Der Opel Kadett (E) ist nicht irgendein Modell der Rüsselsheimer. Mit ihm feierte der Autobauer in der Kompaktlasse Erfolge.
„Elf Freunde müsst ihr sein, wenn ihr Siege wollt erringen“, lautet der berühmte Satz auf der Viktoria-Meister-Statue, den jeder Fußballfan kennt. Zu elft zog vor 40 Jahren auch der finale Opel Kadett (E) aus, um so Kompaktklasse-Kunden auf allen Kontinenten zu gewinnen.
Allein in Europa wurde die sechste Generation des Opel mit dem Marine-Rang im Namen von 1984 bis 1993 rund 3,8 Millionen Mal gebaut. Hinzu kamen Kadetten, die unter zehn weiteren Marken des General-Motors-Konzerns, von Asüna bis Vauxhall, gefertigt wurden.
Daewoo groß gemacht
In Korea machte der Kadett zuerst den Hersteller Daewoo groß, um 1995 als Nexia nach Deutschland zurückzukommen, wo er dann als Billig-Alternative zum ersten Opel Astra (F) reüssierte. In Südafrika avancierte der Kadett (E) zur automobilen Legende, sodass Opel den Nachfolger Astra dort in Kadett zurückbenannte.
Astra, diesen Namen erdachte übrigens zuerst Vauxhall in Großbritannien, und auf der Insel griffen bereits die rechtsgelenkten Kadett (D) und (E) unter diesem Modellcode nach den Sternen. In Usbekistan blieb der Kadett als Nexia fast forever young: Erst 2015 – nach 31 Jahren – beendete das asiatische Land die Fertigung des Volksautos, das seine Erfolgsstory 1984 als Opel Kadett in futuristischen Formen und mit visionären Technologien tief im Ruhrpott im Werk Bochum begonnen hatte. Für den heute aktuellen, elektrifizierten Opel Astra eine Vorlage, die schwer zu toppen ist. Stromern konnte der Kadett (E) übrigens auch schon, als Impuls setzte er Zeichen.
Modern wie kein Konkurrenzmodell
Tatsächlich überraschte der Kadett (E) von Beginn an mit einer zukunftsweisenden Modernität, die sich kein Konkurrent traute. „Windei“ nannten die Medien den Kompakten, der nach 1.200 Stunden Feinschliff im Windkanal einen damals sensationellen cw-Wert von 0,32 erreichte.
Der sportliche Kadett GSi zog mit dem cw-Wert 0,30 gleich mit dem Audi 100 als aerodynamischster Serien-Pkw. War das noch ein Opel oder ein stromlinienförmiges Concept Car, fragten sich Fachleute, die über so viel Mut staunten. Immerhin hatte Volkswagen den Golf II konsequent im Stil seines Vorgängers gezeichnet, und auch der Ford Escort zeigte klare Kanten, so wie der nun abgelöste Kadett (D) als Frontantriebspionier bei Opel. Welches Risiko Aeroformen verkörperten, demonstrierte der Ford Sierra, der einen Großteil der konservativen Taunus-Klientel verlor und so nicht mehr zum Weltauto taugte.
Solide Formen, solide Technik
Ganz anders war es bei den seit 1936 gebauten Kadetten der Marke mit dem Blitz: Opels Kompakte erfanden sich 1984 neu und stiegen erst mit dem gelungenen Mix aus Strom-Form, solider Technik, Captain-Future-Features à la digitalen LCD-Anzeigen im GSi und Katalysator gegen das in den 1980ern allgegenwärtige Thema Waldsterben sowie neun Karosserievarianten zur ganz großen Nummer der Automobilgeschichte auf.
Die Kunden nahmen die neue Form an, und der Kadett (E) hob ab zu einem Höhenflug, den der heutige Opel Astra (L) bestenfalls vereint mit den Plattform-Geschwistern von Citroen, DS und Peugeot aus dem Stellantis-Konzern wiederholen könnte: 625.000 Kadett-Neuzulassungen allein in Europa im Jahr 1987 – das war nur möglich, weil es einen Kadett für fast jeden Kundengeschmack gab und damit deutlich mehr Auswahl als etwa bei VW.
