Vernetzung: Deutsche Streifenwagen sind von gestern

Vernetzung: Deutsche Streifenwagen sind von gestern
Der Polizeiwagen wird zur vernetzten Einsatzzentrale mit einer Drohne auf dem Dach. © SP-X

Polizeiwagen repräsentieren gerne die Hersteller des Bundeslandes. Unterm Blaulicht indes findet sich Jahrzehnte an digitalem Rückstand.

Gerade war es mal wieder so weit: Das „Innovation Lab des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste“ von Nordrhein-Westfalen hat das Konzept eines neuen Streifenwagens präsentiert. Schick, klimaneutral in einem edlen vollelektrischen Audi Q4 e-tron. Drinnen steckt noch einmal für 90.000 Euro digitale Technik und superschneller 5G-Mobilfunk, der die Beamten an Bord ganz fix mit der Zentrale vernetzen sollen. Alles von der Behörde selbst entwickelt – und so ganz sicher niemals auf einer Straße zwischen Rhein und Weser zu sehen. Der Audi ist für den Bedarf der Verbrecherjäger schlicht zu eng.

Begrenzt ist zuweilen aber auch der Horizont der Macher. Denn ob in Sachsen, Bayern oder Bremen, bei Feuerwehr oder Notärzten – überall in Deutschland wird am Einsatzwagen der Zukunft munter aneinander vorbei entwickelt. Sicherheit ist schließlich im Wesentlichen Ländersache. Und das soll auch in den entsprechenden Fahrzeugen so sein.

Karosse hui, der Rest pfui

Die deutsche Polizei wählt gerne Modelle aus dem Heimat-Bundesland. Foto: VW

Wohl auch ein Grund, warum deutschen Streifenwagen im Gegensatz zu anderen Staaten gern von Premiumherstellern mit Fabriken im jeweiligen Bundesland kommen, kraftvoll und kuschelig ausgestattet sind. Beim Blick in den Kofferraum dagegen liegen dort statt WLAN-Hotspot-Modul nur die Arbeitsmittel aus dem vergangenen Jahrhundert: Nothammer, Verkehrsleitkegel, Maßband oder Fotoapparat. Und im Handschuhfach ruht die Kladde nebst Kugelschreiber – für die Notizen beim Einsatz. Bei den Überstunden auf der Wache kann das Gekritzel dann ja abends in den Computer eingetragen werden.

„Alle Polizisten sollten im Einsatzfall immer auf dem gleichen Stand der Dinge sein, Zugriff auf das gesamte Geschehen haben – und weitestmöglich befreit werden vom Papierkram“, sagt Damien Batey, Vernetzungs-Experte bei Motorola Solutions in Australien. Dort haben die Behörden den digital hochvernetzten Streifenwagen schon eingeführt und reichlich Erfahrungen bei der vernetzten Verbrechensbekämpfung gesammelt. Im Bundesstaat West-Australia, mit 2,5 Millionen Quadratkilometern fast siebenmal so groß wie ganz Deutschland. Streifenwagen dort sind ständig mit Höchstgeschwindigkeit über das Polizei-eigene Netz und 5G-Mobilfunk in Echtzeit verbunden. Das Fahrzeug ist gespickt mit fortschrittlichen Kameras und Videoanalyse-Systemen, Software und spezieller Sprachsteuerung.

Hilfe vom schlauen Streifenwagen

In Streifenwagen anderer Länder gibt es innen längst Hightech. Foto: SP-X

So ein schlauer Streifenwagen hilft den Einsatzkräften aktiv, das Geschehen innerhalb und außerhalb des Fahrzeugs zu beobachten und zu analysieren. Denn das rollende Kommandozentrum ist gleich in zwei Richtungen eingebunden: einerseits zur Leitzentrale und andererseits zu Polizisten, die am Einsatzort nicht im Auto sitzen. Der vernetzte Beamte wird dazu mit zwei High-Tech-Geräten ausgestattet: einem robusten, leichten Funkgerät mit intelligenter Mikrofontechnologie zur Unterdrückung von Hintergrundgeräuschen und einer am Körper getragenen Kamera. Das leichte Kästchen von der Größe einer Zigarettenschachtel streamt bei Bedarf hochwertiges Videomaterial für ein besseres Situationsbewusstsein aller Kolleginnen und Kollegen.

