Ein Porsche Cayenne Turbo GT ist ein Trumm von Auto. Doch man kann mit ihm auch rasend schnell auf dem Nürburgring unterwegs sein.
Doch bevor wir es im Cayenne Turbo GT richtig krachen lassen, rauschen erst einmal 911er mit GT3- und Turbo-Signets, Lambos und Audi R8 an uns vorbei. Kaum sind sie in Sicht, verschwinden sie hinter der nächsten Biegung. Es ist Nordschleifen-Zeit. Freies Fahren.
Doch statt von einem Zuschauerplatz sehen wir die vielen Flitzer vom Beifahrersitz eines Rekordhalter-Duos aus an uns vorbeiziehen: Porsche-Testfahrer Lars Kern pilotiert das SUV-Modell Cayenne Turbo GT. Die beiden haben 2021 eine Bestmarke gesetzt: Mit 7:38,9 Minuten holte sich der Turbo GT auf der legendären Rennstrecke das „Blaue Band“ im SUV-Segment.
Rundenzeit unter acht Minuten
Kern zeigt nun uns und allen anderen ein weiteres Mal, was auf dem Ring möglich ist. Er fährt eine Sub-8-Runde, also in weniger als 8 Minuten mit dem Dickschiff und deshalb an vielen anderen Heißspornen im Eiltempo vorbei. Dabei werden die anderen Sportwagen von Fahrern bewegt, die in diesem Moment ihr im Rahmen eines Perfektionstrainings frisch erworbenes Können demonstrieren.
In diesem Moment von einem mit zwei Personen besetzten Sause-SUV stehen gelassen zu werden, dürfte einigen vom eigenen Fortschritt euphorisierten Teilnehmern einen Dämpfer verpassen.
Auch wir haben bei diesem Training mitgemacht. Wie viele Male zuvor, ist auch diesmal die Nachfrage trotz einer stolzen Teilnahme-Gebühr von 2700 Euro sehr hoch. Gut situierte und fast ausschließlich männliche Teilnehmer sind es, die ihren teuren bis sehr teuren Sportwagen in eine Materialschlacht führen.
Timo Gluck fährt vorneweg
Bleibt es nur bei neuen Reifen und neuen Bremsbelegen, kommt zu den Kosten lediglich ein vierstelliger Betrag obendrauf. Rund 30 Gruppen mit jeweils 5 bis 8 Teilnehmern sind es, die zwei Tage lang im Schlepptau von erfahrenen Nordschleifen-Scouts Runde um Runde die Grenzerfahrung „Grüne Hölle“ machen.
Unsere Gruppe besteht aus vier Cayenne Turbo GT und einem Porsche 911 vorneweg, an dessen Steuer der Rennfahrer und Reifentester Timo Kluck sitzt. Doch Nordschleifen-Perfektionstraining mit einem Cayenne? Unweigerlich möchte man hier die Sinnfrage stellen. Die Rekordmarke sowie die Leistungsdaten der ausschließlich als Coupé verfügbaren Sportversion lassen jedoch aufhorchen. Die 640 PS sowie 850 Newtonmeter des Vierliter-V8 machen 2,3 Tonnen jedenfalls verblüffend leicht und flott.
In 3,3 Sekunden auf Tempo 100
Dass die Sprintzeit aus dem Stand auf 100 nur 3,3 Sekunden beträgt und maximal 300 km/h möglich sind, überrascht aber doch. Doch neben schierer Kraft bietet der Karacho-Cayenne noch viele Verfeinerungen. Die Automatik tobt dank verkürzter Schaltzeiten energisch durch die acht Übersetzungsstufen.
Das sogenannte „Traktions-Management“ wurde dem Leistungsniveau angepasst und hält den Cayenne Turbo selbst dann auf der Straße, wenn das äußere Räderpaar in Kurven neben der Piste um Haftung ringt. Die 22-Zoll-Schlappen sind 2,5 Zentimeter breiter als gewohnt, die herzhaft zupackenden Keramik-Stopper sind ebenso serienmäßig wie die Luftfederung oder die Hinterachslenkung.
Das trifft auch auf das gewichtsparende Carbon-Dach zu. Ein weiteres Beispiel ist die Wankstabilisierung, die einer dem hohen Aufbau geschuldeten Neigung zur Schlagseite entgegenwirkt und den Kontakt der Räder zur Fahrbahn in Millisekunden wieder herstellt. Schließlich kann sich ein Dachspoiler abhängig vom Tempo aus seiner Ruhestellung erheben und den Anpressdruck auf die Hinterachse um 40 Kilogramm erhöhen.
