Die Volvo-Tochter Polestar setzt bei der Bordsoftware auf Android von Google. Das System macht beim Test einen überzeugenden Eindruck.
Die Infotainment-Systeme von Neuwagen sind häufig schon bei der Auslieferung an den Kunden veraltet. Vor allem Vielfahrer greifen daher lieber sofort zum Handy und lassen Android Auto oder Apple Car Play die Route finden und das Musikangebot steuern.
Volvos Elektroauto-Ableger Polestar will ihnen das künftig ersparen – und setzt als erster Hersteller seine komplette Bordsoftware auf eine Android-Basis. Die Bedienung erleichtert das ungemein, wie ein erster Blick auf das fertige System offenbart.
Ingenlath spricht von Revolution
„Eine Revolution in der Elektronik“ verspricht Polestar-CEO Thomas Ingenlath bei der Präsentation des für 2020 angekündigten Polestar 2 auf dem Düsseldorfer Flughafen vollmundig. Die Elektrolimousine ist das erste Auto mit einem Android-basierten Bordinfotainment, kommende Polestar-Modelle werden folgen. Und auch die Schwestermarke Volvo wird in Kürze nachziehen.
Die neue Darstellungs- und Bedienlogik mit App-Symbolen, Kacheln und Ordnern auf dem Tablet-großen zentralen Bildschirm kennt jeder von seinem Handy, egal ob dieses Android oder Apples iOS nutzt. Gesteuert wird mit den üblichen Berührungen und Wisch-Gesten, die vom Bord-Rechner gesteuerte Darstellung ist extrem schnell und ruckelfrei – vor allem das Zoomen und Verschieben in der Navigationskarte funktioniert beeindruckend gut. Die dafür genutzte App ist die bekannte Google Maps-Software, die vor allem dank ihrer exakten und aktuellen Stauvorhersagen bei Autofahrern beliebt ist.
Detailierte Infos zu Ladestationen
Beim Elektroauto Polestar 2 kommt eine weitere wichtige Funktion hinzu: Die App zeigt nicht nur E-Auto-Ladestationen, sondern gibt auch Ladeleistung, Steckertypen und eine Nutzerbewertung an. Ein unschätzbarer Vorteil bei längeren Touren mit einem Stromer, den die herstellereigenen Infotainment-Systeme in der Regel selbst in der Luxusklasse nicht bieten.
Polestar geht aber noch weiter als lediglich einen Android-Auto-Klon vom Handy in den Fahrzeugcomputer zu holen. Weil die Software komplett an Bord integriert ist, lassen sich auch Komfortfunktionen wie die Klimaanlageneinstellung steuern. Ein kurzer Befehl an Googles Sprachassistenten reicht – denn auch dieser ist komplett integriert. Polestar hat dabei bewusst darauf verzichtet, ihn als Angestellten zu vereinnahmen. Anders als bei den Konkurrenzsystemen, die auf „Hey Mercedes“, „Hey BMW“ oder „OK Honda“ reagieren, hört er auf das aus anderen Nutzungszusammenhängen bekannte „Hey Google“.
Ungewöhnlicher Schritt
Die offensive Android-Integration ist ein ungewöhnlicher Schritt. Bisher achten die Autohersteller genau darauf, den Kunden möglichst nur mit ihrer eigenen Software und Benutzeroberfläche in Kontakt treten zu lassen. Zu wichtig ist ihnen die sogenannte „User Experience“, die „Nutzer-Erfahrung“, die sich nach Möglichkeit vollständig in der markeneigenen Erlebnis- und Designwelt abspielen soll.
Polestar öffnet diese ein Stück weit, auch wenn es weiterhin markenspezifische Gestaltungselemente geben wird. Der Grund für die Kooperation mit dem Marktführer aus den USA ist laut Ingenlath einfach: Die bisherigen Infotainment-Systeme waren einfach nicht gut genug. „Die Autoindustrie hat sich da nicht mit Ruhm bekleckert.“ Das aktuelle Volvo-System nennt er nicht als Beispiel, doch auch dieses hat trotz moderner Optik und aufwendiger Menüführung zahlreiche Schwächen in der Bedienung.
Datenherrschaft liegt beim Kunden
Dass der Polestar-Fahrer künftig den Datensammlern von Google ausgeliefert ist, glaubt der Markenchef nicht. „Die Datenherrschaft liegt beim Kunden“, verspricht er. Prinzipiell könne man das System auch anonym nutzen und auf das Einloggen verzichten. Durch die Anonymität gehen dem Nutzer allerdings einige Komfort-Funktionen verloren. So können sich unterschiedliche Fahrer jeweils eigene Profile zulegen, die beim Einsteigen automatisch geladen werden.
Von der Sitzeinstellung bis zum bevorzugten Musik-Streamingdienst ist dann alles dem persönlichen Geschmack angepasst. Auf den Autoschlüssel kann man dann ebenfalls verzichten, die Türen und der Motorstart werden per Handy oder über einen kleinen Sender im USB-Stick-Format freigegeben.
Einstiegsmodell kostet rund 60.000 Euro
Auf die Straße rollt das neue Infotainment-System Anfang 2020. Dann sollen die ersten Polestar 2 in der Start-Edition ausgeliefert werden. Der coupéhafte Viertürer mit leichten Crossover-Elementen verfügt dann über eine 78 kWh große Batterie, die eine Reichweite von rund 500 Kilometern ermöglicht. Für Vortrieb sorgt ein 300 kW/408 PS starker Elektroantrieb, der den Allrader in rund 4,8 Sekunden von null auf 100 km/h beschleunigt.
Der Preis für diese Top-Variante liegt bei 60.000 Euro, später soll ein Einstiegsmodell für 40.000 Euro nachgereicht werden. Vertrieben werden alle aktuellen und künftigen Polestar-Fahrzeuge ausschließlich über das Internet. Statt auf eine teure Händlerorganisation setzt die Marke auf sogenannte „Polestar Spaces“ in guten Innenstadtlagen, wo sich potenzielle Kunden über die Autos informieren können, um sie später online zu bestellen. Den Service übernimmt das Werkstattnetz der Schwestermarke Volvo. (SP-X)