Häkelrolle als Provokation

Viele Youngtimer mussten vor 25 Jahren noch Spießruten laufen. Im 21. Jahrhundert ernten die Autos unserer Väter Sympathie und Bewunderung.

Die Autos der 70er und 80er Jahre sind in der Erinnerung vieler Menschen immer noch als hässlich, kastig und vor allem spießig gespeichert. Aber ein bisschen spießig darf es ruhig sein: «Der hat auch einen Namen», sagt der 24-jährige Nils Schelp aus Rödinghausen bei Herford stolz. Gemeint ist ein alter Mercedes 280 SE, Baujahr 1979. Die junge Generation der Autoliebhaber hat die sogenannten Youngtimer für sich entdeckt, Autos, die oft älter sind als die neuen Besitzer. Wer hat schon kommende Klassiker in biederen und geschmähten Familienkutschen wie Opel Rekord oder Ford Granada gesehen? Und doch erlebt der Blech gewordene Traum der Väter den zweiten Frühling.

Sympathie und Bewunderung

Denn die Szene steht zum «Bekenntnis zum Spießigen», sagt der 24-Jährige augenzwinkernd. Das schließt die typischen Brauntöne vieler der alten Limousinen, sogar Fellbezügen auf den Sitzen und Häkelrollen auf der Ablage ein. «Das ist der Spaßfaktor, ich würde fast sagen: Eine Provokation», sagt Schelp. «Man will auffallen», gibt Sebastian Broisch, ebenfalls 24, zu. «Die alten Autos finden Sympathie und Bewunderung.»

Auf den Rückbänken der Youngtimer, die laut Definition zwischen 20 bis 30 Jahre alt und damit noch keine richtigen Oldtimer sind, waren viele Anhänger der neuen Lust auf alte Autos groß geworden; mancher erinnert sich vermutlich heute noch daran, wie der Vater Woche für Woche sein «liebstes Kind» pflegte und Roststellen ausbesserte. Das ist heute nicht anders. «Die rosten halt fürchterlich, die Autos», meint Schelp, der in Dresden Maschinenbau studiert. Obwohl es auch immer noch das begehrte «ersthand-scheckheftgepflegte Rentnerauto» gebe. Doch von der Geschichte der Scheunenfunde, bei denen es abstauben, volltanken und losfahren heiße, könne man sich getrost verabschieden.

Schweißarbeit statt Fahrspaß

Stattdessen heißt es reparieren und restaurieren. «Es macht die Sache billig, wenn man es selber macht», sagt Schelp. In einer Garage in Rödinghausen stehen beispielsweise ein Opel Rekord von 1982 und ein Opel Senator von 1984. Bei dem Rekord sind die Kotflügel und weitere Stellen durchgerostet, viel Schweißarbeit steht damit für den Hobbyschrauber auf dem Programm. «Wer mit einem Schweißgerät umgehen kann, ist ein gerne gesehener Kumpel», sagt er. Auch der Senator braucht eine Überarbeitung, doch der alte 140-PS-Motor läuft und füllt die Garage mit röhrendem Sound. «Da braucht man keinen Sportauspuff», sagt Schelp schmunzelnd. «Damals hieß es: Wie kannst Du dir so ein Auto kaufen? Heute heißt es: Her damit.»

Warum das so ist? Für «psychologisch bedingt» hält es Maik Hirschfeld, Präsident des Bundesverbands DEUVET für Clubs Klassischer Fahrzeuge. «Jeder kehrt zu den Bildern zurück, die er als Kind erlebt hat. Außerdem ist es mit Sicherheit eine Lifestyle-Sache.» Alte Autos lägen im Trend, jedes Dorffest biete Oldtimer-Treffen. In Deutschland gibt es seinen Worten zufolge rund 170.000 Autos mit dem H- Kennzeichen für Oldtimer ab 30 Jahren. Insgesamt gab es 2006 rund 286.000 Autos, die vor mehr als 30 Jahren gebaut wurden. Älter als 20 Jahre waren 920.000 Autos - darunter auch die Youngtimer, wobei der Begriff nach Angaben des DEUVET-Experten Ralf Geisler eine deutsche Erfindung ist.

Harte Zeiten für Youngtimer

Doch die Zeiten für die Freunde alter Autos werden härter. Die Feinstaub-Debatte und die Frage des Kohlendioxidausstoßes beunruhigen Oldtimer-Fahrer. «Beim Feinstaub ist eine bundesweite Regelung noch nicht in Sicht», sagt Hirschfeld. Mehrere Bundesländer hätten Ausnahmeregelungen für Oldtimer zugesichert, darunter Nordrhein- Westfalen und Bayern. Ohnehin seien in Sachen Umweltbelastung durch den Straßenverkehr die Oldtimer nur zu 0,07 Prozent beteiligt - sie fahren einfach zu wenig, pro Jahr im Schnitt weniger als 2000 Kilometer.

Und auch sonst droht Youngtimer-Fans Ungemach, meint Geisler. Deutsche Massenhersteller hätten «nicht mehr viele Ersatzteile», anders sehe es bei den großen Markenherstellern aus. Im schlimmsten Fall helfen zahllose Internet-Foren und -Auktionshäuser. In Deutschland bedeuten Verkauf und Restaurierung alter Autos nach Angaben von DEUVET-Präsident Hirschfeld ein Riesengeschäft mit einem Jahresumsatz von 4,6 Milliarden Euro.

Bleibt nur noch eines zu klären: Wie heißt die alte S-Klasse, an der die jungen Schrauber rund 200 Stunden gearbeitet haben? Der Name sei «Harry Kiel», nach dem letzten Vorbesitzer, löst Schelp das Rätsel. (Thomas Strünkelnberg, dpa)

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