Innenraum bietet gediegene Sportlichkeit
Auch innen bietet das Super-SUV gediegene Sportlichkeit, ohne es jedoch zu übertreiben. Die Sitze geben jedenfalls reichlich Halt, ohne einzuengen. Das griffige Lenkrad ist mit Schaltwippen und einem Drehschalter zur Direkt-Aktivierung der Sportprogramme ausstaffiert. Im Kombiinstrument kann man sich G-Kräfte und Rundenzeiten anzeigen lassen.
Zugleich bleibt der Cayenne Turbo GT betont alltagstauglich. Platz für Gepäck und Passagiere ist reichlich vorhanden. Ob im Stadtverkehr, Landstraße oder langen Autobahnfahrten – den Renn-Riesen erlebt man als uneingeschränkt alltagstauglich. Mit seiner respekteinflößenden Aura und dem enormen Durchzug ist man entspannt unterwegs. Nur beim Verbrauch muss man in jedem Fall zweistellige Werte hinnehmen. Auf der Autobahntour zum Nürburgring haben wir den Abstandstempomat auf 130 km/h gesetzt und dennoch mehr als 11 Liter verfeuert.
Auf eigener Achse zur Rennstrecke
Man kann also ganz bequem und zudem auf eigener Achse mit dem Cayenne Turbo GT zur Rennstrecke reisen, statt umständlich einen Sportwagen auf einem Hänger dorthin zu bugsieren. Und man kann sich mit ihm wie mit einem Sportwagen auf der Rennstrecke verlustieren. Auf unseren Nordschleifen-Runden gab uns Timo Kluck Tempo und die Ideallinie vor, unsere Cayenne-Truppe fuhr – mal mit mehr, mal mit weniger Abstand – hinterher.
Die Nordschleife fährt sich alles andere als einfach und der Cayenne nicht in jeder Hinsicht wie ein reinrassiger Sportwagen. Gewicht, hoher Aufbau, Allrad – hier braucht es beim Anbremsen und Einlenken eine angepasste Strategie. Doch mit jeder weiteren Runde wächst das Vertrauen und schmelzen die Rundenzeiten. Trotz aktivierter Klimaanlage gerieten wir dabei mächtig ins Schwitzen.
Am ersten Tag haben wir 18 Runden auf der 20,8 Kilometer langen Piste gedreht und somit gut rund drei Stunden mit maximaler Konzentration und oft nah am Grenzbereich am Steuer verbracht. Wohl auch deshalb fiel es am zweiten Tag zunehmend schwerer, mit dem bisweilen anspruchsvollem Tempo mitzuhalten. Geht die Kondition flöten, wird man langsam.
Nerven gefragt
Oder war es vielleicht doch der Cayenne, der als Nordschleifen-Stürmer nicht die passende Wahl ist? Nachdem die Trainings beendet waren, konnten sich die Teilnehmer am zweiten Nachmittag individuell auf dem XXL-Rundkurs austoben. Dass man hierbei mit dem Cayenne Turbo GT so ziemlich jeden anderen auf der Piste davonstürmen kann, hatte uns Lars Kern bei eingangs erwähnter Mitfahrt demonstriert und damit jeden Zweifel am sportlichen Potenzial des Turbo GT verflüchtigt. Mit Tempo 260 übers Schwedenkreuz, 240 Sachen in der Fuchsröhre – auch als Beifahrer braucht es dabei starke Nerven.
Eine Rennstreckengaudi auf diesem Niveau kostet allerdings. Da wäre der schon im Alltag nicht gerade niedrige Spritverbrauch, der sich im Sauseschritt in obszöner Weise vervielfacht. Die Riesen-Pneus von Pirelli sowie Bremsbelege wurden bereits nach Tag 1 getauscht. Und dann war da noch ein Basisfahrzeug für 205.000 Euro, das mit ein paar Extras auch über 220.000 Euro kosten kann. „220.000 Euro?!“, kommt es uns in den Sinn. Für das Geld könnte man alternativ auch einen Basis-Cayenne und einen ultrasportlichen 718 Cayman GT4 RS bekommen. (SP-X)