Nio Eve: Lebensraum statt Luxuslimousine

Auto als Nebensache

Nio Eve: Lebensraum statt Luxuslimousine
1360 PS treiben den Nio Eve an © Nio

Mit dem Elektro-Supersportwagen Eve will Nio die Welt ein bisschen besser gestalten. Dabei gerät das eigentliche Fahrerlebnis in der Studie des chinesischen Startups in den Hintergrund.

Die Welt ein kleines bisschen besser machen: Wo andere Fahrzeughersteller nur ihren eigenen Gewinn im Sinn haben, denkt William Li ans große ganze. Deshalb hat der chinesische Internet-Milliardär seine Automarke auch „Nio“ genannt, was in seiner Muttersprache für den Blauen Himmel steht, den wir bald alle sehen werden.

Und aus diesem Grund hat er nach dem ausgesprochen egoistischen Elektro-Supersportwagen EP9 nun ein Auto präsentiert, das tatsächlich nicht nur für die Fahrt gemacht ist, sondern buchstäblich zum Weggefährten in der digitalen Welt werden soll: Ein Auto, das unsere Wünsche antizipiert und unser Wohlgefühl steigert. „Denn wir denken Mobilität nicht von A nach B, sondern von A bis Z“, sagt Designchef Kris Tomasson und zieht das Tuch von einem Showcar, bei dem das Fahren zur Nebensache und das Ankommen zum notwendigen Übel werden. Nicht umsonst nimmt diesen Job natürlich der Autopilot.

Lümmeln im Ledersofa

Die neuen Prioritäten erkennt man bereits an der Sitzordnung. Während die beiden Plätze in der ersten Reihe eher schlicht sind, sich Lenkrad oder Pedale die meiste Zeit in den knappen Konsolen verbergen und der Blick nicht von einem Cockpit blockiert wird, sondern wie bei einem Helikopter ungehindert das volle Panorama erfasst, lümmelt man im Fond auf einem üppigen Ledersofa mit integriertem Schlafsessel und treibt Konversation mit zwei weiteren Insassen, die entgegen der Fahrtrichtung auf eigenen, mit den Vordersitzen verschmolzenen Sesseln sitzen.

Für den bequemen Zustieg gibt es zwei riesige Schiebetüren, die ebenfalls gegen die Fahrrichtung öffnen. Und für den ungehinderten Ausblick gibt es ein transparentes Dach und riesige Scheiben, die fast ohne Karosseriesäulen auskommen. Das wie ein flacher Van gezeichnete Auto misst mit 5,20 Metern etwa so viel wie eine konventionelle Luxuslimousine, bietet bei 3,52 Metern Abstand zwischen den 26-Zoll-Rädern aber mehr Platz als ein Privatjet. Erst reicht, weil es eben keinen Zwölfzylinder hat, sondern zwei kompakte E-Motoren an jeder Achse und statt eines riesigen Tanks eine Lithium-Ionen-Zelle im topfebenen Wagenboden.

Nio Eve mit 2,8 Sekunden Sprintzeit

Der Innenraum avanciert zur Lounge
Der Innenraum avanciert zur Lounge Nio

Während Nio bei seinem Supersportwagen detailliert über die Technik spricht und stolz mit Eckdaten wie den 1 360 PS, dem Sprintwert von 2,8 Sekunden, der Spitzengeschwindigkeit von 360 km/h und seinen Rekordzeiten auf den Rennstrecken in Europa und Amerika prahlt, verlieren die Chinesen über die Fahrleistungen ihres Wohnzimmers für Weltverbesserer kein Wort. Selbst die Reichweite geben sie nur vage mit „mehr als 1000 Kilometern“ an.

Erstens, weil es der Eve eben eher Lebensraum als Luxuslimousine ist, der Weg zum Ziel wird und sich niemand fürs Ankommen interessiert, wenn Nomi, das Herz und Hirn des Wagens, alle Wünsche im vorauseilenden gehorsam erfüllt und sich automatisch auf die Stimmungen der Insassen einstellt. Und zweitens, weil es ohnehin noch drei Jahre dauert, bis die Studie zunächst ausschließlich für den US-Markt in Serie geht. „Und leider werden wir nicht alle Ideen aus dem Showcar in die Produktion retten können“, muss Designer Tomasson einräumen.

Serienstart in drei Jahren

Noch drei Jahre bis zum Serienstart in den USA und in Europa nicht vor dem Jahr 2025 – eigentlich könnte man Eve aus heimischer Perspektive fürs erste geflissentlich ignorieren. Doch viel eher muss man dem Team die Daumen drücken. Denn auch wenn das Geld aus China kommt, die Fabrik in Shanghai steht und die Software fürs autonome Fahren im Silicon Valley geschrieben wird, hat das Auto im Grunde sogar deutsche Wurzeln.

Schließlich sitzen über 100 der mittlerweile 2000 Nio-Mitarbeiter in München und entwickeln dort nicht nur die Marke, sondern verantworten auch das Design. Deshalb werben die Chinesen ganz offiziell mit einem Gütesiegel, das man bei einem US-Auto aus Shanghai nun wirklich nicht erwartet hätte: „Designed in Germany“. (SP-X)

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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