Das Kia-Sportcoupé Stinger ist auf Abschiedstour, der ebenfalls emotionale EV6 GT kommt. Letzte Chance, nochmal rückfällig zu werden.
Die neue Mobilität bringt viele Veränderungen mit sich. Bei Kia dreht gerade der Stinger seine Abschiedsrunden. In dessen Fußstapfen soll ein Fahrzeug treten, das auf den ersten Blick wenig mit dem V6-Sportcoupé gemein hat: Der rein elektrische EV6 in der leistungsstarken GT-Version. Ein vollwertiger Ersatz?
Zunächst ist festzuhalten, dass der Abgang des Stinger ein echter Verlust ist. Das Design des von Peter Schreyer gezeichneten Fünftürers überzeugt ob seiner klassischen Linien noch heute und ist seit dem Marktstart vor fünfeinhalb Jahren daher auch kaum gealtert. Hinzu kommt ein Innenraum, in dem man sich nicht nur wohlfühlt, sondern auch ergonomisch vieles richtig gemacht wurde. Die logische Anordnung der Bedienelemente, Tasten und Knöpfe statt Touchflächen, dazu ein klares Head-up-Display und komfortable Sportsitze – im Stinger wird auch eine längere Reise nicht zur Tortour. Und die Ausstattung des 60.260 Euro teuren klassischen Coupés lässt sowieso keine Wünsche offen.
Der EV6 GT bietet im Fond mehr Platz
Im Vergleich dazu präsentiert sich der EV6 GT deutlich moderner. Sein elektrischer Antrieb ist ihm schon von weitem anzusehen. Formal kommt seine Karosserie mit der abfallenden Dachlinie, dem schrägen Heck und der Kombi-Klappe einem Shooting Brake am nächsten. Dank seines raumsparenden E-Motors bietet der EV6 vor allem im Fond deutlich mehr Platz, obwohl er in der Länge 13 Zentimeter kürzer ist. Überraschenderweise fällt der Platzvorteil beim Gepäckraum gar nicht so groß aus: Den 430 Litern Kofferraumvolumen des EV6 stehen immerhin 406 Liter beim Stinger gegenüber.
Beide Fahrzeuge kauft man allerdings letztlich wegen der Motorisierung und wegen des Fahrspaßes. Der Stinger ist auch hier ein Klassiker: Ein 3,3-Liter großer V6-Benziner mit 366 PS und Twin-Turbolader sorgt für hervorragende Fahrleistungen, so erreicht er nach 5,4 Sekunden Tempo 100, maximal sind 270 Sachen drin. Zum Paket gehören auch ein permanenter Allradantrieb und ein adaptives Fahrwerk für stoischen Geradeauslauf und höchste Kurvenstabilität. Die Acht-Gang-Automatik überzeugt ebenfalls, wechselt schnell und meist treffsicher. Größtes Manko des Stinger: Forcierte Fahrweise und das hohe Leergewicht von 1,9 Tonnen zeigen Wirkung. Selbst die nicht gerade bescheidenen 10,4 Liter Normverbrauch waren für uns nicht erreichbar. Mit 12 teuren Litern Benzin pro 100 Kilometern muss man schon rechnen.
Ganz anders natürlich der EV6 GT. Das E-Aggregat entwickelt 430 kW (585 PS) und beim Drehmoment gibt Kia satte 740 Newtonmeter an, was wiederum den Großteil des Fahrspaßes bei einem E-Auto ausmacht. Allerdings geht einem normal motorisierten Elektriker nach dem Ampelstart nach und nach die Puste aus, weswegen – und natürlich auch mit Blick auf Reichweite und Akku-Schutz – sich die Höchstgeschwindigkeiten häufig zwischen 140 und 180 km/h einpendeln. Nicht beim EV6 GT: Die 3,5 Sekunden für den Standardspurt rücken ihn in die Nähe eines Supersportwagens, die 260 km/h mögliche Spitze ist für ein E-Auto exorbitant. Der Akku ist mit 77,4 kWh zwar groß, aber es fließt auch schon bei normaler Fahrweise jede Menge Energie ab.
Die Reichweite ist mit 424 Kilometern nicht üppig. Der Bordcomputer zeigte bei vollen Batterien meist um die 340 Kilometer an, wer Spitzenleistung über längere Zeit abfordert, wird schon nach weniger als 200 Kilometern einen Schnellader aufsuchen. Kann dieser 350 kW, hat man den Akku dank der im Hyundai-Konzern verwendeten 800-Volt-Technik aber immerhin theoretisch in 18 Minuten von 10 auf 80 Prozent nachgeladen.
Der Stinger ist das emotionalere Auto
Die Fahrwerte des Kia EV6 GT überzeugen und liegen in etwa auf dem Niveau des Stinger, beim Spurt ist das ebenfalls allradgetriebene E-Auto besser, bei der Höchstgeschwindigkeit schafft der Verbrenner 10 km/h mehr. Nicht zuletzt wegen seines hörbaren Sechszylinders ist der Stinger das emotionalere Auto. Allerdings wirkt er im Vergleich zum GT optisch und vor allem in der Antriebstechnik betagter.
Andererseits kommt im 2,2 Tonnen schweren EV6 selbst als GT kaum echtes Sportgefühl auf. Es bleibt die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser Art von Elektromobilität. Andererseits hat auch diese Über-Motorisierung Vorteile – etwa beim blitzschnellen Überholen. Der Fahrspaß im EV6 ist eher ein punktueller, der Stinger hingegen offeriert die Freude am Fahren gerade außerhalb der alltäglichen Fortbewegung.
Wer E-Mobilität liebt, aber auch immer mal wieder Wert auf Fahrspaß legt, ist mit dem leider sehr teuren (73.000 Euro) EV6 GT bestens bedient und bekommt ein modern gestaltetes Auto obendrein. Der Stinger ist dagegen ein Sportcoupé der guten alten Art. Wer daran Freude hat, sollte sich noch schnell einen sichern, denn es gibt nicht mehr so viele seiner Art – und nur ganz wenige, die in seiner Preisregion derart viel zu bieten haben. (SP-X)