Mit dem Streetkart fünf Zentimeter über dem Asphalt

Knapp 90 km/h schnell

Kartbahnen sind in den letzten Jahren viele entstanden. Noch recht unbekannt ist dagegen eine reizvolle Alternative – mit dem Kart über öffentliche Straßen zu heizen.

Von Thomas Flehmer

Auf dem Kart machten die meisten Formel 1-Fahrer ihre ersten Erfahrungen mit motorisierten Fahrzeugen. Egal ob Michael Schumacher oder Sebastian Vettel - sie alle jagten zuerst mit den Stahlgestellen mit Verbrennungsmotor über die kleinen Rennstrecken und sammelten so erste Eindrücke mit etwas höheren Geschwindigkeiten. Nicht zuletzt durch den siebenmaligen Formel 1-Weltmeister entstanden im letzten Jahrzehnt mehr Kartbahnen im Bundesgebiet als der FC Bayern München Meistertitel sammeln konnte. Fast gänzlich unbekannt dagegen ist, dass die rund 136 Kilogramm schweren Karts unter bestimmten Voraussetzungen auch für den Straßenverkehr geeignet sind.

Mix aus Sitzen und Liegen

So sind insgesamt 16 Fahrzeuge in Berlin zugelassen, den Potsdamer Platz gerade mal fünf Zentimeter über den Asphalt quasi aus der Froschperspektive zu besuchen. Lediglich drei Karts befinden sich in privater Hand, den Rest teilen sich drei Unternehmen, die die mit Nummernschild versehenen Vierräder vermieten. "Die Nachfrage nimmt von Woche zu Woche zu", sagt Patrick Neumeister. Der hauptberuflich als Techniker im Kanzleramt arbeitende 23-Jährige führt seit März diesen Jahres das Unternehmen "Streetkarts Berlin" im Außenbezirk Heiligensee. Er selbst wurde über das Internet aufmerksam, ging zu einem Händler und war von der Idee so begeistert, dass er sein eigenes Unternehmen samt Werkstatt aufmachte.

Insgesamt fünf Karts stehen für einen Stundenpreis zwischen 30 und 35 Euro inklusive Benzin zur Ausfahrt bereit. "Der 4,4-Liter-Tank reicht für 70 bis 80 Kilometer, je nach Fahrweise", sagt Neumeister. Ganz klar, dass zumeist die untere Verbrauchsgrenze angepeilt wird, sobald der linke Fuß an der Bremse und der rechte Fuß sprichwörtlich am Gas hängt. Denn um das 2,08 Meter lange Kart zu steuern, ist ein Mix aus Sitzen und Liegen von Nöten.

Bis zu 88 km/h schnell

Kein Verkehrshinderniss mit fast 90 km/h Foto: AG/Flehmer

Die ungewöhnliche Sitzposition hält aber nicht davon ab, nach Passieren der Stadtgrenze auf der Landstraße möglichst schnell die Höchstgeschwindigkeit zu erreichen. Bis zu 88 km/h sollen die Karts laufen, doch gerade hier kosten dann die sichtbaren Reste der nicht immer gesunden Ernährung des Fahrers die letzten Stundenkilometer.

Denn anders als im Auto zählt bei den kleinen Stahlrössern das Gewicht doppelt. Immerhin bis zu 84 km/h zeigte der hinter dem Lenkrad angebrachte Tacho an. Es kann aber sein, dass es auf dieser Strecke ein wenig bergab ging.

3000 Euro pro Kart

Eventuelle Blessuren werden erst beim Aussteigen bemerkt Foto: Streetkart Berlin

Zudem kosten die nicht immer glatten Straßen weiteren Speed. Die sehr direkte Lenkung gibt ebenso jede Bodenwelle weiter, wie die vier Reifen aus Hartgummi. Doch ein gut gepolsterter Sitz fängt die Stöße relativ gut ab, sodass man keine Angst vor blauen Flecken am verlängerten Rückgrat haben muss.

Eventuelle Schmerzfaktoren werden aber erst nach dem Aussteigen bemerkt. Denn der Spaßfaktor mit den rund 3000 Euro teuren Einzylindern ist riesig. Es macht eine Heidenfreude, fünf Zentimeter über den Asphalt die Landstraßen entlangzusteuern. Und da ist das Alter egal. Zwischen 19 Jahre und 53 Jahre alt waren bisher die Kunden, die lediglich den Führeschein Klasse 3/B auf den Tresen legen müssen plus 150 Euro Kaution. Ein Helm wird gestellt, Handschuhe sind je nach Wetterlage keine schlechte Alternative.

Kurze Knautschzone

Recht hoch ist dabei auch der Faktor des Auffallens. Viele Spaziergänger drehen sich um und schauen den 13 PS starken Karts hinterher. Trotz des Sehen- und Gesehen-Werdens hat Neumeister seine Fahrzeuge mit Deutschland-Fahnen ausgestattet, die am Ende einer rund zwei Meter langen Stange befestigt sind, um auch den anderen Verkehrsteilnehmer die Anwesenheit anzuzeigen.

Denn der Spaß ist nicht ganz ungefährlich. Erst vor kurzem ist in Berlins Mitte ein Kartfahrer ums Leben gekommen, weil er von einem anderen Verkehrsteilnehmer schlicht und einfach übersehen wurde. Neumeister weiß darum und nimmt diesen Vorfall auch in die Einweisung der Kart-Freunde mit hinein. "Danach passen die Kunden auch auf. Denn so viel Knautschzone gibt es nicht." Und die mögliche spätere Karriere eines neuen Schumachers oder Vettels wäre dann auch sehr schnell beendet.

Vorheriger ArtikelSaab 9-3 erhält Elektro-Power
Nächster ArtikelDoppelantrieb für Fiat Doblo
Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

Keine Beiträge vorhanden