Autobauer drängen nach Russland

Das eigene Auto steht in Russland auf der Konsumliste ganz oben. Der Markt wächst rasant an – zum Nachteil der einheimischen Hersteller.

Von Friedemann Kohler

«Welcher Russe fährt nicht gerne schnell?», fragte schon der Schriftsteller Nikolai Gogol. Eigentlich liebt jeder Russe die flotte Fortbewegung, was den Automarkt im größten Land der Welt boomen lässt. 2005 wurden in Russland 1,64 Millionen Neuwagen verkauft. Für 2010 erwartet die Branche 1,8 Millionen Verkäufe. Dabei wollen viele Russen nicht mehr in ihre unzuverlässigen Lada oder Wolga steigen, der Anteil ausländischer Firmen wächst zu Lasten der einheimischen Hersteller.

Zwei verschiedene Wege

Ausländische Hersteller stehen vor der Wahl, Autos nach Russland zu exportieren, was mit hohen Zöllen bestraft wird, oder im Land selbst zu produzieren. Im Rennen um Marktanteile gilt, was einst Generalsekretär Michail Gorbatschow prophezeite: «Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.»

Fast jede Woche unterzeichnen ausländische Autohersteller Verträge über den Bau von Montagewerken in Russland. Nach Volkswagen und General Motors Ende Mai war am Dienstag der japanische Autobauer Nissan an der Reihe. «Es gibt eine Chance, bis Jahresende noch drei bis fünf weitere Verträge zu schließen», sagte Wirtschaftsminister German Gref in Sankt Petersburg.

Russland noch untermotorisiert

Mit 147 Autos auf 1000 Einwohner, so schätzt die Weltbank, ist Russland immer noch untermotorisiert. Die Erfahrung zahlloser frisch gebackener Moskauer Autobesitzer spricht der Statistik aber Hohn: Die Freude am neuen Wagen vergeht im Dauerstau der russischen Hauptstadt, deren Straßen nicht auf den Zuwachs ausgelegt sind.

Trotzdem steht das eigene Auto ganz oben auf der Konsumliste der wachsenden russischen Mittelklasse. Die Realeinkommen sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Auch das für Russland noch neue Finanzinstrument privater Ratenkredite kurbelt den Verkauf an. Von 2004 bis 2010 werde sich das Volumen des Automarktes Russland auf 24 Milliarden Euro verdoppeln, schätzt die Moskauer Marktforschungsfirma ASM-Holding.

VW spät dran

Die russische Regierung fördert Montagefabriken für ausländische Autos mit Zollnachlässen auf importierte Teile. Nach diesem Modell arbeitet das Werk Awtotor in Kaliningrad (früher Königsberg), das aus Originalteilen Wagen der Marken BMW, KIA, Chevrolet und Hummer fertigt.

Für VW als Europas größtem Massenhersteller kommt der Einstieg in eine eigene Montage in Russland fast schon zu spät. Mit 13.200 verkauften Einheiten 2005 (Angabe nach Global Insight) lag der Marktanteil unter einem Prozent. VW-Chef Bernd Pischetsrieder will ihn auf zehn Prozent steigern.

Lada mit Umsatzverlust

Die erfolgreichen Fabriken in Russland fertigen ihre Wagen komplett einschließlich der Karosserien: Ford bei St. Petersburg, Renault in Moskau, Hyundai in Taganrog. GM baut eine Fabrik bei St. Petersburg, um nicht mehr auf das problembeladene Gemeinschaftsunternehmen mit Awtowas (Lada) angewiesen zu sein.

Beim Marktführer Lada gingen die Neuzulassungen von 757.000 im Jahr 2004 auf 736.000 im vergangenen Jahr zurück. Der russische Staat will die angeschlagene einheimische Autoindustrie durch Bündelung aller Hersteller unter dem Dach des Rüstungskonzerns Rosoboronexport flottmachen.

Doch selbst im Billigsegment zwischen 5000 und 10 000 Dollar bekommen die Russen Konkurrenz von Autos wie dem Dacia Logan und möglicherweise dem Gol von VW. Auch der chinesische Kleinwagenhersteller FAW hat in der Stadt Bijsk in Sibirien eine eigene Produktion aufgemacht. (dpa)

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