradewegs auf ein halbes Jahrhundert Automobilleben zu. Das Konzept der geräumigen Familienkutsche, des praktischen Firmenwagens und langstreckentauglichen Außendienstfahrzeugs vereint in einem Auto, repräsentativ genug, aber ohne Neider, war Jahrzehnte ein Erfolgsgarant.

Und doch erlebt die Wolfsburger Mittelklasse nun so etwas wie eine Midlife-Crisis. Seit einigen Jahren lahmt die Nachfrage, Käufer bevorzugen modische SUV. Ab 2022 wird der Passat nun in Tschechien gebaut, damit im Stammwerk Emden Kapazitäten für Elektroautos frei werden. Rollt der Bestseller seinem Ende entgegen? Höchste Zeit, ganz alt und ganz neu noch einmal zu fahren.

VW Passat kostetet 1974 9600 Mark

Bis auf die 70er-Jahre-Lackierung in moosgrün-metallic wirkt der Passat Baujahr 1974 (damaliger Neupreis: 9600 Mark) mit seinen wenigen, geraden Linien, Schrägheck und zwei Türen für sich allein recht zeitlos. Parkt man aber die aktuell achte Generation Nachfolger daneben, wird der Moosgrüne schlagartig zum Uropa: Zierlich, fast gebrechlich wirkt er neben seinem massigen, deutlich rundlicherem Enkel mit vier Türen (weniger gibt es seit Jahrzehnten nicht mehr), der den Urvater mit 4,77 Metern Länge um weit mehr als einen halben Meter überragt – selbst ein heutiger Golf ist länger als diese blecherne Reminiszenz an die 70er Jahre.

Der erste Passat kostet unter 10.000 Mark. Foto: SP-X

Die Ära setzt sich im Oldie stilistisch innen fort, in ihrer ganzen Spießigkeit – auch das ist ein Begriff, den mancher mit dem Passat verbinden mag: braune Teppiche, Sitzpolster und Plastik-Verkleidung in beige. Das Armaturenbrett ziert eine aufgeklebte Holzfolie, sie gehörte zur Ausstattung „L“, ebenso wie Zigarettenanzünder und eckige Scheinwerfer. Ein Radio gehörte nicht dazu, deshalb hat dieses Exemplar auch keines. Nein, mangels DIN-Schacht auch kein nachgerüstetes. Heute nicht mehr vorstellbar, aber der beim Erwerb 69 Jahre alte Neuwagenkäufer hatte offenbar andere Prioritäten.

Lange Schaltwege inklusive

Beim Anlassen schüttelt es den 1,3-Liter-Benziner, bleibt man nicht leicht am Gas, geht er gleich wieder aus. Das Gangeinlegen mit dem langen Schaltstock braucht etwas Gefühl, die Schaltwege sind lang. Der erste Gang taugt zum Anrollen, im dritten geht es für die mickrigen 40 kW/55 PS der Basisvariante flott nach vorn. Im Stadtverkehr reicht das für fröhliches Mitschwimmen, während man sich von Auto und Sitzen durchschaukeln lässt und den Blick aus den aus heutiger Sicht riesigen Fenstern genießt.

Vor allem die Heckscheibe hätte wohl heute den Zusatz „Panorama“ verdient.
Jenseits der Stadtgrenze fühlt man sich wenig spritzig motorisiert, was aber auch am hohen Drehzahlniveau liegt: Denn zwischen spätestens 70 km/h und der Höchstgeschwindigkeit von 145 km/h muss der vierte Gang übersetzen. Einmal warm gefahren brummt der Motor dabei laut, aber zufrieden.

Passat setzt Standards in Mittelklasse

Gut vier Jahrzehnte Fahrzeugentwicklung später ist davon natürlich nichts mehr zu spüren, ein heutiger Passat setzt Langstrecken-Standards in der Mittelklasse. Derzeitiger Basismotor ist der 150 PS starke 1,4-Liter-Vierzylinder-Turbobenziner, der die Limousine ausreichend souverän anschiebt, das Sechsgang-Schaltgetriebe führt locker durch die Gassen. Wenn der Urgroßvater seine Maximalgeschwindigkeit erreicht, reist es sich im Urenkel erst richtig angenehm. Während das gefederte, leicht durchgesessene Gestühl des Gevatters nach längerer Fahrt für Verspannungen sorgt, bietet die aktuelle Generation Komfortsitze mit (auf Wunsch ab 190 Euro) Massagefunktion.

Der VW Passat hat das Mittelklasse-Segment bestimmt. Foto: SP-X

Selbst die Zahl der Ablagen – das 70er-Jahre-Modell hat exakt ein Fach links unterhalb des Lenkrades – hat sich in den vergangenen 45 Jahren vervielfacht. Radio und Klimaanlage sind heute selbst in der einfachsten Version selbstverständlich im Preis von mindestens 31.975 inklusive. Die verzinkte Karosserie schützt den Mittelklässler wirkungsvoll vor Durchrostung, das sensible Ur-Passat-Blech will lieber nur noch im Sonnenschein gefahren werden. Eines hat der Oldtimer dem Neuwagen allerdings voraus: Blickt man aus den großen Fensterflächen, hat man in jede Richtung die beste Übersicht, im Passat B8 ist – wie bei den meisten neuen Autos – die Sicht nach hinten deutlich eingeschränkter.

Vielzahl von Assitenzsystemen

Dafür unterstützt neuste Technik den Fahrer: Rückfahrkamera, Querverkehrswarner oder Parklenkassistent beim Rangieren, Totwinkelwarner, adaptiver Tempomat oder Notbremssystem mit Fußgängererkennung beim Fahren. Wie komfortabel und unaufgeregt im besten Sinn Autofahren sein kann, wird einem beim direkten Umstieg von alt auf neu vor Augen geführt. Der High-Tech-Passat von heute ist mehr denn je unauffälliger wie praktischer Begleiter in allen Lebenslagen. Dass es für so ein Allroundtalent irgendwann keinen Markt mehr geben sollte, kann man sich kaum vorstellen. (SP-X)

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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1 Kommentar

  1. Das „Fahrzeug“ Passat ist immer noch gefragt, aber eben in seiner ursprünglichen Form.
    Wenn man zurückblickt und sieht, das der Golf vom Polo und dann vom Up beerbt wurde, dann ist eben klar das oben ein Modell raus fällt.
    Ist bei den anderen ähnlich, Kadett, Corsa; Karl, oben stirbt es dann ab.

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