Passend zur neuen TV-Programmvielfalt (1984 startete das Privatfernsehen) und der beginnenden digitalen Revolution (Apple brachte den ersten Macintosh-Computer) lancierte Opel den Kadett als drei- und fünftüriges Schrägheck, drei- und fünftürigen Kombi Carava, zweitürigen Lieferwagen und zweitürigen Hochdachkombi Combo. Daneben gab es ihn noch als Cabrio aus der Carrozzeria von Stardesigner Bertone (der stylische Luftikus ließ das allerdings sorgfältiger verarbeitete Golf (I) Cabrio schlagartig alt aussehen) sowie als drei- und fünftürigen, sportlichen GSi.
Faszinierend als GSi
Gerade die Rennsemmel GSi zeigte das klassenlose Faszinationspotential des Kadett. Ab 1987 ließ im GSi ein neuer 2,0-Liter-16-Ventiler starke 156 PS auf die Vorderräder, bis dahin in der Kompaktklasse kaum vorstellbar.
Mit über 215 km/h Spitze und einer 0-100 km/h-Sprintzeit von knapp 8,0 Sekunden zeigte der GSi allen Golf GTI und Vierzylinder-BMW 3ern (E30) seine Endrohre – Katalysator fürs gute Gewissen inklusive. Auch im Rennsport war der Kadett GSi in seiner Klasse über Jahre unschlagbar, bei der Paris-Dakar 1986 entfesselte er außerdem als 400-PS-Allradler Staubstürme – bis ihn kleine Defekte ausschalteten.
Als Opel 1989 in die Deutsche Tourenwagenmeisterschaft (DTM) einstieg, wurden die 270 PS leistenden GSi im DTM-Trimm absolute Publikumslieblinge. Der athletische Kadett GSi (Grand Sport Injection) stand nicht nur Tennischampions gut – wer erinnert sich nicht an Steffi Grafs „Opel’s Grand Open“-Werbung – sondern auch Staatsmänner. Während Bundeskanzler Helmut Kohl auf seine schwergewichtige S-Klasse vertraute, wählte sein Vorgänger im Bonner Kanzleramt, Helmut Schmidt, für sich und seine Frau Loki einen schwarzen Kadett GSi Champion, mit dem die beiden Hamburger fünf Jahre lang nicht nur zu ihrem Ferienhaus am idyllischen Brahmsee flitzten.
Schnellster Astra als Kombi
Ob das heute aktuelle Rüsselsheimer Sportgerät Astra GSe (Grand Sport Electric) als Plug-in-Hybrid auch diese Anziehungskraft entfalten kann? Immerhin gibt es den schnellsten Astra inzwischen in Kombiform, eine Karosserievariante, die in den 1980ern bodenständig unterwegs war und deshalb zusammen mit den braven Limousinen für die großen Stückzahlen zuständig war.
Neben den besonders beliebten, knapp vier Meter kurzen Drei- und Fünftürern konnte Opel über 740.000 Stufenheck-Kadett absetzen, noch mehr Einheiten als vom ebenfalls erfolgreichen Kadett Caravan – Kompakte mit großem Kofferraum erlebten damals einen Hype, speziell im Osten der 1990 wiedervereinigten Bundesrepublik Deutschland.
Koreaner im Kadett-Kleid
Dort fuhr ab 1995 auch der Daewoo Nexia seine größten Erfolge ein, der billige Koreaner im alten Kadett-Kleid trat gegen den modernen Astra (F) an. Einen Blick in die emissionsfreie Zukunft gewährte dagegen der 1991 vorgestellte, vollelektrische Kadett Impuls. Allerdings beschränkte sich das Einsatzgebiet des Stromers auf Großstädte, war er doch nach fünf Stunden Ladezeit nur fit für 80 Kilometer Reichweite. Aller elektrischer Anfang war schwer, werden angesichts dieser Werte die Käufer eines modernen Astra Electric denken.
In welchen Versionen der Opel Kadett (E) von der Oldtimerszene gesucht wird, erklärt Nicolas Ziegler von der Bewertungsorganisation Classic Analytics: „Opel und Frontantrieb, diese Kombination sorgt bei Opel-Fans selten für Begeisterung und so ist es auch beim Kadett E. Er prägte zwar gemeinsam mit dem VW Golf jahrelang das Straßenbild, ein nennenswerter Fankreis bildete sich aber fast ausschließlich um das Topmodell GSi und das Cabrio. Die begehrteste Variante GSi 16V kostet heute im guten Zustand mindestens 15.000 Euro.“ (SP-X)