«Autofahren darf nicht zum Luxusgut werden»

Interview GM Powertrain Rita Forst

Rita Forst fordert für die Marktdurchdringung alternativer Kraftsstoffe klare Vorgaben seitens der Politik. Ohne solide Rahmenbedingungen seien zeit- und kostenintensive Entwicklungen nur schwer zu rechtfertigen«, sagte die Direktorin der Motorenentwicklung von GM Powertrain der Autogazette.

Mit Blick auf die flächendeckende Durchdringung alternativer Kraftstoffe sind für Rita Forst klare Zielvorgaben für ganz Europa notwendig. «Es gibt immer wieder länderspezifische Initiativen für unterschiedliche alternative Kraftstoffe, aber keine europäischen Rahmenbedingungen. Das macht es uns als Hersteller sehr schwer und da bin ich schon enttäuscht», sagte die Direktorin der Motorenentwicklung von GM Powertrain im Interview mit der Autogazette.

Bezahlbare Mobilität

Für Forst kann nur die schrittweise Abnabelung vom Öl die Mobilität der Zukunft garantieren. «Wenn wir alternative Kraftstoffe anbieten und die Technologien dafür entwicklen, wird es eine Entlastung beim Bedarf für Erdöl geben. Dann werden auch die auf den Ölfeldern verstehen, dass die Preise nicht beliebig nach oben entwickelt werden können», sagte Forst. In der Vorwoche war Forst mit dem «Leading Women Award» der Automobilindustrie ausgezeichnet worden.

Wie die 53-Jährige, die bei GM Powertrain Europe in Turin die Motoren- und Antriebstechnologie verantwortet, hinzufügte, dürfe Autofahren nicht zu einem Luxusgut werden. «Daher müssen wir als Entwickler dafür sorgen, dass Menschen in Zukunft mit alternativen Antrieben zu vernünftigen Bedingungen ihre individuelle Mobilität darstellen können.»

Mehrere Alternativen

Elektro-Auto Chevrolet Volt Foto: GM

Als globales Unternehmen arbeitet GM an mehreren Alternativen. Während in den USA die Elektrifizierung vorangetrieben wird, genießt in Turin die HCCI-Technologie einen hohen Stellenwert. Dabei entzündet sich das Benzin-Luft-Gemisch - ähnlich wie beim Dieselmotor - selbst und senkt auf diese Weise den Verbrauch.

Maßgebliche Rolle von Benzin und Diesel

Der HCCI-Antrieb Foto: GM

Autogazette: Frau Forst, herzlichen Glückwunsch zum Titel Leading Women. 2006 waren Sie bereits «Frau des Jahres» - welchem Titel räumen Sie mehr Stellenwert ein?

Rita Forst: Ich freue mich, dass ich zum zweiten Mal in dieser Runde der wenigen Frauen innerhalb der Automobilindustrie gekürt wurde. Für mich ist der Leading Award gleichberechtigt.

Autogazette: Bei GM wird dem Elektroantrieb der größte Stellenwert eingeräumt, der in den USA entwickelt wird. Bedeutet das für die anderen alternativen Strategien, die bei GM Powertrain Europe entwickelt und produziert werden, eine Herabsetzung?

Forst: Nein, keinesfalls. Denn wir sehen, dass die Benzin- und Dieselmotoren auch in Zukunft noch eine maßgebliche Rolle spielen. Wir werden uns in Europa darauf konzentrieren, diese Motoren so weiter zu entwickeln, dass sie auf der einen Seite vom Kraftstoffverbrauch effizienter werden und auf der anderen Seite die Emissionsstandards erfüllen. Das sind Herausforderungen, die wir annehmen. Bei der Elektrifizierung stellt sich uns die Aufgabe, für den Range Extender, der z.B. im Chevrolet Volt die Reichweite des Elektromotors signifikant vergrößert, hubraumkleine Verbrennungsmotoren zu entwickeln. Somit sind wir alle in diese alternative Antriebsstrategie eingebettet und jeder leistet seinen Beitrag dazu. Ein Unternehmen, das nicht so global aufgestellt ist wie GM, könnte diese verschiedenen alternativen Möglichkeiten gar nicht stemmen.

Autogazette: Ihr HCCI-Motor, der durch kontrollierte Selbstentzündung das Benzin-Luftgemisch schnell verbrennt und somit die Vorteile eines Dieselmotors aufgreift, wird aber erst gegen 2012 auf den Markt kommen?

Forst: Trotzdem sind wir mit unseren Wettbewerbern vorn dabei. Es geht derzeit darum, die HCCI-Technologie unter relevanten Bedingungen zu erproben und nicht eine neue Technologie in den Markt zu bringen, die noch nicht optimiert ist. Wir befinden uns jetzt sehr stark in der Optimierungsphase. Zum Serieneinsatz möchte ich im Moment aber nichts sagen. Wichtig ist, dass wir uns mit diesem Projekt nicht in der Vorausentwicklung, sondern in der Vorentwicklungsphase befinden und dass wir dieses Fahrzeug unter Kundenbedingungen testen, um die letzten Optimierungsschritte zu vollziehen.

