Hitzige Debatte um «Senioren-TÜV»

Prüfung der Fahrtüchtigkeit

Der Grünen-Politiker Winfried Hermann will die Fahrtüchtigkeit von Senioren überprüfen lassen. Auf Ablehnung stößt der Vorschlag bei CDU und dem ADAC, Zustimmung kommt von den Linken.

Berlin (dpa) - Monatelang musste die Familie die rüstige Rentnerin bearbeiten, doch den Führerschein abzugeben. «Mein Leben lang bin ich unfallfrei gefahren, und wie soll ich sonst in die Stadt kommen», lautete ihr Argument, um auch mit 80 Jahren weiter fahren zu dürfen - obwohl sie kaum noch ohne fremde Hilfe ins Auto steigen konnte. Erst als sie mitten auf einer vielbefahrenen Straße plötzlich wendete, einen Unfall verursachte und trotz gebrochener Achse sich von dannen machte, lenkte sie ein. Dieser Fall einer Seniorin aus Nordrhein- Westfalen zeigt, dass im Seniorenalter bisweilen Selbsteinschätzung und tatsächliche Fahrtauglichkeit auseinanderklaffen.

Auch Linke dafür

Die Grünen und die Linken fordern nun einen «Senioren-TÜV», damit mögliche Gefahren durch betagte Autofahrer frühzeitig erkannt werden und um notfalls den Führerschein einziehen zu lassen. Auslöser für die heftige Debatte war das Unglück im sauerländischen Menden. Dort war am Sonntag ein 79 Jahre alter Mann plötzlich aus einer Reihe wartender Autos ausgeschert und in einen Schützenumzug gerast. Zwei Menschen starben und machten das Fest zum 60-jährigen Bestehen der Hubertus-Schützen zum traurigsten Schützenfest der Vereinsgeschichte.

Warum der Rentner in die Menge raste, ist unklar, für die Grünen steht aber ohnehin schon länger fest: Das Thema Fahrtauglichkeit im Alter muss im neuen Bundestag auf die Tagesordnung. «Im Jahr 2020 ist ein Drittel der Autofahrer älter als 60. Das ist eine demografische Zeitbombe», sagt der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Winfried Hermann. Er betont, dass es nicht um eine Diskriminierung gehe und viele ältere Autofahrer topfit seien, aber: «Es ist eine Tatsache, dass immer mehr Menschen immer länger Auto fahren, dieser Debatte müssen wir uns stellen.» Ein erster Vorstoß der Grünen zu einem verpflichtenden Tauglichkeitstest war aber zuletzt gescheitert.

Wenig Chancen auf Erfolg

Viele Rentner bringt die Idee auf die Palme, sie legen mit Anrufen Hermanns Berliner Abgeordnetenbüro lahm. Union und FDP, aber auch der einflussreiche ADAC lehnen den Plan ab. Nach den derzeitigen Umfragen könnte der Vorstoß im neuen Bundestag, der am 27. September gewählt wird, wenig Chancen auf Erfolg haben, zum Wahlkampfschlager eignet sich das Thema bei 20 Millionen Senioren sicher nicht.

Nach der Wahl müsse der neue Bundestag eine medizinisch- wissenschaftlich abgesicherte Altersgrenze finden, von der an sich ältere Fahrer testen lassen, will Hermann hartnäckig bleiben. «Zum Beispiel zum ersten Mal mit 65 Jahren freiwillig und dann mit 70 Jahren verpflichtend, am besten durch Arztuntersuchungen.» Die Linken-Verkehrsexpertin Dorothée Menzner fordert sogar Tests für alle Führerscheinbesitzer - bei Senioren aber in deutlich kürzeren Abständen. «Auch ein 40-Jähriger kann im Laufe der Jahre eine Sehschwäche bekommen haben, ohne es zu merken», sagt sie.

Ein Entzug der Fahrerlaubnis bei schlechtem Seh- oder Hörvermögen ist heute schon nach § 46 der Fahrerlaubnisverordnung möglich. Aber: Wie stellt man die Probleme fest, wenn sich der Führerscheinbesitzer keiner Untersuchung unterziehen will? «Nach Ansicht unserer Experten machen pauschale Tests keinen Sinn», sagt Carla Bormann vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR). Die Fahreignung müsse «im Ermessen des Einzelnen» bleiben. Der DVR rate älteren Fahrern zur «Selbsteinsicht» und freiwilligen Schritten. Dazu gehörten auch ärztliche Untersuchungen. «Auch eine Extra-Fahrstunde bei einer Fahrschule kann helfen, mögliche eigene Defizite zu erkennen und zu beheben.»

Die Gegner des «Senioren-TÜVs» sagen, dass die Unfallstatistik kein erhöhtes Risiko durch fahrende Senioren hergibt. Obwohl Menschen über 65 bereits 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, hatten sie 2007 als Beteiligte an Unfällen mit Personenschaden «nur» einen Anteil von 10 Prozent, heißt es in einer Studie des Statistischen Bundesamts. «Aus dieser unterproportionalen Unfallbeteiligung kann jedoch nicht geschlossen werden, dass ältere Fahrer die sichereren Fahrer sind, sondern sie spiegelt in weiten Teilen deren geringere Verkehrsteilnahme als Fahrzeugführer wider», wird jedoch betont. Und: «Ältere Menschen verlieren in komplexen Situationen schneller den Überblick als Verkehrsteilnehmer der jüngeren Altersgruppen.»

Die Linken-Politikerin Menzner sagt, dass die Selbsteinschätzung meist das größte Problem sei. «Viele denken, ich fahre 50, 60 Jahre unfallfrei und merken gar nicht, wie sich ihr Reaktionsvermögen im Straßenverkehr stark verschlechtert.» Ein verbindlicher Test sei daher keine Diskriminierung. «Schließlich muss auch das Auto regelmäßig zum TÜV.» (dpa)

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