«Wir Deutsche sind manchmal etwas schizophren»

IFA-Direktor Jens Heithecker

«Wir Deutsche sind manchmal etwas schizophren»
Ifa-Direktor Jens Heithecker. © Mertens

Wenn am Dienstag in Genf der Automobilsalon beginnt, findet dort die zweite Auflage der Shift Automotive statt. Im Interview mit der Autogazette spricht IFA-Direktor Jens Heithecker darüber, weshalb man eine neue Mobilitätskonferenz braucht.

Wie Heithecker sagte, sei die Shift «ein neues Format sowohl für die Bedürfnisse der Automobil- als auch der Digitalindustrie». Die mit den Kollegen des Genfer Automobilsalons konzipierte Shift findet zweimal im Jahr statt. Im März auf dem Genfer Autosalon und im September auf der Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin.

«Wir wollen die IFA mit den klassischen Autoherstellern und den Mobilitätsdienstleistern zusammen bringen. Wir fokussieren nicht allein Technologien, wir sprechen vor allem über den Nutzen für den Kunden», sagte Heithecker. Wie der IFA-Direktor hinzufügte, sei seit einigen Jahren deutlich geworden, «dass auch die Mobilität immer stärker vernetzt sein wird. Von daher macht es Sinn, diese Themen auf der IFA zusammenzuführen».

«Haben weniger auf die klassischen Automessen geschaut»

Der GMC Sierra auf Ketten. Foto: dpa
Pickups wie der GMC Sierra prägen die Messe in Detroit. Foto: dpa

Autogazette: Die klassischen Automessen verlieren an Bedeutung. Ist das der Grund, weshalb Sie mit Ihren Kollegen vom Automobilsalon Genf die Shift ins Leben gerufen haben?

Heithecker: Wir haben weniger auf die klassischen Automessen geschaut, die nach wie vor auf die Faszination des Automobils konzentriert sind. Doch das ist nicht der Ansatz der IFA.

Autogazette: Was ist der Ansatz der IFA?

Heithecker: In den zurückliegenden Jahren hat sich die IFA als die Messe für das vernetzte Leben entwickelt. Vernetzung ist überall vorzufinden. Sei es zu Hause oder unterwegs. Seit einigen Jahren ist deutlich geworden, dass auch die Mobilität immer stärker vernetzt sein wird. Von daher macht es Sinn, diese Themen auf der IFA zusammenzuführen. Die Shift ist ein neues Format sowohl für die Bedürfnisse der Automobil- als auch der Digitalindustrie.

«Smart Home hört nicht an der Haustür auf»

Autogazette: Das Thema Smart Home spielte also eine wichtige Rolle?

Heithecker: In der Tat. Doch Smart Home hört nicht an der Haustür auf. Wir sprechen über Smart Cities, in denen der Verkehr ein integraler Bestandteil ist – und hier sprechen wir nicht nur über Autos. Mobilität heißt mehr als Auto. Es heißt auch, die Verknüpfung des Smart Device mit allen weiteren Mobilitätsangeboten.

Autogazette: Für was soll die Shift stehen?

Heithecker: Wir wollen die IFA mit den klassischen Autoherstellern und den Mobilitätsdienstleistern zusammen bringen. Wir fokussieren nicht allein Technologien, wir sprechen vor allem über den Nutzen für den Kunden.

Autogazette: Ist der bisherige Fachbesucher denn an dieser Thematik interessiert?

Heithecker: Wer ist der klassische Besucher der IFA? Den gibt es nicht. Weniger als die Hälfte der Besucher sind Konsumenten, der Großteil sind Fachbesucher und von denen kommen mehr als die Hälfte aus dem Ausland. Damit ist die IFA als Fachmesse größer als die CES. Wenn man sich unsere großen Aussteller anschaut, dann sind viele schon lange im Feld der Autoindustrie unterwegs. Ich nenne nur Panasonic, ein Unternehmen, das sich auch mit Smart Cities beschäftigt. Wir gehen hier nicht gegen die DNA der IFA vor, sondern das Thema wird mit der Shift nur noch sichtbarer.

«Bringen Vertreter der Digitalindustrie mit nach Genf»

Die Technik-Messe CES ist ein Pflichttermin für die Autobauer. Foto: dpa

Autogazette: Hätten Sie ohne den Erfolg der CES die Shift ins Leben gerufen?

Heithecker: Die CES hat es der Autoindustrie ohne Frage ermöglicht, ihre digitalen Botschaften zu verkünden. Das hat die CES grandios gemacht. Auf der anderen Seite sind viele Themen, die die Elektronikindustrie betreffen, in den Hintergrund getreten. Einige Messestände auf der CES erinnern doch stark an einen Automessestand. Wir sehen dies nicht als sinnvoll an. Deshalb glauben wir, dass wir mit der Shift gemeinsam mit dem Genfer Automobilsalon die Industrien schneller und besser erreichen. Und wenn wir im März nach Genf gehen, bringen wir Themen der Digitalmesse IFA in eine klassische Automesse.

