Wer eine sechsstellige Summe für einen Pkw ausgibt, erwartet zumeist einen V8-Motor. Wer dafür nur halb so viele Zylinder anbietet, braucht Selbstbewusstsein. So wie der Range Rover P400e.
Die Vokabel „Downsizing“ ist weitgehend aus dem öffentlichen Mobilitäts-Diskurs verschwunden, aber es gibt sie noch, die drastische Reduzierung von Hubraum zur Verbrauchs- und damit Schadstoffminderung. Ein besonderes Beispiel bietet seit dem letzten Facelift die britische Edelmarke Range Rover an, denn sie hat das Kunststück vollbracht, ein 4,80 m langes und fast 2,3 Tonnen schweres SUV mit einem Vierzylinder-Motor auszustatten. Und mit einem Elektromotor.
Der Modellname Velar, 2017 eingeführt und als „Lückenfüller“ zwischen Range Rover Sport und Evoque positioniert, ist dabei genau genommen die Wiederbelebung einer Bezeichnung, die bereits vor 1970 ersonnen wurde. Sie benannte das Geheimprojekt eines ebenso geländegängigen wie luxuriösen Hochdachkombis, der schließlich als Range Rover das elektrische Licht der Autosalons erblickte. Den aktuellen Erfordernissen entsprechend hat er nun auch einen Kabelanschluss bekommen, mit dem an der Steckdose nach Herstellerangaben 64 zusätzliche Kilometer Reichweite gewonnen werden können.
Aufgefrischtes Familien-Gesicht
Die Retuschen an der Frontpartie dienen in erster Linie dem Zweck, den Velar dem bereits renovierten Range Rover Sport und dem neuen Range Rover anzugleichen. Eine auf Anhieb schlüssige Familien-Zugehörigkeit ist gerade bei den Produkten eines königlich britischen Hoflieferanten unverzichtbar. Der neugestaltete Kühlergrill wird flankiert von schmalen Pixel-LED-Scheinwerfern, die eine verbesserte Ausleuchtung der Fahrbahn versprechen. Auch der Heckstoßfänger erhielt ein neues Design. Im Cockpit fallen in erster Linie der zentrale 11,4-Zoll-Monitor mit gewölbter Oberfläche sowie die weitgehend von Schaltern befreite, nahezu „cleane“ Umgebung auf.
Über den berührungsempfindlichen Bildschirm wird das Pivi-Pro-Infotainment-System gesteuert, das serienmäßig vorhanden ist und vom Hersteller als verbessert nutzerfreundlich gepriesen wird. Im 14-Tage-Test erfüllte es leider nicht immer die Erwartungen, konnte einfache Sprachbefehle nicht umsetzen und auch die Verkehrszeichen-Erkennung ließ wiederholt die erwünschte Zuverlässigkeit vermissen. Positiv zu vermerken ist, dass adaptive Temporegelung, Rückfahrkamera, Spurhalte- und Aufmerksamkeits-Assistent, in der SE-Ausstattung auch Rückwärts-Kollisionswarner und Toter-Winkel-Assistent sowie 20-Zoll-Felgen serienmäßig sind.
Kabinenluft mit Reinheitsgebot
Der Testwagen war außerdem mit verschiedenen kostenpflichtigen Annehmlichkeiten ausgestattet, darunter ein Technologie-Paket mit 360-Grad-Kamera, Head-Up-Display und Wattiefen-Messung (+2220 Euro), mit Winterpaket, das Frontscheibe, Lenkrad und Rücksitze beheizbar macht (+1470 Euro) sowie dem Komfort-Paket (+1845 Euro) für ein kühlbares Handschuhfach, 4-Zonen-Klimaautomatik, Ambiente-Beleuchtung und Luftreinigungssystem Pro. Die Summe aller Extras verteuerte den Testwagen auf 105.800 Euro.
Wer nach einem Adjektiv sucht, das die Empfindungen beim Fahren eines Range Rovers komprimiert und treffend beschreibt, dem fällt wahrscheinlich „erhaben“ ein. Die hohe Sitzposition, das federleichte Manövrieren mit der wohltemperierten Lenkung, die erstklassige Geräuschdämmung und die stets reichlich vorhandenen Leistungsreserven machen den Weg von A nach B in den allermeisten Fällen zu einem Vergnügen, das nach Wiederholung verlangt. Dem Zweiliter-Vierzylinder werden mittels Turboaufladung energische 300 PS entlockt, hinzu kommen 105 kW aus dem Elektromotor. Die Systemleistung von 404 PS (297 kW) werden von der Achtgang-Automatik so druckvoll an den Allradantrieb weitergeleitet, dass der Schub von 640 Newtonmetern einen Spurt auf 100 km/h in knapp mehr als fünf Sekunden erlaubt.
Bis Tempo 140 komplett abgasfrei
Zum Wohlbefinden tragen nicht nur die souveränen Fahrleistungen, sondern auch die Gewissheit bei, wenigstens auf Teilstrecken und mit bis zu 140 km/h keinerlei Verbrennungsrückstände an die Umwelt absondern. Möglich wird das durch die Netto-Kapazität des neuen Akkus von 15,4 kWh, wo im Alltagsbetrieb durchaus mit mehr als 50 Kilometern Realreichweite gerechnet werden kann.
Hingegen sind die 1,9 Liter/100 km/h Benzinverbrauch des offiziellen Datenblatts lediglich von theoretischer Bedeutung. In der Praxis können zwischen fünf und sieben Liter erreicht werden, sofern der Überlandbetrieb begrenzt und Möglichkeiten zum Nachladen nicht ausgelassen werden. Da die Ladeleistung jedoch auf 35 kW beschränkt ist, dauert die Pause am Stromkabel mitunter länger, als sie es nach heutigem Stand der Technik müsste.
Ein Listenpreis von 90.800 Euro kann angesichts von Leistungs- und Komfort-Niveau kaum ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Allerdings sollte potenziellen Kunden auch klar sein, dass sie mit einem Fahrzeug wie dem Velar Fähigkeiten erwerben und in der Gegend herumfahren, die nur in wenigen Ausnahmefällen genutzt werden: Vorbildliche Offroad-Qualitäten dank Terrain-Response-System.