In die andere Richtung ist auch die Leitzentrale stets in Echtzeit auf dem Stand aller Erkenntnisse. Alle Informationen aus dem Feld werden sofort verfügbar, sicher je nach Kundenwunsch in Zentralrechner oder einer Motorola eigenen Cloud gespeichert und können weitergegeben werden, wenn es darauf ankommt. Erfahrungen aus Westaustralien zeigen zudem, dass jeder der mehreren Tausend Polizisten dort am Tag im Schnitt eine halbe Stunde an Büroarbeit spart. Im Einsatz selbst oder bei der Nachbesprechung können zudem Fehler erkannt und Abläufe automatisiert werden.

In Finnland gibt’s Drohnen auf dem Autodach

Auch SUVs sind in den USA als Streifenwagen populär. Foto: Ford

Bei einer Konferenz in Helsinki war die Technik vor einigen Tagen erstmals in Europa zu sehen: „Das Connected Vehicle wird beim Einsatz eine mobile Kommandozentrale mit allen Werkzeugen und Informationen, die alle Beamtinnen und Beamten im Einsatz brauchen, um bessere Ergebnisse für die öffentliche Sicherheit zu erzielen“, sagt Axel Kukuk, Vice-President bei Motorola Solutions Das ist ein Unterschied zu bisherigen Ansätzen, die Fahrzeuge einfach nur mit neuen und besseren Tools wie höher auflösenden Kameras oder besserem Bordfunk zu versehen. In Finnland war ein Volvo sogar mit einer Drohne auf dem Dach ausgestattet, die den Beamten im Auto, auf der Straße und in der Zentrale schnell den Überblick auf eine komplexe Situation gibt.

Was das in der Praxis bringt, erklärt Experte Batey am fiktiven Beispiel eines vermissten Jungen: Ein Beamter in der Zentrale gibt dessen Haarfarbe, Größe und Farbe der Kleidung während des Gesprächs mit der Mutter in seinen Rechner ein. Die KI des Systems scannt automatisch alle in der Umgegend aufgehängten Überwachungskameras. Treffer: Schon nach vier Minuten ist der Vermisste gesichtet, wie er gerade in ein Auto steigt. Das Nummernschild wird automatisch in eine Such-Software eingegeben – und auch Kameras an den Uniformen von Streifenpolizisten und in Polizeiwagen rund um den Ort schalten sich in die Suche ein.

Andere Länder sind deutlich weiter

In den USA sind die Cockpits bereits häufig mobile Einsatzzentralen. Foto: Ford

Mit Erfolg: Nach elf Minuten zeigt die Kamera an einem Streifenwagen, wie das Auto gerade abgestellt wird. Weitere Polizisten und Streifenwagen in der Umgebung bekommen nun den Einsatzbefehl via Mobile App auf ihrem Dienst-iPhone, zeitgleich mit der Navigation zum Ort. Der Rechner im Streifenwagen ermittelt zudem online, ob an dieser Adresse schon einmal Gefahren durch Waffenbesitzer oder gewaltbereite Personen verzeichnet wurden. Nach 17 Minuten ist der Entführer gefasst, der Junge unversehrt gerettet. Und alle Kamerabilder, die schriftlichen Aufzeichnungen und der Funkverkehr sind wie sämtliche Aussagen unter einer Fallnummer rechtssicher erfasst und abgelegt.

Polizeibehörden in einigen anderen Ländern haben so eine fortschrittliche Streifenwagentechnik inzwischen übernommen. In Deutschland dürfte es aber noch länger dauern. Viele Konzepte dazu – vom vernetzten einzelnen Beamten im Einsatz über den High-Tech-Streifenwagen bis zur nahtlosen Einbindung in die hochgesicherte Cloud – werden schon seit einem runden Jahrzehnt zwischen Landesämtern, Datenschutzbeauftragten, IT-Experten, Feuerwehren, Polizei- und Krankenhaus-Behörden diskutiert. Und in Sachsen, Bayern oder Mecklenburg-Vorpommern fahren sogar erste Polizeiwagen, die einige Online-Wünsche der Beamten erfüllen. Aber der große Wurf ist nicht in Sicht, erst recht nicht bundesweit und für alle Behörden. Das Organisierte Verbrechen dürfte also wohl auf absehbare Zeit besser digital vernetzt sein. (SP-X)

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