Autogazette: Was nehmen Sie mit nach Genf?

Heithecker: Wir bringen Vertreter der Digitalindustrie mit nach Genf, die mit den Car Guys über digitale Mobilität reden. Das wird ein Konferenzformat, das für die Automobilmesse eine wichtige Ergänzung für die digitale Ausrichtung sein wird.

Autogazette: Warum haben Sie sich für Genf und nicht die IAA entschieden?

Heithecker: Die Automobilmessen in Europa stehen in der Verantwortung der nationalen Automobilverbände. Als IFA sind wir hochinternational – und in Genf ist die Veranstalterstruktur ähnlich. Entsprechend haben wir uns nicht an nationalen Interessen zu orientieren.

«Sehen nicht, was wir im eigenen Land haben»

Autogazette: Sehen Sie die Shift als europäischen Gegenentwurf zur CES?

Heithecker: Das sind wir längst. International gibt es drei relevante digitale Messen: die CES, die Mobile World in Barcelona und die IFA. Wir werden auch von der CES als globaler Wettbewerber empfunden. Bei der Autoindustrie ist das Bild der IFA indes nach wie vor von der Funkausstellung geprägt. Es gibt Vorbehalte, die wir nach und nach auflösen müssen. Wir Deutsche sind da manchmal etwas schizophren: Wir sehen nicht, was wir im eigenen Land haben und versuchen uns deshalb woanders gut aufzustellen.

Autogazette: Welche Zielsetzungen haben Sie mit Blick auf die Zahl der Aussteller auf der Shift?

Heithecker: Wir waren selbst überrascht, dass wir gleich zur Premiere ein derart großes Feedback für die Themensetzung erhalten haben, erst recht, weil man bei uns nicht die üblichen Verdächtigen als Redner gesehen hat. Wir hatten bei der Erstveranstaltung, eine reine Konferenz noch, 400 Besucher, allein 40 Besucher aus Japan. Wir wollen die Shift mit dem breiten Kreuz der IFA befördern, doch die Shift ist eigenständig. Wir wollen die Shift jetzt schnell etablieren. Das könnte umso dynamischer passieren, weil wir die Shift zweimal in Jahr, in Genf und in Berlin, veranstalten. Es wird spannend zu sehen, wie die Autoindustrie zukünftig ihre Kunden erreichen will. Über die klassische Automesse oder Messen wie die Shift.

«Der Konsument mag das Auto weiter»

Eine Besucherin auf der IFA in Berlin mit einer VR-Brille. Foto: dpa

Autogazette: Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer hatte die Autoshow in Detroit als Beerdigungskonvent bezeichnet. Sehen Sie noch eine Zukunft für die klassischen Automessen?

Heithecker: Ich wehre mich dagegen, auch klassische Automessen tot zu reden. Man sieht ja auch die ein oder andere Digitalmesse in Schwierigkeiten. Es geht um die Themen, aber vor allem ums Konzept. Der Konsument mag das Auto weiter, die Autoindustrie ist nach wie vor innovativ. Es geht weiter um Emotionen. Und je mehr digital kommuniziert wird, desto wichtiger wird es, das Menschliche zusammen zu bekommen. Die klassische Automesse wird eine andere Messe werden, es wird andere Themen geben. Es reicht nicht zu sagen, jetzt werden wir digital.

Autogazette: Die Shift im Rahmen der IFA findet zeitgleich mit den Pressetagen der IAA statt. Schießen Sie sich damit nicht ein Eigentor?

Heithecker: Sicherlich ist es nicht ganz glücklich. Doch die IFA findet nun einmal zu diesem Zeitpunkt statt. Zudem muss man sehen, dass die IAA nur alle zwei Jahre stattfindet. Machen wir das Beste daraus: Der jetzige Termin ermöglicht es, dass unsere Fachbesucher einen Abstecher zur IAA machen können.

Autogazette: Macht die New Mobility World auf der IAA nicht das gleiche wie die die Shift?

Heithecker: Das kennt man aus dem Messegeschäft, dass es eine Vielzahl von Veranstaltungen gibt. Teils werden sie in den Medien laut besprochen, doch wenn man sich anschaut, wie sie die Themen angehen, ist es auf spezielle Zielgruppen beschränkt. Wir wollen das Thema aus der Fachlichkeit rausbringen, wir wollen neue Themen spielen. Wir können mit der IFA das Thema in einen globalen Kontext setzen. Bei uns hört es nicht beim Auto auf.

Das Interview mit Jens Heithecker führte Frank Mertens

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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