Von der «Pommestheke» zum Kultmobil

Klassiker des Autotunings

Das Tuning eines Autos kann zu einer peinlichen Sache werden. Wer zu sehr in die Bastelkiste greift, gerät dank monströser Heckflügel schnell in die Prolo-Ecke.

In einem getunten Auto herumzufahren, konnte in den Anfangsjahren des Tuning-Booms eine hochnotpeinliche Angelegenheit sein. Denn die ab den 70er Jahren angebotenen Bastler-Bausätze verwandelten so manch biederen Serien-Golf, -BMW oder -Mercedes dank monströser Heckflügel und «dicker Backen» in ein skurriles Krawallmobil. Doch was damals als prollig verschrien war, hat heute Kultcharakter: Die ersten Komplettumbauten gehen längst als Youngtimer durch und sind wegen ihrer Ausgefallenheit und geringen Stückzahl bei Liebhabern begehrt.

Nicht hoffähig«

»Das ist eine Szene, die in den letzten Jahren immer interessanter geworden ist«, bestätigt Frank Wilke vom Marktbeobachter Classic Data in Castrop-Rauxel. »Noch vor gar nicht so langer Zeit galt Tuning im Klassiker-Bereich als «nicht hoffähig». Inzwischen sei das Thema «absolut etabliert», sagt Wilke - nicht zuletzt deshalb, weil die 70er- und 80er-Jahre-Autos weit verbreitet sind und man mit einem getunten Exemplar aus der Masse der 08/15-Youngtimer hervorsticht.

Frank Wilke verweist in diesem Zusammenhang auf die Kotflügel-Verbreiterungen von Abt für den Ur-GTI oder die berüchtigten «Pommestheken»-Heckspoiler der Mercedes-Modelle von Koenig Specials. Auch die von Alpina veredelten BMW oder von verschiedenen Tunern verspoilerten Opel Manta zählen inzwischen zu Tuning-Klassikern.

Bei Abt in Kempten ist man noch heute stolz auf den «Breitbau»-Golf von 1982, mit dem das Tuning-Geschäft laut Sprecher Florian Büngener Anfang der 80er Jahre erst so richtig losging. Auffälligstes Merkmal des brettharten Fahrzeugs auf Basis des Ur-GTI von Volkswagen sind weit ausgestellte Radhäuser, in denen 13-Zoll-Räder mit 205er-Walzen steckten. Unter der Haube montierte Abt einen Abgasturbolader, der dem Vierzylinder-Motor statt der werksseitigen 81 kW/110 PS satte 120 kW/163 PS einblies.

Rote Sau

Bei Mercedes-Werkstuner AMG startete das Tuning-Geschäft Mitte der 70er Jahre, nachdem das Unternehmen 1971 mit dem 300 SEL 6.3 - der sogenannten «roten Sau» - im Motorsport für Furore gesorgt hatte. Einen wichtigen Meilenstein markiert hier der 190 E 2.3 von 1983: Den mit Anbauteilen eher dezent aufgemotzten «Baby-Benz» trieb ein 118 kW/160 PS starker Vierzylinder an. 1988 schob AMG beim 190er einen 172 kW/234 PS starken Sechszylinder nach. Deutlich bulliger gingen die getunten Achtzylinder-Aggregate zu Werke, die unter der Haube des Oberklasse-Coupés 500 SEC AMG steckten: Sie kamen auf 250 kW/340 PS.
Während sich AMG karosseriemäßig eher zurückhielt, wählte Tuner Koenig einen anderen Weg: Die Coupés, SL-Roadster und Limousinen von Mercedes erhielten weit ausgestellte Kotflügel, wuchtige Schürzen und ausladende Heckflügel, mit denen sich der Fahrer ungeteilter Aufmerksamkeit anderer Verkehrsteilnehmer gewiss sein konnte.

Billig waren die Tuning-Kisten damals keineswegs. Kostenpunkt des GTI-Komplettumbaus von Abt waren damals etwa 15 000 Mark - das Basisfahrzeug nicht mitgerechnet. Das ist fast so viel, wie VW für das Serienmodell verlangte - es stand mit 19 725 Mark in der Liste. Heute müssen Liebhaber für einen gut erhaltenen Abt Turbo laut Frank Wilke immerhin noch rund 12 000 Euro einkalkulieren. Ein Sechszylinder-AMG 190 E 3.2 mit Zustandsnote 2 kostet etwa 11 800 Euro. Ein entsprechender Alpina B6 2.8 wird zu Preisen ab 15 000 Euro gehandelt, ein Irmscher Opel Manta i200 zu Preisen ab 7000 Euro.

Das heißt, sofern Interessenten bei den wenigen erhaltenen Exemplaren überhaupt fündig werden, denn nicht nur von den Breitbau-GTI sind kaum mehr welche vorhanden. «So weit ich weiß, kann man die heute an einer Hand abzählen», sagt Florian Büngener. Denn aus den Abt-Hallen rollten damals nur 50 Komplettfahrzeuge. Hinzu kommen rund 130 Autos, die ohne Karosserie-Modifikationen nur zum Turbo aufgerüstet wurden. Viele hat inzwischen der Rost dahingerafft.

Gute Preise

Der «extreme Seltenheitsgrad» dieser Autos ist ein Grund, warum sie heute so wertvoll sind, erläutert Dieter Ritter vom Automobilclub AvD in Frankfurt/Main. Die Autos seien auf dem Markt kaum zu bekommen. «Wer eins hat, behält es», sagt der Youngtimer-Experte. Es sei daher durchaus üblich, dass ein Käufer für einen gut erhaltenen Tuning-Klassiker noch die Hälfte des Durchschnittspreises, der für das Basismodell verlangt wird, drauflegen muss. «Man kann bei den Fahrzeugbaureihen folgende Preissteigerung erkennen: Limousine, Coupé, Kombi - und dann kommen die Getunten», sagt Ritter.

Da kann sich glücklich schätzen, wer so ein Schätzchen in der Garage stehen hat. Doch die Tatsache, dass ein Tuning-Klassiker eine ausgesprochene Rarität darstellt, bringt für die stolzen Besitzer auch Schwierigkeiten mit sich: «Es gibt Null Ersatzteile», erzählt Dieter Ritter. «Nehmen wir an, Sie haben einen schönen Heckspoiler und es nagelt Ihnen einer ins Heck - dann haben Sie ein Problem!» (dpa/tmn)

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