Michael Pfadenhauer leitet bei Porsche die Aerodynamik. Im Interview mit der Autogazette spricht er über die Bedeutung der Aerodynamik für die CO2-Reduktion und darüber, weshalb das Thema zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Die Diskussion um verschärfte CO2-Grenzwerte wird die Bedeutung der Aerodynamik zukünftig weiter steigern. «Ich gehe davon aus, dass wir für die Aerodynamik weiterhin gesteigertes Interesse erfahren werden und einen positiven Beitrag für die Zukunft leisten können», sagt Michael Pfadenhauer, der beim Sportwagenbauer Porsche die Aerodynamik verantwortet, im Interview mit der Autogazette.
Mit XL1 extremen CO2-Szenarien begegnen
Wie Pfadenhauer sagte, würde ein Fahrzeug wie der XL1 von VW zeigen, dass man auch möglichen extremen CO2-Szenarien ernsthaft begegnen könne. «Ich bin davon überzeugt, dass sich an diesem Produkt zeigen wird, wie weit der Kunde geht, wenn er nach wirklich verbrauchsarmen Produkten verlangt. Stellt sich nun eine Veränderung des Kaufverhaltens ein, werden wir auch vermehrt aerodynamisch anmutende Designelemente attraktiv finden. »
«Sind mitunter Benchmark im Segment»
Autogazette: Hat das Gros der Autobauer die Aerodynamik in den zurückliegenden Jahren vernachlässigt?
Michael Pfadenhauer: Ich denke nicht, dass die Aerodynamik grundsätzlich vernachlässigt wurde. Schaut man genauer hin, gibt es bei vielen Automobilherstellern seit Jahren ernsthafte Aktivitäten, die genau das Gegenteil tun. Die meisten haben erkannt, dass die Aerodynamik ein wichtiger Stellhebel ist für bessere Fahrleistungen bei gleichzeitig niedrigerem Kraftstoffverbrauch.
Autogazette: Trifft das auch auf Ihr Unternehmen zu?
Pfadenhauer: Die Aerodynamik hat bei Porsche seit jeher eine anerkannt hohe Relevanz. Wir sind Hersteller von hoch performanten Sportwagen. Deshalb haben wir auch unsere Aerodynamikstrategie auf einen maximalen Beitrag in diese Richtung ausgelegt. Neben dem Luftwiderstand ist bei uns vor allem der Abtrieb relevant. Wir beschreiben dabei die sogenannte aerodynamische Effizienz, also das Verhältnis von Abtrieb zum Widerstand. Die beiden Größen hängen physikalisch zusammen: Je mehr Abtrieb desto mehr Widerstand. Hier suchen wir das Optimum, das in direktem Zusammenhang zur Performance des Fahrzeugs steht. Und da sind wir mitunter Benchmark im Wettbewerb.
«Baustein für Porsche-typische Performance»
Autogazette: Warum rückt die Aerodynamik gerade wieder stärker in den Focus der Autobauer. Liegt das vor allem an den strengen CO2-Richtlinien?
Pfadenhauer: Das ist sicher ein Punkt, der auch die Bedeutung von Aerodynamik gestärkt hat. Gerade weil nun dreierlei Faktoren zusammenkommen, welche die Optimierungsgrundlagen in einem Fahrzeug verändern: CO2-Anforderungen, die steigende Differenz zwischen realem Kundenverbrauch und den gesetzlichen Angaben, sowie die zunehmende Elektifizierung mit Rekuperation. Letzteres reduziert den Einfluss der Fahrzeugmasse in den Verbrauchszyklen. Es kristallisiert sich heraus, dass die Aerodynamik hierbei einen höheren Beitrag leisten kann. Darum der gestiegene Fokus.
Autogazette: Ist es einfacher und vor allem kostengünstiger, die Effizienz eines Fahrzeuges durch aerodynamische Maßnahmen als durch Leichtbau zu verbessern?
Pfadenhauer: Die Frage ist nicht pauschal zu beantworten. Jede Methode zur Verbesserung der Effizienz eines Fahrzeugs wird auf Wirksamkeit und Kosten bewertet. Daraus ergeben sich eine Reihe von Maßnahmen, die pro Gramm weniger CO2 umgesetzt werden können. Welche dann letztendlich die höchste Priorität haben, muss individuell für jedes Fahrzeug betrachtet werden. Bei Porsche fließen aerodynamische Maßnahmen gleich zu Beginn in die Fahrzeugentwicklung ein, zumal sie auch ein wichtiger Baustein für unsere Porsche-typische Performance sind.
«Streben nach klarer Differenzierung»
Autogazette: Wird die Aerodynamik das Design der Autos in Zukunft nachhaltig verändern?
Pfadenhauer: Nicht jede technisch sinnvolle und wirtschaftliche Aerodynamik-Maßnahme sieht auch gut aus. Unattraktive Produkte verkaufen sich nicht. Und damit sind wir bei einem weiteren wichtigen Punkt: Design geht nicht ohne Aerodynamik und Aerodynamik geht nicht ohne Design. Man strebt heute nach einer klaren Differenzierung und Erkennbarkeit der Marke. Ein Porsche ist seit Jahrzehnten als Porsche erkennbar und das wird auch künftig so bleiben. Das führt natürlich auch zu gewissen technischen Grenzen. Gerade im sichtbaren Bereich stellt sich die Frage, ob sich die Maßnahme optisch attraktiv darstellen lässt. Mit den aktuellen Randbedingungen der Gesetzgebung und den sozialen Veränderungen in der Gesellschaft können sich die Grenzen auch verschieben. Wir sind am Beginn eines Umbruchs. Es bleibt also spannend.
