Machen Elektroautos auch im Rettungswesen Sinn? Die Johanniter Unfall-Hilfe hat einen Krankenwagen im Einsatz getestet.
Blaue Blitze zucken durch den regengrauen Tag und eine schrille Sirene zerreißt die Stille. Doch an der Quelle dieses Spektakels herrscht eine gespenstische Ruhe. Denn Blaulicht und Martinshorn sind montiert auf dem Prototyp eines batteriebetriebenen Krankenwagens, mit dem der Branchengigant Ambulanzmobile aus Schönebeck bei Magdeburg die elektrische Revolution auch ins Rettungswesen tragen will.
Statt des angestrengten Knurrens eines Mercedes-Diesels ist in diesem Valeris auf Basis des Mercedes Sprinter deshalb nur das leise Surren einer E-Maschine zu hören.
2020 ist Idee eines E-Rettungswagens entstanden
„Die Elektrifizierung hat längst alle Bereiche des Verkehrswesens erfasst“, sagt Verkaufsleiter Frank Lundershausen, „da wollten wir nicht hintanstehen.“ So ist im Frühjahr 2020 die Idee eines elektrischen Krankenwagens entstanden, die binnen sechs Monaten umgesetzt wurde. Das ist jetzt ein knappes Jahr her, die ersten drei Monate im Test bei der Johanniter-Unfall-Hilfe in Bindow bei Königs Wusterhausen haben die Sanitäter unter Strom schon hinter sich und jetzt ist der Krankenwagen zu ersten Optimierungen und für weitere Demonstrationen wieder zurück in der Zentrale, wo rund 300 Mitarbeiter pro Jahr etwa 1.500 Fahrzeuge umbauen.
Basis für den Umbau war die elektrische Version des Mercedes Sprinter, der auch unter den konventionellen Krankenwagen für Verkaufschef Lundershausen eine große Zugnummer ist. Bei dem Umbau, der am Ende rund drei Monate gedauert hat und später mal in drei Wochen passieren soll, haben die Sachsen-Anhalter zwar eng mit Mercedes kooperiert, vom eigentlichen Antrieb und der sonstigen Fahrzeugtechnik aber die Finger gelassen.
Erstens, weil sie nicht ins Energiemanagement des Autos eingreifen wollten. Zweitens, weil sie sich bei der medizinischen Ausstattung nicht auf Automobiltechnik verlassen wollten. Und drittens, weil die ganzen zusätzlichen Apparate die Akkus viel zu früh in die Knie gezwungen hätten. Schon ohne zusätzliche Verbraucher ist der e-Sprinter kein Langstreckenläufer. „Aber mit der Medizintechnik in betrieb wäre die Reichweite auf 40 oder 50 Kilometer geschrumpft“, stöhnt ein Techniker aus dem Team des Umrüsters.
Autarke Stromversorgung
Also haben sie in Schönebeck eine zweite, völlig autarke und mit einem eigenen Steuergerät abgesicherte Stromversorgung im Heck installiert, mit der sie das mobile Krankenzimmer klimatisieren, den Spritzenautomaten und die Vakuummatratze betreiben und im Fall der Fälle auch den Defibrillator laden können. „So ist die Versorgung der Patienten unabhängig vom Ladestand der Fahrbatterie gesichert“, sagt Lundershausen, während er unter einem kleinen Schrank mit Verbandsmaterial im Stuhl neben der Liege Platz nimmt.
Während sich für Patienten und Pfleger außer vielleicht der größeren Ruhe beim Transport nichts ändert, muss sich der Fahrer schon ein wenig umstellen: In der Stadt, weil der elektrische Sprinter trotz seiner eher bescheidenen 116 PS flüssiger und auch ein bisschen besser beschleunigt als die Diesel und man im Einsatz so noch leichter durch die Rettungsgasse rutscht.
Begrenzte Reichweite
Und über Land, weil nicht nur die Geschwindigkeit auf 120 km/h limitiert ist, sondern weil bei einer Batteriekapazität von 55 kWh die Reichweite ebenfalls auf 120 Kilometer beschränkt ist. Und das, obwohl Lundershausen und seine Kollegen beim Ausbau auf jedes Kilo geachtet und das Gewicht trotz des doppelten Akku-Packs unter 3,5 Tonnen gehalten haben. Das war nicht nur wichtig für den Aktionsradius.
Damit reicht auch der herkömmliche Pkw-Führerschein und der eVelaris kann von jedem Sani gefahren werden. Limitierte Reichweite, beschränkte Geschwindigkeit und die Zwangspause von mindestens 40 Minuten an der Ladesäule für die ersten 80 Prozent mit der 80 kW starken DC-Ladung – das sind die Gründe, weshalb sich Lundershausen erst einmal an einem Kranken- und nicht an einem Rettungswagen versucht hat. Denn während letzterer unvorhersehbare Notfalleinsätze fährt und deshalb immer und ohne Einschränkungen funktionieren muss, werden Autos wie der elektrische Valeris vor allem für geplante Fahrten genutzt.
Für kleinere Kommunen akzeptabel
„Die bringen Patienten von einer Klinik zur anderen, fahren sie zur Dialyse oder zum Facharzt, bringen sie ins Altenheim oder nach Hause“, fasst er das Aufgabenspektrum zusammen. „Da weiß man heute in der Regel, was morgen ansteht und kann Routen und Ladepausen entsprechend organisieren.“ Und selbst wenn aus den 120 Kilometern Reichweite doch schnell mal nur 90 oder 100 Kilometer würden, käme man damit im Alltag schon relativ weit. Für Großstädte wie Berlin oder München tauge des vielleicht noch nichts. Aber in kleineren Kommunen oder für den lokalen Verkehr in großen, weit verzweigten Kliniken sei der elektrische Krankenwagen bereits völlig ausreichend, analysiert Lundershausen die Marktlage.
Kein Wunder also, dass der Verkaufschef reichlich Interesse bei den Kunden registriert und seit dem ersten Testeinsatz in Bindow regelmäßig neugierige Anrufe von anderen Sanitätsdiensten bekommt. Von der reduzierten Reichweite lassen die sich meist nicht einmal erschrecken. Doch spätestens wenn’s ums Geld geht, lässt das Interesse schlagartig nach, räumt Lundershausen ein. Denn wo es einen konventionellen Krankenwagen-Ausbau aktuell für etwa 30.000 Euro plus Basisfahrzeug gibt, hat Ambulanzmobile den elektrischen Sanka mit rund 150.000 Euro veranschlagt. „Das ist fast das Doppelte“, muss Lundershausen einräumen. Solange es für solche Fahrzeuge keine spezielle Förderung oder sonst einen Anreiz für den Umstieg gibt, will sich das kaum einer leisten.
Entmutigen lässt sich der Verkaufsleiter davon allerdings nicht. Einmal mit der Elektromobilität in Kontakt gekommen, steht Lundershausen längst unter Strom und treibt die Elektrifizierung des Rettungswesens tapfer voran. Den ersten Prototypen will er deshalb schon bald verkaufen, und ein zweites Auto ist bereits in Arbeit. (SP-X)