Autogazette: Angesichts der Preisannäherung vom Diesel zum Benzin müsste diesem Projekt ein gewisser Vorrang eingeräumt werden...

Forst: ...das wird es auch. Ein entscheidendes Element der HCCI-Technologie ist jedoch die Steuerungselektronik. Diese zu optimieren, ist derzeit unsere größte Herausforderung. Wir gehen sie schnell und umfassend an, aber wir benötigen die entsprechende Zeit.

Fahrspaß mit Erdgas

Erdgas ab Ende des Jahres auch mit Turbo-Motor Foto: Opel

Autogazette: Sehr viel weiter sind Sie schon mit dem Turbo-Erdgas-Motor, der Ende des Jahres kommen soll. Wird damit ein neues Kapitel mit Erdgas-Fahrzeugen aufgeschlagen?

Forst: Ich denke schon. Der Eindruck, der im Moment noch in der Öffentlichkeit besteht - nämlich dass der Einsatz von Erdgas gar nicht für die private Nutzung geeignet ist, weil Leistung und Drehmoment nicht so ansprechend sind - läuft darauf hinaus, dass sich Kunden das Auto nur aus Umweltschutzgründen leisten. Wir wollen mit dem Erdgas Turbo demonstrieren, dass der Fahrspaß nicht zu kurz kommen muss. Und auch, wie wir den Einsatz alternativer Kraftstoffe und Downsizing in einem Triebwerk vereinen.

Autogazette: Auch da bieten Sie einen 1,4 Liter-Motor an und nennen das System Rightsizing. VW hat bereits seit Jahren downgesizte Motoren. Ist GM nicht etwas spät dran?

Forst: Der 1,4 Liter Turbo ist ja nicht der erste aufgeladene Motor, mit dem wir einen hubgraumgrößeren Saugmotor ersetzen. Das haben wir ja schon beim 1,6 Liter Turbo erfolgreich praktiziert. Mit diesen beiden Triebwerken wird freilich das Rightsizing nicht am Ende sein. Denn wir sind jetzt soweit, dass wir einen V6 in Leistung und Drehmoment durch einen Vierzylinder mit einem besseren Verbrauch ersetzen können. Darum widerspreche ich, dass wir spät dran sind.

Commonrail für Premiumsegment

Der 2.9 V6 Diesel Foto: GM

Autogazette: Im kommenden Jahr kommt eine neue Generation des Commonrail-Diesels auf den Markt - allerdings zunächst in einem Sechszylinder. Wäre ein Einsatz im Vierzylinder nicht sinnvoller - vor allem im Hinblick auf den Verbrauch?

Forst: Da stimme ich Ihnen zu, aber man kann auch Dinge zeitgleich parallel machen. Der Sechszylinder-Diesel ist ein völlig neuer Motor. Er ist in erster Linie für Premiumfahrzeuge innerhalb unserer Mehrmarkenstrategie gedacht, sehr gut in seinen CO2-Werten und bringt die Voraussetzungen mit, auch künftige Abgasnormen zu erfüllen. Und in einer Premiummarke wie Saab wird es nicht ohne einen Sechszylinder gehen, der zwar nicht so ein großes Volumen abdeckt. Aber es wird weiterhin viele Kunden geben, die den Komfort eines Sechszylinders nicht missen möchten.

Autogazette: Wie weit werden Sie die Verbräuche mit der neuen Dieselgeneration senken können und wie weit können die Verbräuche überhaupt noch gesenkt werden?

Forst: Natürlich werden wir als Motor- und Getriebeentwickler unseren Beitrag zur Verbrauchssenkung leisten. Wir erwarten weitere Optimierungsschritte bei Fahrzeuggewicht und Aerodynamik und damit eine kontinuierliche Reduzierung der Treibstoffverbräuche.

Bezahlbare Kraftstoffe zur Verfügung stellen

Saab 9-3 BioPower Foto: AG/Mertens

Autogazette: Der Einsatz von Bio-Ethanol wird forciert. Kollegen von Mitbewerbern, die selbst E85 anbieten, sehen den alternativen Kraftstoff nie aus dem Nischendasein herauskommen? Ist E85 eine Mogelpackung, der vielleicht auch durch das Aus für E10 der Gnadenstoß erteilt wurde?

Forst: Da bin ich absolut anderer Meinung. Wenn es uns allen gelingt, Ethanol-Kraftstoff in einer zweiten Generation aus zellulosischen oder kohlenstoffhaltigen Grundsubstanzen zu produzieren, werden wir diesen Kraftstoff auch relativ schnell global ausbreiten können. In Brasilien fahren fast alle mit Ethanol, in den USA gibt es einen Markt. In den nordischen Ländern von Europa sehen wir, wie erfolgreich so ein Kraftstoff sein kann, wenn es eine Infrastruktur gibt und Regierungen Rahmenbedingungen schaffen …

Autogazette:...die es aber bei uns nicht gibt.