Autogazette: Ist das Einliter-Auto VW XL1 mit einem Luftwiderstandsbeiwert von 0,189 wegweisend für zukünftige Fahrzeuggenerationen oder ist es nur eine Fingerübung für Designer und Aerodynamiker?
Pfadenhauer: Der XL1 zeigt, dass man auch möglichen extremen CO2-Szenarien ernsthaft begegnen kann. Ich bin davon überzeugt, dass sich an diesem Produkt zeigen wird, wie weit der Kunde geht, wenn er nach wirklich verbrauchsarmen Produkten verlangt. Stellt sich nun eine Veränderung des Kaufverhaltens ein, werden wir auch vermehrt aerodynamisch anmutende Designelemente attraktiv finden. Das wird sicherlich seine Zeit brauchen, dann aber rechtfertigt der XL1 seine Vorreiterrolle.
«Hightech-Tropfenformen sind extrem attraktiv»
Autogazette: Hat die Tropfenform bei zukünftigen Fahrzeugen wieder eine Perspektive?
Pfadenhauer: Jedes aerodynamisch ausgebildete Fahrzeug hat heute Bereiche, die so geformt sind. Nur ist die Tropfenform erst auf den zweiten Blick erkennbar. Und schauen Sie auf die Anleihen aus dem aktuellen Rennsport: Hightech-Tropfenformen sind extrem attraktiv.
Autogazette: Wo liegt für Sie der größte Zielkonflikt zwischen Design und Aerodynamik?
Pfadenhauer: Wir haben eine gemeinsame Aufgabe, die nur dann erfolgreich gelöst werden kann, wenn eine Lösung beide Anforderungen erfüllt. Diese Lösung versuchen wir in jedem, aber auch wirklich jedem Detail zu finden und umzusetzen. Der Kunde muss erkennen können, dass das Fahrzeug alle Anforderungen beinhaltet. Wenn der Kunde am fertigen Produkt fragt: «Warum hat das Design oder die Aerodynamik gewonnen?», haben wir etwas falsch gemacht.
Autogazette: Stellen die steigenden Anforderungen an die Fahrzeugsicherheit wie beispielsweise Fußgängerschutz die Aerodynamik vor besondere Probleme?
Pfadenhauer: Nein, nicht wirklich. Neue Anforderungen gehören zum täglichen Geschäft. Auch das muss gewinnbringend gelöst werden. Die Fahrzeugsicherheit ist nur einer von vielen Parametern, die wir berücksichtigen.
«Rumpler-Tropfenwagen Leuchtturm der Aerodynamik»
Autogazette: Der Rumpler-Tropfenwagen von 1921 kam auf einen Cw-Wert von 0,28. Vergleicht man das mit den Luftwiderstandsbeiwerten der heutigen Fahrzeuge, dann haben sich seither keine Quantensprünge vollzogen. Herrschte in der Aerodynamik in den zurückliegenden 92 Jahren eher Stillstand statt Fortschritt?
Pfadenhauer: Der Rumpler-Tropfenwagen ist ein Leuchtturm in der Geschichte der Fahrzeugaerodynamik. Sie ist damit in einem Fahrzeug erstmalig umgesetzt worden. Das hat zum Umdenken geführt. Der Vergleich hinkt, wenn es heißt, der Durchschnitt aller zugelassenen Pkw hat einen Cw-Wert von ebenfalls etwa 0,3. 1928 hatte der Durchschnitt der Fahrzeuge einen Wert von wahrscheinlich größer als 0,5. Extreme Serienfahrzeuge wie etwa der XL1 sind heute sogar bei 0,19. Der Vergleich lautet also, extreme Ausführungen haben Cw-Werte von 0,28 bis 0,19. Und für mich noch wichtiger: Fahrzeuge mit jeweils hohen Stückzahlen liegen im Durchschnitt zwischen 0,5 und 0,3. Das dokumentiert den Fortschritt sehr wohl.
Autogazette: Der Mercedes CLA ist derzeit mit einem Cw-Wert von 0,22 der Aerodynamik-Champion unter den Serienfahrzeugen. Welche Reduktion ist zukünftig noch vorstellbar?
Pfadenhauer: Das ist unter den Randbedingungen für das Fahrzeug eine tolle Leistung. Und ich bin mir sicher, dass ein Cw-Wert von 0,2 in absehbarer Zeit auch erreichbar ist. Besonders, weil wir davon ausgehen, dass der Druck auf die Automobilindustrie zur Reduktion von CO2 nach wie vor steigen wird. Das eröffnet weitere Möglichkeiten für die Aerodynamik. Was aber die spannendere Frage sein wird: Gelingt es uns, den Cw-Wert in der gesamten Fahrzeugflotte zu reduzieren? Mit diesem Gradmesser hat man ein relativ zuverlässiges Instrument, aus dem die Bedeutung der Aerodynamik bei den Herstellern und bei den Kunden gemessen werden kann. Ich gehe davon aus, dass wir für die Aerodynamik weiterhin gesteigertes Interesse erfahren werden und einen positiven Beitrag für die Zukunft leisten können.
Die Fragen an Michael Pfadenhauer stellten Thomas Flehmer und Frank Mertens