Die LiveWire S2 Del Mar bietet eine Menge Fahrspaß – aber das hat seinen Preis. Und viel Reichweite bringt das Elektro-Bike leider auch nicht mit.
Motorräder mit einem mehr als 18 Zoll großem Hinterrad gab es seit vielen Jahren nicht mehr; mit dieser Regel bricht die elektrische LiveWire S2 Del Mar. Beide Leichtmetall-Gussräder haben einen Durchmesser von 19 Zoll, wobei die hintere Felge etwas breiter ausfällt und deshalb auch der Hinterreifen etwas breiter ist.
Die ungewöhnliche Rad-Dimensionierung ist aber nur ein Element, das den amerikanischen Roadster mit der recht breiten Lenkstange und den Lenkerendenspiegeln optisch höchst eigenständig erscheinen lässt. Das zweite ist die zum Teil blankgefräste Verrippung des Batteriepacks: Unübersehbar trägt das US-Elektromotorrad – LiveWire ist die Elektro-Marke von Harley-Davidson – sein Antriebsmerkmal zur Schau.
LiveWire mit geringem Gewicht
Nicht sichtbar sind im Stand die herausragende Fahrdynamik und der daraus resultierende Fahrspaß des Elektroflitzers. Mit dem vergleichsweise niedrigen Gewicht von 198 Kilogramm hat der in der Spitze 84 PS leistende E-Motor leichtes Spiel, was freilich vor allem am enormen Drehmoment von 263 Newtonmetern liegt. Es ist praktisch jederzeit verfügbar. Da weder gekuppelt noch geschaltet werden muss, genügt stets ein mehr oder minder kleiner Dreh am „Gas“-Griff, um Leistung abzurufen.
Das tut man als Fahrer auf freien Landstraßen gern und oft – mit der fatalen Folge, dass der Fahrspaß zwar enorm groß ist, das Fahrvergnügen dagegen in Richtung kurz tendiert. 111 Kilometer nennt die WMTC-Norm als Reichweite, doch da wir reine Landstraßentests ohne nennenswerten Stadtverkehrsanteil durchführten, blieben wir zumeist unterhalb dieses Werts.
Mustergültiges Fahrverhalten
Die Fahrten selbst liefen höchst vergnüglich ab: Das Fahrverhalten der Del Mar ist mustergültig, die Kurvenstabilität wie die Schräglagenfreiheit hoch, der Grip der speziell entwickelten Dunlop-Pneus ist es nicht minder. Da auch die Bremsleistung – vorne und hinten agiert je eine Scheibe, vorne mit Vierkolbenzange – voll zufriedenstellt und das ABS auch die Disziplin „Bremsen in Schräglage“ beherrscht, ist alles bestens angerichtet, um die gebotene Fahrdynamik auch genießen zu können.
Allerdings sollte die Straßenoberfläche nicht allzu narbig sein; die Federungsreserven sind sparsam bemessen, da helfen auch vielfältige Einstellmöglichkeiten an Showa-Gabel und Federbein nichts. Zur Wahl stehen drei fixe und zwei individualisierbare Fahrmodi. Rain spielte für uns keine Rolle, Road ist Standard. Zeigt das kreisrunde Zentralinstrument ein rotes „S“, gilt „Feuer frei“, stets abgesichert durch eine schräglagenaktive Traktionskontrolle.
Die Fortbewegung der Del Mar verläuft vollkommen lässig und so zügig, dass der Fahrer eines Verbrenner-Vergleichsmotorrad (900 ccm, gleiche Motorleistung wie die S2) aus sehr engen Kurven heraus stets den zweiten Gang ausdrehen muss, um an der LiveWire näherungsweise dranzubleiben. Was bei der Del Mar „mit links“ erledigt wird, erfordert beim Verbrennerbike volle Konzentration aufs Vorwärtskommen. Und während das Vergleichs-Motorrad zwingend den Führerschein A erfordert, darf die LiveWire auch mit der A2-Lizenz gefahren werden. Enorm viel Leistung für den eingeschränkten Schein steht da zur Verfügung.
Geduld beim Ladevorgang
Hat man den Heimathafen wieder erreicht – auswärts laden geht nur, wenn der Fahrer das unhandliche Ladekabel im Rucksack mitschleppt –, kommt die Del Mar an die Haushaltssteckdose. Saft für 28 Kilometer lädt sie laut Anzeige (anfangs) pro Stunde; dieser Wert sinkt aber später. Neun Stunden vergehen, dann zeigt das Zentraldisplay „voll“ und „182 Kilometer“ mögliche Reichweite an. Nun ja, wir endeten, wie gesagt, stets bei rund der Hälfte. Freilich kann man die Del Mar auch im Eco-Mode betreiben, dann rekuperiert sie stärker und kommt etwa 10 bis 15 Prozent weiter. Freilich leidet darunter der Fahrspaß. Wer defensiv fährt und im Verkehr mitrollt, kann mit der Del Mar sogar mehr als 150 Kilometer schaffen. Das ist dann die vernunftorientierte Fortbewegung, beispielsweise auf den Arbeitswegen.
In unseren Augen ist diese LiveWire als vernunftbetontes Transportmittel aber weder von ihren fantastischen Fahreigenschaften noch vom Preis (ab 18.500 Euro) her geeignet. Sinnvoll können sie sicherlich jene einsetzen, die mit einer A1-Lizenz ein hochpotentes Fahrzeug pilotieren wollen und kein Interesse an weiten Distanzen haben. Sie genießen sicherlich auch die vielfältigen Konnektivitätsaspekte, denn auch damit kann die Del Mar aufwarten; der Bordcomputer in Zusammenarbeit mit dem kreisrunden, dezent und übersichtlich gestalteten Display sowie dem Tempomaten überzeugt. Das ist bester Harley-Standard.
Es bleibt abzuwarten, wie die potenziellen Kunden – primär wohl technologieaffine, gutverdienende junge Männer – auf die optisch attraktive LiveWire S2 Del Mar anspringen. Sie ist schnell und leicht zu handeln, aber mit unkomfortablen Sitz und eher hartem Fahrwerk. Das Manko der kurzen Reichweite bei fahraktivem Einsatz muss man halt akzeptieren können. (SP-X)