Forst: Die Autoindustrie sowie die Mineralölindustrie, aber auch die Regierungen in der EU müssen alternative Kraftstoffe zur Verfügung stellen, die der Kunde bezahlen kann. Es wird sehr viele Varianten auf diesem Gebiet geben. Über eine kurze Zeit - so zwischen zehn und 15 Jahren - kann das Öl über alternative Kraftstoffe nicht ersetzt werden. Aber wenn wir alternative Kraftstoffe anbieten und wir die Technologien dafür entwickeln, wird es eine Entlastung beim Bedarf für Erdöl geben. Damit verbindet sich der positive Aspekt, dass man nicht mehr zu hundert Prozent vom Öl abhängig ist. Dann werden auch die auf den Ölfeldern verstehen, dass die Preise nicht beliebig nach oben entwickelt werden können. Auch da wird der Wettbewerb uns allen gut tun.

Fehlende europäische Konsolidierung

In der Entwicklung: Der HydroGen 4 Foto: GM

Autogazette: Bereits vor zwei Jahren hatten Sie von der Regierung verlangt, in Sachen Erdgas ein flächendeckendes Tankstellennetz aufzubauen. Sind Sie enttäuscht darüber, dass in dieser langen Zeitspanne vergleichsweise wenig passiert ist?

Forst: Auf der einen Seite bin ich darüber enttäuscht, dass es zu keiner europäischen Konsolidierung kommt. Es gibt immer wieder länderspezifische Initiativen für unterschiedliche alternative Kraftstoffe, aber keine europäischen Rahmenbedingungen. Das macht es uns als Hersteller sehr schwer und da bin ich schon enttäuscht.

Autogazette: Wie stark behindert das zögerliche Verhalten die Entwicklung bzw. Einführung alternativer Antriebe?

Forst: Wir können unsere Entwicklungsprojekte nur nach bestimmten Prioritäten entscheiden und umsetzen. Ohne solide und stabile Rahmenbedingungen sind zeit- und kostenintensive Entwicklungen nur schwer zu rechtfertigen. Trotzdem arbeiten wir derzeit an alternativen Antrieben und Kraftstoff-Applikationen, ohne ein homogenes Konzept der EU zu kennen. Das ist eine sehr große Schwierigkeit.

Öl-Abhängigkeit stellt Mobilität nicht sicher

Autogazette: Und der Preis für Öl steigt weiter an. Glauben Sie, dass er noch einmal aufgehalten wird?

Forst: Das glaube ich nur unter der Voraussetzung, dass uns die schnelle und preisgünstige Substitution von Erdöl gelingt. Die politischen Steuerungsmechanismen können eingedämmt werden, wenn wir versuchen, unsere Technologien der Motoren und Antriebsstränge auf mehreren unterschiedlichen Feldern zu positionieren. Wenn wir also alternative Kraftstoffe und Elektrizität in unterschiedlicher Anwendung zum festen Bestandteil unseres Entwicklungs- und Produktportfolios machen. Wir können uns nicht in eine Abhängigkeiten begeben, die letztendlich die Mobilität der Menschen einschränkt. Und die alleinige Abhängigkeit vom Öl kann unsere Mobilität langfristig nicht sicher stellen.

Autogazette: Wann wird der Zeitpunkt sein, dass dieses Konzept den Verbrennungsmotor verdrängt?

Forst: Das werden wir beide nicht mehr erleben.

Vernünftige Bedingungen entwicklen

Autogazette: Wird die Technik bezahlbar sein oder wird Autofahren zum Luxusgut für gut betuchte Personen?

Forst: Wir wollen und müssen verhindern, dass Autofahren ein Luxusgut wird. Ansonsten wird es zu einem totalen Einbruch der Wirtschaft kommen. Und das können wir uns nicht erlauben. Es wird moderate Preissteigerungen geben müssen. Benzin wird nie mehr so billig werden, wie es einmal war. Daher müssen wir als Entwickler dafür sorgen, dass Menschen in Zukunft mit alternativen Antrieben zu vernünftigen Bedingungen ihre individuelle Mobilität darstellen können.

Autogazette: Befürchten Sie, dass es in Zukunft einmal einen Zyklus geben wird, in dem die neue Technologie noch sehr teuer ist, aber der Ölpreis so stark angestiegen ist, dass der normale Bürger sich das Autofahren nicht mehr leisten kann?

Forst: Das glaube ich nicht. Noch gibt es wirklich große Ölvorkommen, allerdings in Gebieten, zu denen wir in der westlichen Welt keinen einfachen Zugriff haben. Das wird sehr politisch werden. Deshalb müssen wir die Alternativen entwickeln, um den Weg der Verhandlung offen zu halten.

Das Interview mit Rita Forst führte Thomas Flehmer

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